Jared

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„Feierabend!"ruft Ernie mir müde zu. Ich bin gerade damit beschäftigt, das Putzwasser auszuleeren, der Geruch steigt mir beißend in die Nase. Nun, es müsste schon ziemlich abgestanden sein, schließlich habe ich seit Stunden damit geputzt? Ich rieche auch Ernie's Schweiß, er befindet sich zwei Räume entfernt von mir... und ich weiß genau, was das zu bedeuten hat. Meine Sinne sind geschärft. Ich stelle den Eimer zurück, nachdem ich ihn gesäubert habe und schiebe den Putzwagen in den Verschlag.

Mein Magen knurrt laut, verdammt laut. Ich lausche auf Ernie's Reaktion, aber es kommt nichts. Sicher, Ernie ist schon ein wenig taub, aber Menschen hören im allgemeinen nicht so gut wie wir. Und er ist womöglich weit genug entfernt. Als ich an dem Raum vorbei gehe, in dem er gerade Stühle zusammenstellt, rufe ich:

„Okay, ich bin soweit. Wie sieht's bei dir aus?"

Er zögert.

„Oh, gerade ist mir eingefallen, dass wir eine Beschwerde wegen den Papierkörben hatten. Ich kontrolliere sie lieber noch mal. Aber geh' ruhig, du siehst müde aus."

Das Angebot nehme ich gerne an, da ich nicht weiß, ob ich mich noch länger unter Kontrolle halten kann. Ich zwinge mir ein Lächeln ab und winke Ernie zu.

Dann flitze ich schnell die Treppen hinunter zur Umkleide, öffne meinen Spind. Ein eingefallenes, blasses Gesicht schaut mir aus dem Spiegel entgegen, meine Augen liegen tief in den Höhlen. Aber immer noch so jung. Keine einzige Falte, ich bin immer noch 30, nach so langer Zeit. Gruselig. Und ich bin alles andere als müde. Mein Körper braucht Schlaf, natürlich, aber auch noch etwas anderes... Nahrung! Ich ziehe das Haarband aus meinen Haaren und fauche mein Abbild an, ich mag diesen Typ schon lange nicht mehr!

„Du kannst noch warten, meinetwegen krepier' doch vor Hunger!" sage ich leise zu meinem Spiegelbild.

So wütend, auf das, was ich bin. Auf mein Leben. Und auf das, was ich tun muss, um zu überleben. Ich werfe die Spindtür mit Schwung zu, der Hall schallt durch das ganze Stockwerk. Ernie ruft aus Richtung der Treppe:

„Alles klar mit dir?"

Wenn es das nur wäre.

„Ja, das alte Ding hat wieder rum gezickt, wollte nicht zu gehen." antworte ich laut.

Ich muss mich beeilen, er wird gleich hier sein.

Selbst in der Nacht ist die Luft kaum abgekühlt, darum lasse ich meine Lederjacke hier. Wieder knurrt mein Magen. Zum Glück ist Ern wohl zur Toilette gegangen, ich muss hier weg, bevor ich ihn noch zerfleische. Ich hätte mich gestern Abend nähren sollen, aber habe zu lange geschlafen, konnte mal wieder nicht aufstehen oder wollte nicht, wer weiß. Menschen nennen das wohl eine Depression, ich nenne es mein Leben. Gut, es war nicht immer so. Erst seit... keine Ahnung.

Egal, ich wäre zu spät zur Arbeit gekommen, wenn ich gejagt hätte. Und diesen Job darf ich nicht verlieren, er ist absolut passend, anonym, und die Arbeitszeit, in der Nacht, ist genau richtig. Ich trete vor die Tür, es ist schon hell draußen, zu viele Leute unterwegs. Ich muss es nur noch nach Hause schaffen, beruhige ich mich. Heute Abend stehe ich früher auf, um mich an einem Penner oder irgendeinem Junkie zu nähren.

Ernie, der hinter mir erscheint, bietet mir an, mich mit zu nehmen. Ich lehne dankend ab. Zu gefährlich, ich verabschiede mich und schlurfe zur U-Bahn Station. Die Bahn ist mein Schutz, ich tauche in die Menge ein, die mich davor bewahrt, jemanden zu essen. Die verschiedenen Gerüche ekeln mich an, sodass ich schnell meinen Appetit vergesse. Meistens funktioniert das. Meistens. Wenn nicht, steige ich aus und laufe durch die Gassen. Der Bahnsteig ist voll, jedoch sieht mich niemand wirklich.

Ich steige in die Bahn und gehe bis nach hinten, dort bin ich unsichtbar und sicher.



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