Wei Ying hat sich weit über die Schriftrollen, die auf den Esstisch ausgebreitet liegen, gebeugt. Er runzelt die Stirn und hantiert mit Chenqing herum, bevor er sie an seine Lippen führt und konzentriert ein mir neues Stück spielt. Es ist finster und Wei Yings Adern treten auf der Stirn hervor, er greift nach dem Rand des Tisches und lässt die Flöte fallen, als hätte er sich verbrannt.
"Scheiße", flucht er und stolpert über den Boden. Ich schaffe es ihm unter die Achseln zu greifen und gerade hinzustellen. "Das Stück zieht einem die ganze Energie raus." Er hat keinen starken Kern mehr, wie in seinem ersten Leben - den er auch abgegeben hat. Den, welchen Jiang Cheng jetzt trägt. "Ich kann ihm auch meinen Kern nicht geben, der ist zu instabil." Wei Ying wankt zu seinem Thron und lässt sich darauf nieder. Ich sehe zu ihm auf.
"Irgendjemand der einen guten stabilen Kern hat ...", sagt er zu sich. "Sag den Mädchen, sie sollen nach Freiwilligen suchen. Der Freiwillig darf mit seiner gesamten Familie mit ihm Palast leben." Mit dem Mädchen meint er wohl Shi Ruogang und ihre Freunde.
"In Ordnung", sage ich und eile durch den Palast, hinaus auf den Hof, wo sie sich um die Verwundeten kümmern. Als sie mich kommen sehen, unterbrechen sie ihre Arbeit.
"Hanguang-Jun", begrüßen sie mich und lächeln mich an. Sie alle haben ihre Haare in Zöpfe zusammengebunden und ihren Schmuck abgelegt. Sie sehen aus, wie normale Frauen, die man sonst überall findet.
"Ich soll von Wei Ying ausrichten, dass ihr nach Freiwilligen suchen sollt, die ihren Kern opfern wollen." Ich erkläre die ihnen die weiteren Einzelheiten und sie gehen schnurstrakts richtig Innenstadt. Mittlerweile ist es bereits Abend und ein wirres Treiben herrscht dort.
Ich kehre zu Wei Ying zurück, der nachdenklich noch immer in seinen Thron sitzt.
"Sie suchen", sage ich kurz zu ihm und setzte mich auf die Stufe vor seinem Stuhl.
"Gut. Aber wir können die Rituale auch nicht hier ausführen. Wir brauchen einen Ort mit viel dunkler Energie und vielen Toten. Mir kommt nur einer in den Sinn." Die Grabhügel.
"Das kannst du nicht machen, du willst darunter?"
"Siehst du einen anderen Weg?"
"Aber-" Mir wird heiß und ich spüre wie mein Herz kurz aussetzt. Das kann nicht sein ernst sein. Dort ist er gestorben und er will dorthin zurückkehren um Xiao Xingchen zurückzuholen.
"Es gibt keinen anderen Weg", stellt er klar. Das sagen mir auch seine Augen. Er wird es tun und meine Meinung dazu wird ihn nicht interessieren.
"Was wenn du dort umkommst?"
"Der Frieden ist wichtiger als mein Leben. Ich weiß wie du zu stehst, aber wir können nicht so egoistisch sein."
Er versteht es nicht. Ohne ihn ist mein Leben nichts. Ohne ist alles grau und leer, alles ist nur eine Hülle. Mir kommen die Tränen hoch. Allein der Gedanke ist unerträglich.
"Du kannst mitkommen", versucht er mich zu beschwichtigen. Er erhebt sich und kommt auf mich zu und ich komme auf wackligen Beinen hoch und wir stehen uns gegenüber. "Du kannst aufpassen, das nichts passiert."
"Mhm." Ich drücke ihn an mich und hoffe er sieht meine Tränen nicht.
Dennoch bin ich mir sicher, dass er spüren kann, wie ich weinen. Er legt die Hände um meine Schulter. "Selbst wenn was passiert, ich bin immer da. Und wenn wir beide sterben, werden wir uns im nächsten Leben widertreffen. Haben wir doch auch jetzt. Einmal, zweimal."
"Mhm." Ich bringe kein Wort raus. Dafür sind meine Gedanken zu wuselig.Auf den Weg zu den Grabhügeln, versucht Wei Ying weiterhin mich zu beruhigen. "Ich habe auf der Straße überlebt, die Entfernung meines Kerns und die Grabhügel." Das Wort Grabhügel, kommt ihm nur schwer über die Lippen.
"Was ist dort passiert?"
"Zu viel, ich kann mich nicht mehr erinnern. Die Toten haben nach mir gerufen. Man wird verrückt dort." Er schließt die Augen, um die Erinnerungen abzuschütteln. "Ich erzähl es dir ein andern Mal."
"Das musst du nicht, wenn es dich so belastet", erwidere ich.
"Es war das Schlimmste, was ich je gespürt habe, aber es ist lange her."
Ich antworte nicht. Ich will mir den Schmerz den du durchgemacht hast nicht ausmalen. Die Toten, die nach einem Rufen, keine Nahrung, kein Mensch. Jeder andere wäre dort unten gestorben.
"Es ist eben passiert." Er versucht es mit Gleichgültigkeit abzutun, aber in seinen Augen sehe ich Angst. "Die Mädchen meinten, der Freiwillige ist bereits da", wechselt er das Thema. "Keine Ahnung, wer, aber er soll korrekt sein."
"Hauptsache sein Kern ist stark", antworte ich und nickt.
"Das stimmt, aber ich will keinen Idioten bei mir zuhause haben."
Ich nicke und wir steigen schweigend den Berg hinauf.Oben angekommen erkenne ich eine golden-weiße Roben und bin zunächst irritiert. Als sich die Person langsam umdreht, kann ich es nicht fassen. Dasselbe arrogante Gesicht, dass noch gestern Wei Ying mit Xue Yang verglichen hat.
"Jin Ling, was machst du hier?", fragt ihn Wei Ying und runzelt die Stirn. Ich bleibe starr auf der Stelle stehen.
"Ich wollte helfen?"
"Ich hoffe das ist ein schlechter Scherz. Weißt du auf was du dich einlässt? Außerdem bist du noch nicht gesund."
"Du hast auch deinen Kern entfernt und jemand anderen gegeben, oder? Außerdem bin ich alt genug, um selber darüber zu entscheiden. Ich sollte ein Vorbild sein und kein Pfau."
Woher der Sinneswandel? Ein starker Wind kommt auf und Jin Lings langer Zopf peitsch durch den Wind.
"Du weißt schon, dass du sterben kannst. Es wird Tage dauern und es wird furchtbar sein. Als würde man deine Organe rausreißen."
Das hat er also alles durchgemacht und er hat mir nie davon erzählt. Wahrscheinlich weil allein die Erinnerungen schmerzhaft genug sind.
"Das ist mir egal. Ich bin ein Clan Anführer und ich werde tun, was ich für richtig halte."
Eingebildet ist er noch immer. Wei Ying seufzt. "Okay, okay, aber wenn was passiert, bist du selber Schuld."
Wei Ying geht an den Rand der Klippe und beugt sich über sie. Er schaut zu Jin Ling und dann zu mir und winkt mich zu sich. Ich geselle zu ihm und blicke ebenfalls über den Rand.
Dort unten sind Schwaben von dunkler Energie, so dicht ist sie dort. Es ist der Ort in der Kultivierungswelt mit dem dichtesten Anteil. Der perfekte Platz, um Xiao Xingchen zurückzubringen. Mir gefällt die Idee nicht, doch ich kenne keine andere Lösung.
"Lan Zhan, kannst du uns runter bringen? Mit deinem Schwert?"
"Ja", sage ich und meine Stimme zittert. Ich ziehe Bichen hervor und konzentriere mich darauf, meinen Kern mit Bichen zu verbinden, um es zu steuern. Als es aufsteigt, steige ich auf und helfe Wei Ying, der sich an mir festhält.
Mir wird unwohl zumute, als wir den festen Boden unter den Füßen verlassen und in die Dunkelheit schweben. Ich spüre bereits jetzt die Seele, ein eintöniges Flüstern von tausenden von toten Stimme und jede hört sich gleich an. Wie hat er das nur drei Monate lang ausgehalten?
Wei Yings Hände schließen sich fester um meine Hüfte und er verkrampft sich. Ich kann seinen flachen Atem in meinen Nacken spüren.
"Ich dachte nicht, dass so schlimm wird", sagt er mit trockener Stimme. Er zittert vor Furcht.
"Sollen wir zurück?", bietet Jin Ling ihm an.
"Ganz bestimmt nicht", antwortet Wei Ying sturköpfig, wie er nun mal ist. Auch wenn er Angst hat, kehrt er nicht um, er lässt sich nicht von ihr beirren.
Als wir über den Boden schweben, wir das Flüstern zu einem unendlich langen Kreischen und Jin Ling presst die Hände auf die Ohren.
"Bei den Göttern, was ist das?", fragt er und verzieht das Gesicht.
"Die Seelen, die für immer an die Erde gebunden sind", sage ich, da Wei Ying damit beschäftigt ist sein Gleichgewicht zu halten.
"Warum?"
"Rache, Wünsche, die meistens sind brutal gestorben."
"Oh. Deshalb nennt man es so."
Wei Ying schlottert immer stärker. Als er vom Schwert abspringt, stolpert er über den Boden und die Seelen sammeln sich sofort um ihn. Auch er hält sich die Ohren zu. Jin Ling steht ahnungslos neben ihm. Ich reiche Wei Ying die Hand und drücke sie fest.
"Es ist alles in Ordnung", versichere ich ihm, wobei ich mir da nicht nicht sicher bin. "Du schaffst das. Sie können dir nichts anhaben, Wei Ying."
Er nickt und seine Augen werden wieder klarer.
"Es ist eine Kopfsache."
"Danke, Lan Zhan, danke", sagt er und drückt meine Hand fester, bevor er sie loslässt und sich neben Jin Ling stellt. "Schau morgen wieder vorbei und wenn wir ein Feuer machen, hol uns sofort raus. Das ist das Notrufsignal, ja?"
"Ja, bis morgen", verabschiede ich mich und steige wieder höher auf, ohne sie aus den Augen zu lassen.Was danach passieren wird, kann ich nicht wissen. Ich kann nur abwarten und morgen nachsehen. Ich hoffe nur, dass dir nichts passiert. Nicht schon wieder.
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Again and Again - WangXian[ABGESCHLOSSEN]
Fanfiction[Fortsetzung von MDZS] Acht Jahre ist es her seit sich die Wege von Wei Ying und Lan Zhan getrennt haben. Als Lan Zhan beschließt Wei Ying zu finden, kommen neben seiner Unsicherheit wie er seine Gefühle gestehen soll, noch andere Probleme dazu: Er...