26. Kapitel - Gespräche ohne Worte

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Sylan öffnete verschlafen die Augen, als die ersten Sonnenstrahlen seine Haut kitzelten. Er starrte an die weiß verputzten Steine der Decke über ihm. Wie so häufig in letzter Zeit, es war schon fast zur Gewohnheit geworden, überlegte er fieberhaft, wo genau er war. Wie jedes Mal kehrten die Erinnerungen nur langsam zurück, zuerst die schon lange zurückliegenden, und zuletzt die des gestrigen Tages. Der Zwerg trat zusammen mit den mysteriösen Worten Reliags zuletzt in seine Erinnerung zurück. Ohne seinen Namen zu nennen, hatte er das Wesen der Sucher erklärt, besser als jeder, der es zuvor versucht hatte. Der Dolch, der die Feinde tötet, wiederholte Sylan, doch wer war dieser Feind? Neue Fragen, die sich zu den anderen unbeantworteten gesellten. Das Schild, welches den Frieden schützt, überlegte er weiter, und tatsächlich gelang es seinem Verstand dieses Mal einen Zusammenhang zu bilden: Das Credo, sowie die Geschichte über Reliag, dem ersten Sucher, alle sprachen sie von einem Frieden, den es zu finden und bewahren gilt.

Wahrer Friede, die Wörter geisterten durch seinen Verstand, Feinde. Wörter, die zu ihm sprachen, ihm etwas mitteilen wollten, doch verstand er ihre Sprache nicht. So willkürlich kamen sie ihm vor. Freund und Feind, nur durch die Interpretation alter Worte voneinander getrennt. Die stürmisch aufgerissene Tür unterbrach seine Gedanken jäh. Ein junger Mann stolperte in sein Zimmer und lächelte ihn breit an, als er ihn unter der Bettdecke entdeckte. „Versteckst du dich vor mir?", fragte der Sucher, dessen dunkle Kleidung eher funktional, als schön zu bezeichnen war. Schallendes Gelächter brandete über Sylan hinweg, als sein Gegenüber sich über seinen eigenen Spruch amüsierte.

Etwas landete neben ihm auf dem Bett und ließ den Jungen zusammen zucken. „Zieh das an", wurde er angewiesen: „Sonst verpasst du noch das Essen." Der Mann drehte ihm den Rücken zu und versprach überschwänglich, dass er sich in keinem Fall umdrehen würde: „Nur wenn ein Drache durch die Decke bricht, würde ich diesen Schwur brechen", fügte er noch hinzu, und Sylan vermutete, dass er wieder grinste: „Doch sei dir gesagt, dass die Decke dick, und die Stadt darüber groß ist, ein Drache wird es wohl kaum bis hierher schaffen." Völlig überrollt, vom Redeschwall seines Gastes hatte Sylan noch immer kein Wort gesagt. Langsam wühlte er sich unter seiner Decke hervor und griff nach den Klamotten. Er hielt die gleiche in einem dunklen Grauton gehaltene Kleidung in der Hand wie sein Gegenüber, ordentlich zusammengelegt und frisch gewaschen.

Sylan schlüpfte hinein und stand verloren neben seinem Bett. Gerade war dem jungen Mann aufgefallen, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hatte, und holte dies wortreich nach. Verec nannte er sich und beschrieb sich als den zukünftigen Meistersucher. „Du wirst schon sehen, früher oder später halte ich ein Adleramulett in den Händen, ihnen wird gar nichts anderes übrig bleiben, als mir eines zu geben." Ohne drüber nachzudenken wanderte Sylans Hand an seine Brust, tastete nach seinem Erbstück, und fand es zu seiner Beruhigung unter den ungewohnten Klamotten. "Willst du denn gar nichts sagen?", fragte Verec und drehte sich dabei um, seinen Schwur geflissentlich ignorierend. Erschreckt riss Sylan seine Hand nach unten, er hatte das Gefühl, dass es besser war, das sein Gegenüber nicht von seiner Herkunft erfuhr. Oder wusste er es bereits?

"Frühstück?", krächzte Sylan und versuchte dabei zu lächeln. Das freundliche Lachen Verec. machte klar, dass es ihm nicht gelungen war. "Entspann dich!", meinte er und klopfte ihm im vorbeigehen auf die Schulter: "Sylan, richtig?" Es war schon erstaunlich, wie der junge Mann es schaffte, sich Minutenlang mit ihm zu unterhalten, und erst jetzt nach seinem Namen zu fragen. Wenn Sylan es recht bedenkt, war Verec nicht der erste, der nicht viel auf Namen gab. Der Zwerg, der ihn gestern bei den Suchern begrüßte, hatte es vorgezogen, ihm seinen ganz zu verschweigen.

Ohne auf eine Antwort zu warten ging es die Tür hinaus und den schmucklosen Gang entlang. Rhetorische Fragen waren eine Kunst, und Verec brachte sie jeden Tag aufs Neue zur Perfektion und seine Mitmenschen zum Verzweifeln. Das, und seine Fähigkeit, ununterbrochen reden zu können. Er gehörte zu den Menschen, die sich mit einer Wand unterhalten könnten und peinliches Schweigen trotzdem nur aus Erzählungen kannten. Sylan war das mehr als Recht, zu mehr als wie ein Schlafwandler durch die Gänge zu torkeln war er ohnehin nicht im Stande. Wieder ein neues Gesicht, wieder eine anderer Mensch, und wieder andere verborgene Absichten, die er nicht im Entferntesten erahnen konnte.

Im Bann der DelaniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt