Unbeweglich stand er in dem kleinen Zimmer, welches die Besitzerin des Gasthauses von Grandon ihm gezwungenermaßen zur Verfügung gestellt hatte. Jeder Muskel war angespannt und sein Blick starr auf die Kristallkugel gerichtet, welche auf dem wackeligen Tisch stand, den zuvor die Waschschüssel eingenommen hatte. Abgesehen von diesem befanden sich in der kleinen Kammer noch ein Bett mit einer unangenehm harten Matratze und ein große Truhe, in der man seine Sachen verstauen konnte. Neben Tealon lehnte Cabras an der Wand und betrachtete gelassen die neblig grauen Schwaden, die sich langsam durch das Innere der Kugel wanden. Eine eisige Stille lag über dem Raum, während die beiden Männer aufmerksam auf die glatte Oberfläche der einen Fuß großen Kugel schauten. Die Zeit verging quälend langsam und in jeder Sekunde, die verstrich, machte Tealon sich mehr Sorgen. Was sind die Folgen meines Versagens? Werde ich eine zweite Gelegenheit bekommen mich zu beweisen, oder habe ich die Gunst des Königs und vielleicht sogar die meines Vaters bereits verloren? Alle seine Träume und Ziele hingen von dem gleich folgenden Gespräch ab, und er wusste, dass die Chancen gegen ihn standen.
Schneller und immer schneller drehten sich die Nebelschwaden, doch erst als sich Cabras von der Wand abstieß und an die Kugel trat, bemerkte der Hauptmann die Veränderung. Der Magier legte seine rechte Hand auf die Kugel, woraufhin die Nebelschwaden ein wettergegerbtes und von tiefen Falten durchzogenes Gesicht formten. Der stechende Blick des alten Soldaten fixierte Tealon und zwang den jungen Ritter nach wenigen Sekunden die Augen zu senken. „Tealon Kalgard … ich gehe davon aus, sie haben ihren Auftrag erfüllt?“, ergriff der General nun das Wort und verschwieg dabei den Rittertitel, der Tealon zugestanden hätte. Als Befehlshaber des Heeres und der Stadtwachen, würde ihn niemand für diese Beleidigung zur Rechenschaft ziehen. Selbst sein Vater Atos, Oberhaupt der Kalgard Dynastie und somit einer der vier Friedenswächter, würde für seinen drittgeborenen nicht gegen eine andere Wächterdynastie vorgehen, viel zu weitreichend wären die Folgen. Der General Damian Narwald wusste um diesen Umstand und nutzte ihn bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit aus. Damit folgte er der mehr als sechs Jahrhunderte alten Tradition seiner Vorfahren, denn die vier Wächterdynastien, angeführt von ihrem jeweiligen Friedenswächter, befanden sich in einem endlosen Machtkampf um die Herrschaft des Menschenreiches. Nachdem das alte Herrschergeschlecht der Falsaren während der ersten Orkkriege gestorben war, beschlossen die zurückgebliebenen Adeligen, die vier mächtigsten Familien zu Wächterdynastien zu ernennen und ihre Oberhäupter, die Friedenswächter, den neuen König wählen zu lassen. Es dauerte Jahre, bis nach zahlreichen Versuchen jemanden aus der eigenen Wächterdynastie auf den Thron zu bringen, schließlich ein eher unbekannter Adeliger den Titel des Herrschers erlangte. Genau wie seine Nachfolger war er trotz seiner hohen Position vollkommen machtlos und musste dem Willen der Friedenswächter folgen. Die Narwald-Dynastie besaß unter anderem auf Grund von der hohen Position Damians, enorme Macht und Einfluss auf Belenor, weshalb Tealon jede Kränkung des Generals widerspruchlos hinnehmen musste.
Tealon verschränkte die Hände hinter dem Rücken, um seine Nervosität zu verbergen und antwortete dann mit belegter Stimme ohne den Blick zu heben: „Sie sind mir entkommen, aber…“ Sofort wurde er von Damian unterbrochen, ohne dass dieser seine Erklärung abwartete: „Ich habe dir diesen Auftrag anvertraut, weil dein Vater mir versicherte, du wärest fähiger, als diejenigen, die ich vor dir aussandte.“ Mit gefährlich ruhiger Stimme und einem eisigen Unterton wusste der General, wie er sich bei seinen Untergebenen Gehör verschaffte. „Doch wieder einmal zeigt sich, dass die Kalgards nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und nicht zum Wohle des gesamten Reiches handeln“ Als wäre es bei dir anders, ging es Tealon sofort durch den Kopf, doch er besaß genug politisches Verständnis, um dies nicht laut auszusprechen. Das die Narwald Dynastie ihnen nicht wohlgesonnen war, war schon seit langem kein Geheimnis mehr, doch ein direkter Angriff eines Hauptmannes gegenüber des obersten Befehlshaber würde das Fass endgültig zum überlaufen bringen.
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Im Bann der Delani
FantasyEin Krieg endet, und ein neuer beginnt. Während die Witwen noch um ihre verstorbenen Ehemänner trauern, ziehen ihre Söhne bereits demselben Schicksal entgegen. Frieden ist nicht mehr als eine Erinnerung in den Köpfen der Menschen, Zwergen und Elfen...