Bereitschaftsdienst ( POV Nike )

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Ich hörte Katharina fast erleichtert ausatmen , als ich mich umdrehte um die Station zu verlassen.

Schwester Katharina Baumann ... Ich war mir noch nicht ganz sicher, was das an ihr war ... Irgendetwas reizte mich an ihr ! Sie wirkte so professionell und sicher in ihrer Arbeit... was sie tat , das tat sie zu 150 % , fast schon perfektionistisch! Alle konnten sich auf sie verlassen, ich konnte mich auf sie verlassen...

Katharina hatte mir in den ersten zwei Wochen auf der ITS unglaublich geholfen... voll gepackt mit Theorie aber eigentlich keine praktische Erfahrung; so stand ich an meinem ersten Tag auf der Station und fühlte mich total fehl am Platz . Dank ihr und dem Team aus tollen Ärtzen und Pfleger/-innen konnte ich mich schnell integrieren und gute Arbeit leisten. Ich war gut in dem was ich tat ... in allem was ich tat...!

Es stand eigentlich schon von Geburt an fest , dass ich irgendwann ebenfalls Medizin studieren würde ... Mama war Kinderärztin und Papa Notarzt. Ich wollte etwas in der Welt verändern, Menschen dabei helfen gesund zu werden... etwas bewirken! Meine Eltern waren liebevolle Menschen und da ich ihr einziges Kind war, unterstützten sie mich in jeder Phase meines Lebens zu 100% und das war mehr , als ich mir wünschen konnte.

Aber Katharina...
Irgendetwas stimmte nicht mit ihr ! Ich drückte auf den Fahrstuhlknopf und wartete... Sie sah in der letzten Zeit immer erschöpfter aus, wechselte bei ihrer 75 % Stelle zwischen Früh- Spät- und Nachtschichten , grätschte zwischen Familie und Beruf. Ich stellte mir diese Belastung unglaublich anstrengend vor, ständig allem und jedem gerecht werden zu müssen... zu wollen!

Der Fahrstuhl kam und ich fuhr in die erste Ebene . Als ich Katharina vorhin kurz unbewusst meine Hand auf den Arm gelegt hatte, war sie förmlich zusammen gezuckt ! Dabei war es nur als liebe Geste gemeint, weil sie so unglaublich müde aussah. Sie war für ihre Anfang 40 und Mutter von zwei Teenagern so unsicher , fast schon schüchtern.... Wenn es nicht um die Arbeit ging, ordnete sie sich viel zu schnell unter ... überließ anderen zb. einen freien Tag, stellte sich nie in den Vordergrund!

Das sollte dir doch eigentlich gefallen , oder Nike ??Ja das stimmte , ich mochte es... Mit fast 30  wusste ich schon eine ganze Weile, dass ich auf Frauen und Männer stand ! Für mich war das überhaupt kein Problem! Wenn ich jemanden sah , egal ob ein Typ oder eine Frau... entweder machte es Klick oder nicht . Das Ganze beruhte für mich auf Gegenseitigkeit ! Ich wollte mich ausprobieren, mich und meinen Körper erleben!Für etwas Ernsthaftes fehlte mir die Zeit aber auch die oder der Richtige...

Meinen Eltern hatte ich früh davon erzählt und so blieben Gespräche über den zukünftigen Schwiegersohn oder die Familienplanung aus . Es war ganz einfach ! Allen voran wollte ich Anästhesistin werden, Karriere machen... ich brauchte den Erfolg als Belohnung für meine Arbeit. So lieb und hilfsbereit ich täglich war, so dunkel und bestimmend konnte ich werden ! Man unterschätzte mich... das war mir nur recht.

Katharina war eigentlich gar nicht mein Typ... kurvig , volle Brüste und breites Becken ... ihre blonden Haare trug sie meistens zu einem dicken Dutt auf ihrem Kopf. Sie sah einfach nur fertig aus ... erschöpft, als ob ihr etwas passiert war , was ihr völlig den Boden unter den Füßen weggezogen hatte . Ich hatte das Bedürfnis, mich um sie zu kümmern , ihr etwas Gutes zu tun. Deshalb hatte ich ihr das kleine Post-it an ihre Tasse geklebt. Vielleicht hatte es sie ja ein wenig zum lächeln gebracht...

Mein Bereitschaftstelefon klingelte „ Nike de Vaal .... Ja Dr. Ströcker , ich bin auf dem Weg in die Chirurgie, da würde ich mir jetzt mit Dr. Falcke den Patienten mit Verdacht auf Bliddarmentzündung ansehen und mich dann wieder bei Ihnen melden, ob eine Op Indikation besteht . Genau , ja ich melde mich." Die Ärzte , auch die der oberen Etage, gaben mir hier ein sehr gutes Gefühl und viel Handlungsspielraum.

Natürlich traf ich hier keine Entscheidung ohne die Zustimmung eines Ober oder Assistenzarztes! Mein Handy vibrierte und ich musste grinsen , es war Lara

„ Guten Morgen Frau Doktor, ich hoffe sie haben bald Feierabend?" und ich öffnete das Bild .

Es zeigte meinen 10 jährigen Hannoveraner Rappen Abraxas , wie er noch friedlich in seiner Box lag . Lara war Bereiterin vom Gut zur Linde , auf dem ich meinen Wallach untergestellt hatte.

„Noch 3 Stunden ... Außerdem habe ich noch keinen Doktortitel!Kümmer dich gut um meinen Süßen. Lust am Wochenende ein wenig um die Häuser zu ziehen......;-)?"

Lara kannte ich jetzt zwei Jahre und einmal im Monat zogen wir durch Münster und genossen das „ etwas andere" Nachtleben. Wenn ich Bereitschaft hatte, kümmerte sie sich um mein Pferd und bewegte ihn, da ich tagsüber schlafen musste .Sie und ich waren auf einer Wellenlänge und das erleichterte vieles ...

„ Definitiv Nike... Lass uns doch Samstag eben kurz telefonieren, wenn du ins Wochenende gehst! Ich freu mich..."

Das glaubte ich ihr sofort. Wir hatten schon das ein oder andere unvergessliche Wochenende! Ich steckte das Handy schnell zurück in meinen Kasack , ließ mir von der Nachtschwester die Unterlagen des Patienten geben und begleitete den  diensthabenden Chirurgen zum Patienten.Nachdem wir alle schriftlichen Formalitäten erledigt und den Patienten soweit für die Op vorbereitet hatten , ging ich noch einmal auf die ITS .

Du willst nur nochmal nach dem Patienten mit dem Infarkt auf der 6 sehen, dachte ich mir eine Ausrede aus ! Lächerlich... !!! Als ob ich eine Ausrede bräuchte....

Katharina saß  im Schwesternzimmer und machte gerade die Übergabe an den Frühdienst . Durch das Fenster konnte ich sehen , wie sie kurz über den Witz eines Kollegen lachte und ihr Haarband dabei löste ... ihr dickes , blondes Haar fiel ihr in Locken fast bis zur Brust. Ich musste kurz schlucken... als hätte sie meinen Blick bemerkt, raffte sie die Haarmenge wieder schnell auf dem Kopf zu einem dicken Knoten zusammen, runzelte die Stirn als sie meinen Blick bemerkte und machte dann mit ihrer Arbeit weiter .

Und ich...? Ich lief in das falsche Zimmer, zum falschen Patienten und entschied mich dafür, lieber Feierabend zu machen und heute Abend wieder mit klarem Kopf zu starten .

Nike ... Du Anfängerin, lässt dich von einer Mutti so aus dem Konzept bringen ...nur weil du sie mit offenen Haaren gesehen hast??

Ich verließ schnell die ITS und zog mich um .

Glaub an dich , Liebes ! ( Zweiter Teil ) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt