Das Parfum

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Mein Handy klingelte und ich sah den Namen meiner Mutter auf dem Display.
Ruckartig stand ich auf, schaute mich gehetzt nach einer Möglichkeit um, ungestört telefonieren zu können und zerbrach somit diesen Moment, den Nike und ich eben noch miteinander geteilt hatten.

Nike zeigte mit dem Finger Richtung Schlafzimmer und ich nutzte die Gelegenheit, um kurz ungestört zu sein.
„Ja Mama... ist etwas passiert?Hat Stefan sich wieder übergeben...?"
Ich ließ meine Mutter gar nicht zu Wort kommen und stellte vorab sämtliche Vermutungen auf, warum sie mich anrief.
Katharina, du bist doch nicht mehr ganz dicht, fiel mir dazu nur ein.

„Schatz, es ist alles gut! Bitte beruhige dich!
Stefan hat gerade etwas getrunken und Papa hat ihm eine Kopfschmerztablette gegeben. Er kommt zurecht. Ich rufe eigentlich nur an, weil wir mit den Kindern in den Zoo wollen. Dann kannst du dich zu Hause noch etwas ausruhen und ihr habt vielleicht die Möglichkeit, in Ruhe miteinander zu sprechen...!"

„Danke Mama...." , mehr konnte ich nicht sagen.
Mir saß schon wieder dieser dicke Kloß im Hals.
Während ich das Handy noch ans Ohr hielt, sah ich mich in Nike's Schlafzimmer um.
Minimalistisch passte zu ihr...
Nike war unglaublich hübsch und intelligent...
Sie war ein Beispiel dafür, dass Schönheit und Intelligenz auch in Kombination zu finden waren.

„Bist du noch dran, Katharina?"
Ich hatte ihr zum Schluss gar nicht mehr richtig zugehört!
Dieses Schlafzimmer war so schlicht und ruhig.
„Ist gut Mama, bis später ", und legte auf.
Im Wohnzimmer war es jetzt ganz still und ich sah über meine Schulter, ob die Tür noch angelehnt war.
Leise ging ich zu Nike's Bett, beugte mich vor und roch an ihrem Kopfkissen.

Ich schloss kurz die Augen...Vanille und Nike's ganz eigener Geruch.
Gerüche machten etwas mit mir ...
Mit ihnen verband ich Erinnerungen, Erlebnisse, Situationen .
Ich hatte zu bestimmten Gerüchen sofort ein Bild im Kopf.
Vorsichtig strich ich das Kissen mit der Hand glatt und verließ das Schlafzimmer.

Nike lag eingerollt auf dem Sofa und schlief.
Kein Wunder...
Wir hatten fast zehn Uhr und sie war seit gestern auf den Beinen.
Deinetwegen!!
Weil du dein Leben nicht mehr in den Griff bekommst, seit der Sache mit Sina!
Mein Unterbewusstsein fraß sich wieder unnachgiebig durch meinen Kopf.
Ich nahm die Wolldecke vom Sofa und deckte sie vorsichtig damit zu .

Auf Zehenspitzen, um Nike nicht zu wecken, lief ich zum Tisch , stellte die Teller und Tassen ineinander und trug sie in die Küche. Mit einem Lappen wischte ich noch schnell alles sauber und ging dann leise in den Flur, um meine Schuhe anzuziehen. Ich öffnete ganz leise die Wohnungstür und wollte gerade hinaus gehen, als ich gegen etwas hartes prallte.

Etwas nacktes, warmes, hartes...
Bitte nicht ....
Vor ihrer Wohnungstür stand Niklas, der anscheinend gerade hatte klopfen wollen, bevor ich aus der Tür gekommen war.
Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Schwester Katharina.... Wie schön, dass wir uns mal wieder treffen!"

Ich bemerkte den ironischen Unterton in seiner Stimme sofort und versuchte ihn zu ignorieren.
Was ich allerdings nicht ignorieren konnte, war dieser unglaubliche Körper direkt vor meiner Nase!
Sofort schossen mir all diese Bilder aus meinen Träumen wieder durch den Kopf, während ich meinen Blick über seinen trainierten Bauch tiefer gleiten ließ und an dem schmalen Streifen Haare hängen blieb, der in seiner Jogginghose verschwand.
Vorsichtig zog ich die Tür hinter mir zu.

„Äh, hi.... Niklas... Nike schläft... ich wollte gerade nach Hause fahren" ,verhaspelte ich mich bei jedem zweiten Wort.
„Sie hat sich ziemliche Sorgen um dich gemacht, weißt du das eigentlich?"
Er sah mich mahnend an und ich merkte sofort, dass er mich überall anders sehen wollte, als hier bei ihr .
Seine Körperwärme und der Geruch, der von ihm ausging, vernebelten mir komplett die Sinne.

Zedern...
Männlich, erotisch, animalisch...
Ich duckte mich unter seinem Arm hindurch und blieb in sicherer Entfernung von ihm stehen.
„Nike geht es gut, sie schläft jetzt! Sie war heute Morgen für mich da, als es mir sehr schlecht ging".
„Genau das ist ja das Problem! Sie ist immer für alle da...Vielleicht denkst du das nächste Mal dran, bevor du wieder so schnippisch auf der Arbeit zu ihr bist!"

Er drehte sich um, präsentierte mir damit einen Blick auf seine wunderschöne Rückenmuskulatur und verschwand in der Wohnung nebenan.
Er ließ mich einfach stehen...
Wie ein kleines dummes Mädchen!
Ohne weitere Kommentare...
Ich ging die Treppe hinunter und verließ das Haus.
Draußen empfing mich die Sonne.

Die Straßen waren trotz des Sonntages jetzt deutlich voller. Ich schlängelte mich mit dem Fahrrad in den laufenden Verkehr ein und fuhr noch einmal zurück zu der Bäckerei, in der Nike für uns die Croissants gekauft hatte.
Warme Luft empfing mich beim Betreten der Bäckerei , die nach Kaffee und Backwaren roch.
Ich wollte Stefan noch ein frisches Brötchen mitbringen, vielleicht hatte er ja später doch etwas Hunger.

Nachdem ich bezahlt hatte, öffnete ich gerade die Tür der Bäckerei, als mir zeitgleich eine Frau entgegen kam und wir kurz zusammen stießen.
„Oh, entschuldigen Sie bitte... Ich hatte es so eilig und habe Sie gar nicht gesehen!"
Während sich die Frau nochmals entschuldigte, hielt ich plötzlich die Luft an.
Ich stand immer noch mitten im Eingang und konnte mich plötzlich keinen Zentimeter mehr bewegen.

Dieses Parfum....
Mir wurde schlecht...
„Junge Frau, ist alles ok? Sie sehen furchtbar blass aus!"
Ohne zu antworten, ging ich nach draußen und versuchte verzweifelt, diesen Geruch aus der Nase zu bekommen!
Ich warf die Tüte mit dem Brötchen achtlos in den Korb auf dem Gepäckträger, nahm mein Fahrrad und schob es neben mir her.

Das Parfum der Frau, die mich eben aus Versehen umgelaufen hatte, erinnerte mich an die Krankenschwester , die mir bei der Entbindung meines toten Kindes geholfen hatte...
Es war das selbe Parfum...
Ich versuchte verzweifelt wieder an den Geruch von Nike's Kopfkissen zu denken, der so sinnlich war , als ich merkte , wie mir langsam die Galle hochkommen wollte.

Jetzt stell dich gefälligst nicht so an, Katharina!
Das Ganze ist schon zehn Jahre her und du tust so, als wäre es erst gestern gewesen...
Zu Hause warten die echten Probleme auf dich!
Ich bog in unsere Straße ein und war dankbar dafür, dass gerade niemand der Nachbarn zu sehen war.
Der Geruch des Parfums saß mir immer noch in der Nase!

Ich stellte schnell mein Rad ab, schloss die Haustür auf und raste nach oben ins Badezimmer.Vor meinen Augen liefen die Bilder in einer Endlosschleife.

Stefan in der Badewanne...
Meine Angst um ihn...
Seine Worte...
Wie er mich ausgelacht hatte...
Niklas anklagender Blick....
Das Parfum dieser Frau...
Trauer...
Verlust ...

Ich erbrach mich schwallartig in unsere Toilette...
Der Geruch von Erbrochenem löste den des Parfums ab.
Endlich!

Ich lag auf der Klobrille und stützte meinen Kopf ab. Plötzlich ging die Tür auf und Stefan kam ins Badezimmer. Er sah mich aus verschlafenen Augen an und hielt sich am Türrahmen fest.
„ Brauchst du noch lange?"
Ich versuchte mich langsam hinzustellen aber mein Kreislauf war total im Keller.
„Gib mir bitte einen kurzen Moment, mir geht es gerade nicht so gut", quälte ich die Worte aus mir heraus.
„Du siehst genauso mies aus, wie ich mich fühle! Lass mal, ich leg mich wieder hin."

Er drehte sich um und ging wieder aus dem Badezimmer.
Und wieder war ich alleine...

Glaub an dich , Liebes ! ( Zweiter Teil ) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt