Evelyn:
„Liam." murmle ich außer Atem, während ich die Autotür öffne. Erst nachdem ich drauflos gerannt bin, habe ich bemerkt, dass ich so nicht mehr Nachhause komme. Natürlich haben sowohl meine Pflegeeltern als auch Taylor mindestens zehn Mal angerufen, aber ich wollte ihnen gerade nicht unter die Augen treten. Deshalb habe ich Liam angerufen und ihn gebeten mich holen zu kommen. Er ist also extra eine Stunde zu mir gefahren, um mich jetzt nachhause zu bringen. Er ist ein wirklich guter Freund.
„Was ist den passiert?"
„Kyle ist passiert." erkläre ich knapp.
„Verstehe." Ich setze mich zu ihm ins Auto und schlage die Türe zu.
„Er hat mich wieder mal beleidigt und vor seiner Oma bloßgestellt."
„Warum tut er sowas?"
„Weil er denkt, dass wir beide naja-"
„Das wir beide?" hakt er nach.
„Das wir was am laufen hätten." Glücklicherweise tritt aus Liams Kehle ein raues Lachen.
„Das meint er nicht ernst, oder?" fragt er immer noch lachend.
„Doch."
„Oh, Gott. Und deshalb macht er so ein Drama? Er ist wirklich eine Dramaqueen."
„Sag ich ja." Auch ich fange an zu lachen obwohl mir vor fünf Minuten noch gar nicht dazu zumute war.
„Komm ich bringe dich Nachhause. Deine Eltern machen sich
sicher schon sorgen." meint Liam, während er den Gang einstellt.
„Liam?"
„Ja?"
„Danke. Für alles." Ich lächle ihn kurz an und er lächelt zurück.
„Kein Problem, Evelyn."
Ich winke Liam noch schnell, bevor ich auf das Haus zugehe. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich keinen Schlüssel habe. Verdammt, die schlafen doch sicher alle schon. Dadurch das Liam eine Weile zu mir gebraucht hat und auf dem Rückweg Stau war sind wir viel später als die anderen zurück. Zwischenzeitlich habe ich Amy geschrieben, dass sie sich keine Sorgen machen muss und ich bereits auf dem Rückweg bin. Sie hat mit einem grinsenden Emoji geantwortet, weshalb ich denke, dass sie nicht sauer auf mich ist. Ich könnte verstehen, wenn sie es wäre.
Ich entdecke, dass in der Küche noch Licht brennt. Ich gehe aufs Fenster zu und fuchtle, wie eine Wilde mit meinen Armen in der Hoffnung, dass mich irgendjemand sieht.
Zum Glück wird mir zwei Minuten später, die Türe geöffnet und ich kann eintreten. Als ich jedoch erkenne, wer mir die Türe aufgemacht hat, würde ich am liebsten wieder nach draußen gehen.
„Evelyn." Kyles Stimme klingt fast schon flehend. „Hör mir zu."
Ich will einfach an ihm vorbeigehen. Ich habe ihm nichts zu sagen, also kann er bitte einfach gehen?
Aber nicht mit Kyle. Er packt mich am Handgelenk. „Evelyn, bitte."
„Lass mich los, Kyle."
„Gib mir drei Minuten.
„N.E.I.N."
„Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig." Verwirrt darüber, was
er damit meint blicke ich ihn an. Was meint er? Kyle zieht mich an die Wand und drückt seine Hände links und rechts von meinem Kopf an diese. Mit seinem Körper, der mir näher ist als mir lieb ist, versperrt er mir den Weg. Weil er größer als ich ist, sieht er von oben auf mich herab. Wir blicken uns gegenseitig einfach nur an. Ich bin immer noch überrascht von dieser Aktion.
„Ich bin ein Arschloch, das weiß ich. Aber ich kann dich hier nicht akzeptieren. Es geht einfach nicht selbst wenn ich es wollen würde. Trotzdem war das wieder einmal einer zu viel. Es tut mir leid, dass ich manchmal so hart zu dir bin. Ich bereue es, dass ich dich letzte Woche und heute so fertig gemacht habe. Ich kann nichts versprechen, aber ich werde versuchen öfters meine Klappe zu halten. Erwarte dir aber nicht, dass ich dich akzeptiere oder als Schwester ansehe."
Ich schlucke. Einerseits wegen seiner Entschuldigung, wenn man es so nennen kann, und andererseits, weil mir unsere Körpernähe gerade schlagartig bewusst wird. Verdammt, warum sind wir uns so nahe?
Ich antworte ihm gar nicht erst auf seine Worte. Stattdessen wandert mein Blick von seinem Gesicht runter zu seiner Brust. Zwar hat er ein T-Shirt an aber ich erkenne trotzdem, dass er einen krassen Körper hat. Als ich wieder hoch in sein Gesicht blicke, hat sich auch in seiner Miene etwas verändert. So als würde auch ihm die Art und Weise wie er vor mir steht auch plötzlich bewusst werden.
Kyles Blick wandert nun ebenfalls über mich und bleibt länger im Ausschnitt meines Tops hängen als mir lieb ist.
Von dem einen auf den anderen Moment ziehen sich seine Augenbrauen zusammen und er schüttelt den Kopf. Schnell stößt er sich von der Wand ab und räuspert sich kurz. Er nimmt ein paar
Schritte Abstand von mir. „Nochmal, es tut mir leid."
„Okay." Mehr habe ich ihm nicht zu sagen. Mehr bringe ich gerade nicht heraus. Zu perplex bin ich von der gradigen Situation und wie falsch sie eigentlich war.
„Geh schlafen." Murmelt er noch bevor er sich umdreht und die Treppen fast schon hochsprintet.
Was war das gerade? Habe ich wirklich Kyle ausgecheckt? Kyle? Der Typ, der mich Stunden zuvor noch zutiefst beleidigt hat, der, der mich immer noch nicht akzeptiert und eigentlich nicht ausstehen kann? Was ist falsch mit mir? Klarerweise ist jedem Bewusst, dass er nicht gerade hässlich ist, aber ich hätte gedacht, dass ich Immun gegen ihn und seinen Charm wäre. Zumindest hatte ich es gehofft.

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Ending Loneliness
RomanceSeit sie 4 ist wird Evelyn pausenlos von einer Familie zur nächsten geschoben. Nachdem tragischen Tod ihrer Eltern hat sie niemanden mehr aber was passiert wenn sie ausnahmsweise in eine Pflegefamilie geratet, bei der sie zum ersten Mal das Gefühl h...