Ganz weit weg... (POV Nike)

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Katharina hielt sich an ihrer Kaffeetasse fest.
Lass ihr Zeit, Nike ....!
Ich hatte schon im Schlosspark gemerkt, dass es sie eine unglaubliche Überwindung gekostet hatte, mir ihren Seitensprung zu beichten.

Wie sie dort vor mir saß...
Ausgelaugt, übermüdet, fix und fertig...
Die Sonnenstrahlen fielen durch das große Sprossenfenster und wärmten meine Schultern .
Ich zog die Beine an und umschlang sie mit meinen Armen.
Die letzte Nacht steckte mir in allen Knochen und trotzdem versuchte ich jetzt für Katharina da zu sein!

Ich musste an das schöne Foto von ihr und ihrer Familie aus dem Sommerurlaub denken, das in ihrem Spind hing.
Die Katharina, die jetzt hier vor mir saß, war nur noch ein Schatten...
Sie erzählte mir vermutlich die Kurzversion der ganzen Geschichte und das, ohne wirklich zwischendurch Luft zu holen.
Als sie fertig war, sah ich, wie sie die Zähne aufeinander biss und mich traurig ansah.

„Das heißt also, dein Mann weiß bis heute nicht Bescheid?Hat er denn nicht irgendeine Veränderung an dir festgestellt?
„Nein...Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass er seit Monaten nur noch sein eigenes Leben führt und ihm gar nichts mehr auffällt!" sagte sie mit verzweifelter Stimme.
Ich sah, wie ihr ganz langsam dicke Tränen über die Wangen liefen...

Da ich ihr irgendwie nah sein wollte ohne ihr zu nah zu kommen, legte ich zögerlich meine Hand auf ihre.
Kein Streicheln oder ähnliches... Ich ließ sie einfach nur ruhig dort liegen und versuchte ihr damit zu sagen , dass sie nicht alleine war!
Solch ein Erlebnis erzählte man nicht jedem...
Schon gar nicht jemand wie Katharina.

Für sie stand einfach so viel mehr auf dem Spiel!
Ihre Familie, ihre Kinder, ihr Job den sie so liebte ... die Scham es jemandem zu erzählen?
Eine verheiratete Mutter fing in ihrem Sommerurlaub etwas mit einer sehr viel jüngeren Studentin an....
Ich stand auf, holte ihr eine Tempobox aus der Küche und eine kleine Wolldecke vom Sofa.

Katharina saß zwar vor mir, aber war gar nicht richtig da!
Ich legte ihr von hinten vorsichtig die Decke um die Schultern und stellte die Box neben sie.
„Was glaubst du, wie es dazu kommen konnte?" versuchte ich das Gespräch im Anschluss, als ich wieder auf meinem Stuhl saß, in eine neutralere Richtung zu lenken.
Denn wie schon erwähnt, hatte sie mir keine intimen Details erzählt aber im Ansatz konnte ich mir das eventuell schon vorstellen...

„Das mit Stefan und mir läuft schon eine Weile nicht mehr gut... Wir haben zwei tolle Kinder, ein Haus und gute Jobs aber das ist eben nicht alles...!"
Ich hörte ihren Magen so laut knurren, dass ich grinsen musste.
„Die Croissants liegen da nicht nur zum angucken...bitte iss eine Kleinigkeit, du bist wirklich blass!"

Sie nahm sich ein Tempo und wischte die Tränen vom Gesicht.
Ich nahm eins von den Croissants und hielt es ihr direkt unter die Nase.
„Na komm schon, die schmecken wirklich köstlich", und versuchte sie etwas abzulenken.
„Gott, ich heule sonst nie... was musst du bloß von mir denken?"

Katharina fühlte sich unwohl, da sie jemand anderem gestattete, hinter ihre „Fassade" zu schauen.
Sie nahm sich zaghaft das Croissant aus meiner Hand und brach ein Stück davon ab.
Ich goss ihr etwas heißen Kaffee nach und sah sie aufmunternd an.
„Ist denn in eurer Ehe irgendetwas passiert, was dazu geführt haben könnte, dass ihr euch so voneinander entfernt habt?"

Häufig waren solche Erfahrungen, die Katharina jetzt selbst miterlebt hatte, anders begründet.
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr diese Frage stellen durfte aber ich wusste auch nicht, wann wir mal wieder die Möglichkeit dazu hatten, unter vier Augen zu sprechen.
Katharina sah aus dem Fenster und war gedanklich ganz weit weg...

„ Katharina?"...
Sie schüttelte kurz den Kopf, als ob sie eine Erinnerung loswerden wollte.
Dann sah sie mich lange an und ich wusste , dass sie mir etwas erzählen würde, was nicht angenehm war...
Ich sah es an ihrem Gesichtsausdruck, wie sehr es sie quälte!

„Ich habe vor 10 Jahren unser drittes Kind im 6. Monat verloren! Es war ein Junge ....
Stefan und ich haben nie mehr darüber geredet.
Wir konnten es einfach nicht! Wir dachten immer , wenn wir nicht darüber sprechen, hat dieses Erlebnis nie stattgefunden...".

Katharina schaute wieder aus dem Fenster, schloss die Augen und genoss die Wärme der Sonnenstrahlen im Gesicht.
Sie war eine wunderbare Frau! Wenn man so etwas erlebte, was sie mir gerade erzählt hatte, dann verdiente sie so viel mehr!
Fürsorge, Halt, Geborgenheit, Liebe ...

„ Danach fand der Sex zwischen ihm und mir höchstens noch sporadisch statt und auch nur im dunklen Schlafzimmer . Als ob er sich vor mir ekeln würde."
Ich hielt mich extra zurück mit dem was ich eigentlich sagen wollte!
Sie suchte die Schuld bei sich... unfassbar....
Katharina dachte wahrscheinlich auch noch , dass sie für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich war..

„ Du weißt ja, wie Männer so sind, wenn es keinen Sex mehr gibt...", versuchte sie die Situation gerade abzutun.
Ich stand kommentarlos auf, ging um den Tisch herum und zog mir den Stuhl so dicht an ihren heran, dass ich direkt neben ihr saß.
„ Wann hat dir eigentlich das letzte Mal jemand gesagt, dass du eine unglaublich tolle und starke Frau bist,hm?Was du jeden Tag leisten musst, auf der Arbeit, mit den Kindern, dem Haushalt , mit dem Verlust eines Kindes...".

Sie konnte mich jetzt nicht mehr ansehen aber das war okay! Ich wollte ihr Mut machen, dass sie wirklich unglaublich war und momentan einfach für sich den Halt im Leben verloren hatte .
„ Ich weiß es nicht, Nike..Ich weiß eigentlich gar nichts mehr ....Ich habe das Gefühl, dass ich an allem Schuld bin!"

„Hatten wir zwei nicht eigentlich abgemacht, dass wir uns ansehen, wenn wir miteinander sprechen?"
Katharina drehte ihren Kopf langsam zu mir herum.
Ihre Augen waren gerötet und trotzdem sah sie wunderschön aus! Wir sahen einander an und ich musste an letzte Nacht denken.

Was ich dort getan hatte, fühlte sich in keinem Augenblick so intensiv an, wie der Moment, indem Katharina jetzt hier vor mir saß und mich mit verweinten Augen ansah!
„ Nike....ich ....." unterbrach sie sich , weil ihr Handy in diesem Moment klingelte.

„Meine Mutter...." , und ihre Stimme wechselte sekundenschnell von traurig zu alarmiert.

Glaub an dich , Liebes ! ( Zweiter Teil ) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt