„Berichte, was geschehen ist“, wies Damian den zu seinen Füßen knieenden Tealon an, ohne ihm die Erlaubnis zu erteilen, sich zu erheben. „Warum kehrst du zurück, ohne deinen Auftrag erfüllt zu haben?“ Weil du es mir befohlen hast, dachte Tealon bitter, weil du mir das Beheben meines Fehlers untersagt hast. Tagelang hatte er seine Männer über die Handelsstraße getrieben, bis die Pferde vor Erschöpfung fast zusammengebrochen waren, nur um möglichst schnell in Askeron zu sein. Vollkommen übermüdet und mit einem vom langen reiten schmerzenden Körper hatte er die innere Mauer durch das Königstor durchquert und dummerweise damit gerechnet, sofort empfangen zu werden. Doch der einzige der ihn erwartet hatte, war ein Bote, der ihm mitteilte, dass Damian zurzeit sehr beschäftigt sei und somit das Kriegsgericht noch nicht einberufen werden könne. Außerdem wurde ihm ein Wächter zugeteilt, der Tealon auf Schritt und Tritt gefolgt war. Warum sperren sie mich nicht gleich in irgendeine Gefängniszelle? Drei Tage dauerte es, bis die Zeit des Wartens endlich ein Ende hatte. Während Tealon gerade auf dem Übungsplatz der Burg von Askeron war und ungestüm mit einem stumpfen Trainingsschwert auf eine Strohpuppe einschlug, trat sein privater Wächter, Tealon hatte ihn nie nach seinem Namen gefragt, an ihn heran: „Ser, sie werden erwartet.“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung des überdachten Ganges, der an einer Seite den Innenhof begrenzte, und der rote Federbusch auf seinem Helm, der ihn als Mitglied der Stadtwache auswies, wippte dabei auf und ab. Derselbe Bote, wie schon bei seiner Ankunft, wartete im kühlen Schatten des Ganges und hatte sich nicht dazu bequemt in die Sonne hinaus zu treten. Tealon hatte sein Schwert dem verdutzten Wächter zugeworfen, der es im letzten Moment bevor es auf dem Boden aufkam auffing, und rief dann dem Boten zu: „Ich hoffe es ist mir gestattet mich angemessen zu kleiden?“ Kurz war der Blick des Höflings zwischen seinen nackten, verschwitzten Oberkörper und der einfachen Hose hin und her gezuckt. „Damian erwartet sie in zehn Minuten in der kleinen Halle.“
Nun kniete er in eben jener Halle und wurde aufgefordert sein eigenes Versagen vor allen Anwesenden darzulegen. Ungefragt erhob er sich und schaute Damian herausfordernd in die Augen. Er kann mich bestrafen, aber ich werde mich nicht erniedrigen lassen. Wie Tealon gehofft hatte ließ ihn der General gewähren und wies ihn nicht zurecht. Etwas selbstbewusster als zuvor schaute er zu seinem Vater hinüber, doch Atos Kalgard trug eine undurchschaubare Maske zur Schau, in der keinerlei Gefühle zu erkennen waren. Weiter wanderte sein Blick über die vier Stühle, die unterhalb des erhöhten Thrones standen. Links neben seinem Vater stand der verwaiste Stuhl der Lamfurt Dynastie. Geron zog schon seit langem seine Studien der Naturwissenschaften den Pflichten des Friedenswächters vor. Nur selten verließ er seine Burg und so fiel es seinem Sohn Jofrid zu, die Politik in Askeron mitzugestalten. Allerdings schien auch dieser kein Interesse am Niedergang eines Kontrahenten zu haben. Kelegar Talham hingegen ließ sich so etwas nicht entgehen. Der bereits etwas in die Jahre gekommene Mann hatte sich gemütlich zurückgelehnt und Tealon hätte schwören können, dass sich hinter dem dichten Bart ein gehässiges Grinsen verbarg. Die Talhams waren die mit Abstand reichste Familie unter den Menschen und zögerten auch nicht ihr Geld einzusetzen, sei es zur Bestechung oder schlimmeren. Es wird schon lange gemunkelt, dass ein Teil des Geldes in die Taschen der Sucher fließe, damit diese unliebsame Gegner aus dem Weg schafften. Allerdings befand sich ihr Stern am sinken, seit der zweite Orkkrieg begonnen hatte. Zwar verdiente Kelegar durch Waffen und ähnliches reichlich am Krieg, aber sein Reichtum begründete sich im Handel mit den Zwergen. Seit diese sich hinter ihre Mauern zurückgezogen haben, war diese Goldgrube versiegt und Kelegar auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit sein Reichtum zu mehren. Auch Lafian Narwald, der älteste Sohn des Friedenswächters Wendon Narwald, wollte sich diese Demütigung nicht entgehen lassen. Er hatte sich schon abfällig über die Kalgard Dynastie geäuert, als er noch nichts von Politik verstanden hatte. Die Tradition seiner Vorfahren war nur schwer abzulegen. Sein rechtes Bein über die Armlehne seines Stuhls gelegt, schaute er abfällig auf ihn hinab. Doch es war nicht Lafian, der heute über Tealons Zukunft entscheidete, sondern der General. Drei Stufen höher als die der Friedenswächter erhob sich der Thron des Königs über die kleine Halle. Allerdings schaute nicht Belenor auf ihn herab, sondern Damian Narwald, Oberbefehlshaber der Armee, denn im Krieg besaß er die Befugnisse eines Königs und so stand ihm auch im Kriegsgericht der Thron des Königs zu.
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Im Bann der Delani
FantasyEin Krieg endet, und ein neuer beginnt. Während die Witwen noch um ihre verstorbenen Ehemänner trauern, ziehen ihre Söhne bereits demselben Schicksal entgegen. Frieden ist nicht mehr als eine Erinnerung in den Köpfen der Menschen, Zwergen und Elfen...