27. Kapitel - Gefühle im Gegensatz

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Lika, schoss es durch Denors Gedanken, als der Leib des hochnäsigen Jünglings zu Boden fiel. Ohne ein Wort der Erklärung lief er los, lies die beiden Elfen stehen, sprang über Leichen hinweg, und hetzte über die von Blut rutschigen Planken des Schiffes. Er brauchte einen Moment, bis er die Luke fand, die in den Bauch des Schiffes führten, und die steile Treppe nahm viel zu viel Zeit in Anspruch. Um ein Haar wäre er vor Hektik abgerutscht, im letzten Moment gelang es ihm sich zu fangen. Lika! Er war noch immer geschwächt von der Schlacht, und seine Beine hatten sich gerader erst wieder daran gewöhnt, wie sie zu gehen hatten, doch sein Wille war stärker als sein Muskeln. Gerade hatte er die letzte Stufe geschafft, als er schon wieder aufgehalten wurde. Die gefangenen Seemänner drängten nach oben, ihre Bewacher waren scheinbar beim Ausbruch des Kampfes nach oben gelaufen, in der Annahme, dass die Männer hier unten keine Gefahr darstellten.
Die unterschiedlichsten Emotionen zeigten sich auf ihren Gesichtern. Erleichterung bei manchen, einige schienen noch nicht ganz erfasst zu haben, was gerade passierte, während andere ganz offen Wut und sogar Hass zur Schau stellten, als sie ihn erkannten. Doch egal, was es auch war, Denor bekam davon nichts mit, der einzige Gedanke galt Lika, und kein Mittel erschien ihm übertrieben, um zu ihr zu gelangen. Rücksichtslos kämpfte er gegen den Strom an, schob, drückte und schlug um sich, und nicht selten wurde ihm dies mit einem herben Stoß gedankt. Nicht einmal den Schmerz nahm er war, es war ein Ansporn schneller zu sein, mehr nicht. Lika!
Die Magier, die als Gäste auf dem kleinen Handelsschiff gereist waren, hatten sich nicht viele Freunde unter den Seemännern gemacht. Das Übel, das ihnen wiederfahren war, wurde allein ihnen zur Last gelegt, und das zugegebenermaßen nicht zu Unrecht. Einzig die Magier hatten die Aufmerksamkeit der Jägerflotte auf sich gelenkt, und so den Untergang des kleinen Schiffes provoziert. Die Seemänner hatten keine Scheu, zu zeigen, was sie von ihm hielten, und so bezahlte er mit reichlich blauen Flecken. Zum Glück blieb es vorerst bei dieser harmlosen Rache, für das was sie durch die Magier erlitten hatten. Lika!
Endlich hatte er es durch sie hindurch geschafft, und stand nun im menschenleeren Rumpf des Schiffes. Hektisch guckte er sich um, und mit jeder Sekunde, er der er sie nicht entdeckte, steigerte sich seine Angst. Langsam rann ein einzelner Schweißtropfen, seine Stirn herab, ob vor Angst oder Anstrengung, wusste er nicht zu sagen. Bitte, flehte er, bitte nicht. Kopflos rannte er umher, schaute überall nach, rutschte auf den glatt getretenen Planken aus und stand ohne zu zögern wieder auf. Ein Haufen Taue in der hinteren Ecke des schmalen Frachtraums erregten seine Aufmerksamkeit und beinahe wäre er wieder gestolpert, als er mehr rennend als gehend zu den Tauen lief. Sein Herz schlug schneller, als er entdeckte wonach er suchte. Lika!
Wie tot lag sie dort, als hätte man sie nur abgeladen, um Platz zu schaffen. Lebt sie noch?, Verzweiflung stieg in ihm auf, die er bislang nur mühsam unterdrückt hatte, hat man ihr überhaupt zu Essen gegeben?  "Lika", flüsterte er und setzte sich neben sie. Vorsichtig bettete er ihren Kopf in seinem Schoß, beugte sich nach vorne und horchte auf ihren Atem. Ganz schwach strömte die Luft über seine Wange, wie die rettende Reiterei, die die Fußtruppen vor einer Übermacht bewahrte. Erschöpft atmete er aus, langsam entspannten sich seine Muskeln wieder, die sich vor Panik verskrampft hatten. Ein Glücksgefühl breitete sich in seinem Inneren aus, welches er schon lange nicht mehr erlebt hatte. Einzig und allein das sie lebte, machte ihn glücklich, und da konnte auch eine untergehende Welt nichts dran ändern.
Noch nie hatte er die Gelegenheit gehabt, sie so schamlos anzustarren, verboten es ihm doch die gesellschaftlichen Normen. Für einen kurzen Augenblick, waren all die Probleme aus seinem Kopf verschwunden, die sich vor ihm türmten. Vorsichtig strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und löste gleichzeitig den Zauber, der sie am Aufwachen hinderte. Lika murmelte etwas Unverständliches und kuschelte sich tiefer in seine Arme, dann öffnete sie die Augen. Es dauerte einen Moment, bis ihr Blick sich schärfte, die lange Zeit des Schlafens forderte seinen Tribut.
Sie lächelte, als sie ihn erkannte, doch nur für einen kurzen Moment, dann kehrte die allgegenwärtige Trauer in ihren Blick zurück. „Was ist passiert?“, fragte sie heiser: „Wie lange hab ich geschlafen?“Angst flackerte in ihrem Blick auf, Angst etwas schreckliches verpasst zu haben. „Nur einige Tage“, beruhigte er sie schnell, noch immer berauscht, vom kurzen Anflug eines Lächeln auf ihren Lippen: „Ich hole dir etwas zu trinken und…“, Lika unterbrach ihn, bevor er seinen Plan in die Tat umsetzten konnte. „Nein, bleib bei mir und erzähl, was passiert ist.“ Forderte sie ihn auf. Sie schob ein paar Taue zurecht um es bequemer zu haben und schaute erwartungsvoll zu ihm auf.
"Wir ...", er zögerte kurz, " Wir wurden angegriffen, drei Schiffe. Wir hatten keine Chance zu fliehen." Likas Augen weiteten sich: "Sind wir Gefangene?", fragte sie flüsternd. Denor konnte spüren, wie sie sich in seinen Armen verkrampfte. "Nein", widersprach er; "Nein! Nicht mehr. Wir wurden gerettet, von ... einer Elfe." Immer leiser sprach Denor, die Erinnerungen kamen hoch. Er sah Malin vor sich auf dem Deck, mit leerem Blick. Er spürte die schwarze Magie, wie sie sein Herz umschloss. Lika sagte etwas, doch er hörte es nur wie aus weiter Ferne. Alles, was nach Magie aussah, leistet dir hier oben an Deck Gesellschaft, die Worte des Jünglings Naslan. Wo ist Malin? Hätte er nicht ebenfalls auf Deck sein müssen? Die Erkenntnis kroch in seinen Verstand, langsam aber unaufhaltsam.
Er stand auf, Lika auf dem Arm. „Wo willst du hin?“, fragte sie entsetzt. Mit starrem Blick ging er den Weg zurück, suchte nach der Kapitänskajüte. "Du solltest dich noch ein wenig ausruhen", meinte er. Lika bäumte sich in seinen Armen auf: „Was soll das werden? Ich habe lange genug geschlafen!“ Er ignorierte ihre Einwände, ein Verdacht bildete sich vor seinen Augen, der ihm ganz und gar nicht gefiel. Das kann nicht sein. Er brauchte Gewissheit, doch Lika dachte gar nicht daran, ihn gewähren zu lassen.  Umständlich öffnete er die Tür, während sie sich in seinen Armen wand, um sich von ihm zu befreien. Schließlich gelang es ihm, den dunklen Raum zu betreten und auch die wütende Beschwerden von Lika hielten ihn nicht zurück. Ein richtiges Bett nahm den meisten Platz ein, ungewöhnlich für ein Schiff dieser Größe, doch bei einem Kapitän wie Naslan nicht verwunderlich. Vorsichtig legte er Lika hinein, die sich weiterhin mit Händen und Füßen dagegen wehrte.
"Denor!", schrie sie schon fast, dem weinen nahe, "Sag mir was los ist." Ein Teil des jungen Magiers wollte es hier erklären, wollte ihr helfen, doch er brachte es nicht über sich. Ein zerbrochener Krug lag auf den Brettern, ein nasser Fleck drum herum. Er suchte weiter nach etwas zu trinken, fand zuerst etwas Käse und einen halben Leib Brot, den er ihr zusammen mit einem Wasserschlauch, der irgendwo auf dem Boden lag, brachte. Lika versuchte aufzustehen, doch erging es hier genauso wie ihm, nach der erzwungenen Tatenlosigkeit: Die Beine gaben unter ihr nach, sie taumelte und landete in seinen Armen. Dumpf prallte das Brot auf dem Boden auf, der Wasserschlauch folgte, nur den Käse konnte er gerade noch festhalten.
Nur wenige Handbreit trennten ihre Gesichter von einander. Sekundenlang verharrten sie in dieser Position, schauten sich in die Augen, keiner wusste wie er reagieren sollte. Sein Herz begann schneller zu schlagen und das Blut schoss ihm ins Gesicht. Kurz wanderte ihr Blick nach unten, dann sofort wieder zurück in seine Augen. Langsam, ganz langsam bewegte sie sich aufeinander zu, unsicher, ob sie das richtige taten, und genau die Reaktion des Gegenübers betrachtend. Lika schloss die Augen, als das Bild von Malin vor ihm auftauchte, reglos auf den Planken liegend. Er wusste nicht, woher es so plötzlich kam, doch es bremste sein Herz so schnell, wie es nur ein Riff bei einem Schiff vermochte.
Er zögerte noch einen Moment, spürte noch einmal den Atem Likas auf seinem Gesicht, dann nahm er sie wieder auf den Arm und trug sie zurück ins Bett. Ein erschrockener Laut kam über ihre Lippen, so sehr hatte er sie überrascht. Verunsichert und traurig schaute sie ihm hinterher, als er das Zimmer fluchtartig verließ. Sogar zu perplex, um sich zu beschweren. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war und dazu verdammt, alleine darüber nachzugrübeln.
Er stand vor der Tür der Kapitänskajüte und versuchte zu erfassen, was gerade geschehen war. Lika wollte mich... Ein Wechselspiel der Gefühle durchrollte seinen Körper. Ich hab es vermasselt, die Freude war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Er drehte sich um und betrachtete niedergeschlagen die Tür, die ihn von Lika trennte. Seine Hand schwebte über der Klinke. Denkt sie ich hätte sie zurückgewiesen? Er wollte sich erklären, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Eine unbewiesene Anschuldigung wird ihr kaum als Erklärung reichen, entschied er nach Minuten des inneren Kampfes, was sollte er auch sagen, dass er einen Toten sieht, wenn er ihr näher kommt? Schweren Herzens stieg er die Stufen hinauf und stand kurz darauf auf dem Deck.
Er stand vor der Treppe, schaute sich um. Die Elfe stand, umringt von den Seemännern, zu seiner rechten. Gerade hielt sie einen Beutel hoch und verkündete, dass das dem Kapitän versprochene Geld nun ihnen gehöre, falls sie noch immer zu den Elfen fuhren. Es war schwer zu sagen, ob das Gold, oder die Elfe mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, starrten die Seemänner sie doch an wie eine Meerjungfrau. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, und befasste sich damit, einen neuen Kapitän zu wählen. Denor wandte sich ab, sie war es nicht, nach der er suchte.
Lendoran stand am Heck und starrte aufs Meer hinaus. Die Gezeitenklinge schwebte in seiner linken Hand über dem Wasser. Denor meinte ein kleines Zittern erkannt zu haben, bevor der Elf seine Schritte hörte und sich umdrehte. Seine Stirn runzelte sich, als er Denors Miene sah. Finster starrte dieser ihn an. Die vermasselte Gelegenheit bei Lika machte seine Stimmung nicht besser, und es kam nur ein Schuldiger in Frage, sofern seine Verdacht richtig war. "Wo ist Malin?", eine Frage, die mehr rhetorisch, als sinnvoll war. "Ich fürchte, er hat den Kampf nicht überlebt", sagte Lendoran langsam. Nicht überlebt?", herrschte Denor ihn an. Die Ruhe, die der Elf ausstrahlte, um ihn zu beruhigen, machte ihn nur noch wütender.
"Du hast ihn umgebracht!", nur wenige Handbreit trennten sie noch voneinander. Seine Wut bewahrte ihn davor Angst zu haben. "Bitte, urteile nicht, ohne zu verstehen", der Elf war ein paar Handbreit größer als der junge Mensch und schaute von oben auf ihn herab. Doch hielt es Denor nicht davon ab, die Beherrschung zu verlieren. "Schwarze Magie, ein toter Freund, ein Gemetzel unter Unschuldigen. Wie skrupellos kann man sein, dass alles erklären zu wollen?", schrie er und scherte sich nicht darum, dass die Seemänner ihn hören konnten. "Hör mir nur ...", heftig stieß Denor ihn vor die Brust sodass er einige Schritte bis an die Reling zurückstolperte. Damit hatte der Elf ganz und gar nicht gerechnet.
Erstaunt schaute Lendoran ihn an, die rechte Hand an der Reling abgestützt. "Ich will nichts mehr von dir hören. Du benutzt mich für deine Zwecke, als wäre ich eine Marionette", Denor wurde wieder leiser, die Kraft, die ihm die Wut verliehen hatte verrauchte, doch der Zorn blieb, "Du wirst mich aus dem Weg schaffen, wie du es mit Malin getan hast, wenn ich keinen Nutzen mehr für dich habe." Denor senkte den Blick, die Lippen zusammengepresst. Trauer und Enttäuschung gesellten sich zu seinen Gefühlen dazu, und verursachten ein undurchschaubares Chaos.
"Ich habe Fehler gemacht ... viele Fehler", langsam und bedächtig kamen die Worte über die Lippen Lendorans, als hätte er Schwierigkeiten sie zu formulieren. "Gib allein mir die Schuld dafür, nicht den Elfen", sein Blick schweifte umher, schaute nicht einmal in die Augen Denors, "Sprich mit Vaarda, sie ist jung, unschuldig verglichen mit mir. Ich dagegen sinne seit über fünfzig Jahren auf nichts anderes als Rache, renne blind umher, und scher mich nicht um andere." Denor antwortete nicht, er war viel zu überfordert damit, herauszufinden, was er über den Elfen dachte. Wut? Enttäuschung? Oder war es doch Hass? "Es ist Zeit dies zu beenden", meinte der Elf, als er sich dem Meer zuwandte.
Ein Moment der Stille entstand zwischen ihnen, der sich unerträglich in die Länge zog. Das schmale Schiff hatte sich bereits wieder in Bewegung gesetzt, offenbar war es der Elfe gelungen, die Seemänner ein weiteres Mal zu überzeugen, ob durch Gold oder Angst vermochte er nicht zu sagen. Er konnte die Stimmen und Schritte der Männer hinter sich hören, während sie sich wieder auf dem Weg in Richtung der Elfen machten. Will ich überhaupt dort hin?, fragte er sich, waren die Elfen überhaupt interessiert daran, die Retter dieses Kontinentes zu werden?
"Du hast mir alles genommen, du hast mir den Blick auf das Wichtige geraubt ...", kurz stockte Lendoran, dann fuhr er fort, "Nimm dies, es lechzt nach einem Meister, der grausamer ist als ich." Schwungvoll warf er die Gezeitenklinge über die Reling, und mit einem lauten platschen landete sie im Meer, verschluckt, als hätte es sie nie gegeben. Überrumpelt schaute Denor der Waffe hinterher, ohne einen Schimmer, warum Lendoran das getan hatte.  Doch hatte er keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen. Der Elf wartete nicht, bis der Überraschungsmoment vergangen war: "Sprich mit ihr", sagte er ohne sich umzudrehen, "Bitte."
Die Krallen schabten über das Holz des Decks, als sich Haut in Federn verwandelte. Der Schwanz peitschte durch die Luft und die vier Flügel breiteten sich majestätisch aus. Blitzschnell erhob sich der schlanke Leib in die Luft und der scharfe Schnabel machte deutlich, warum er der gefährlichste Jäger der Wälder war. Der Smaragddrache verursachte keinerlei Geräusch, als er schneller zu einem kleinen schwarzen Fleck am Horizont wurde als Denor erfassen konnte, was passierte. Verloren stand er auf dem Deck und schaute sich verunsichert um. Die Seemänner schien es nicht zu stören, dass Lendoran verschwunden war, nicht selten sah er ein zufriedenes Lächeln.
Denor stolperte zu einer Kiste und setzte sich. Ohne etwas zu sehen, starrte er in die Luft. Seine Gedanken wanderten zurück, zu dem Moment, indem er Malin das letzte Mal gesehen hatte. Er spürte den kalten Griff der schwarzen Magie, die ihm seine Energie entzog. Er sah Lendoran, wie er die Gezeitenklinge umklammert, den Schiffen entgegenblickte. Er hörte die Worte des Elfen, wie er sich zu rechtfertigen versuchte, erinnerte sich an die Geschichte, in der Lendoran seine Gefährtin verlor.
Denor wollte ihn verstehen, wollte ihm verzeihen, doch er konnte nicht. Er hatte selber schon getötet, hatte einem Menschen, den er nicht kannte, das Leben genommen. Es verfolgte ihn noch immer im Schlaf, und er hatte es sich noch immer nicht verziehen. So oft sein Verstand es auch rechtfertigte, sein Herz ließ sich nicht überzeugen. Malin war kein Fremder, vielmehr ein Freund. Es war ihm klar, dass Lendoran schon unzählige Menschen umgebracht hat, in den Magierkriegen, als Denor noch nicht gelebt hatte, und auch jetzt, als sie zusammen reisten, aber das war zu viel, um es verzeihen zu können. Es war zu persönlich, um es von sich zu schieben. Und er verstand zu wenig, um die Tat nachvollziehen zu können.
Leise Schritte näherten sich und jemand setzte sich neben ihn. Lika streckte unsicher die Hand aus, legte sie auf seine, und schaute ihn von der Seite an. Denor brauchte einen Moment, bis er verstand. Seine Gefühle spielten verrückt, und er wusste nicht, wie er auf Lika reagieren sollte. Hat sie mir verziehen, dass ich gegangen bin?
"Was ist los", fragte sie leise und schaute ihm in die Augen, als er sich zu ihr umwandte. "Er hat ihn umgebracht", kam ihm über die Lippen, "Malin ... ist tot." Entsetzen sprach aus Likas Augen und ihre Hand begann leicht zu zittern. "Und Gardan? Ist er ...?", sie war so leise geworden, dass Denor sie kaum noch verstehen konnte. "Ich weiß es nicht, er hat es nicht zum Schiff geschafft." Sie senkte den Blick, während Denor verunsichert zögerte, dann nahm er sie endlich in den Arm. Sie schmiegte sich halt suchend an ihn und eine Weile saßen sie einfach nur so da. Nichts als Tod und Verrat, dachte er niedergeschlagen. Die Erinnerungen kehrten zurück, an diesen einen Brief, der sein Leben aus den Angeln gehoben hatte. Seine Ausbildung hatte gerade erst seit einem Jahr begonnen und die zweiten Orkkriege waren so gut wie beendet, als ihn die Nachricht seines Vaters erreichte.
Er war kurz davor gewesen, zurück zu seinem Vater zu gehen, als er von Tot seiner Mutter und seiner kleinen Schwester erfuhr. Er hatte sogar seine wenigen Dinge schon gepackt gehabt, was niemanden sonderlich gestört hatte. Nur Lika kam zu ihm und redete darüber. Sie hatte geschafft ihn zu überzeugen, hatte ihm klar gemacht, dass er nur als Magier wirklich etwas ändern konnte. Nur als Magier konnte er verändern, was seine Familie getötet hatte. Hätte er auch nur geahnt, das die Magierverfolgung ihn erwartete, würde er jetzt mit seinem Vater in ihrem kleinen Laden sitzen, und von all dem hier nichts mitbekommen.
Kann ich noch immer etwas verändern, oder sollte ich umkehren und hoffen, dass meinem Vater und mit nichts geschieht? Lika regte sich und schaute zu ihm auf: "Wer hat Malin umgebracht?", fragte sie, eine Träne auf ihrer Wange schimmerte im Licht. "Der Elf", antwortete Denor mit finsterer Miene. "Wenn ich nur wüsste, weshalb." Nachdenklich schaute Lika das Deck hinab: "Dann sprich mit ihr", meinte sie, "Der Elfe, die uns gerettet hat." Denor folgte ihrem Blick, ohne zu wissen, wohin genau sie schaute. "Sie ist doch hier, oder?" Er nickte nur. 
"Sollten wir nicht besser umkehren?", fragte er vorsichtig, unsicher, was sie darauf antworten würde. Sie richtete sich vollends auf und setzte sich wieder neben ihn. Fast schon vorwurfsvoll schaute sie ihn an und für diesen Moment rückte die Trauer in den Hintergrund. "Du willst all das aufgeben, was wir verloren haben, was andere verloren haben?", fragte die Magierin. "Wie wollen uns die Elfen schon helfen?", rechtfertigte er sich, "Indem sie unsere Freunde umbringen?"
"Was bleibt uns anderes übrig, als herauszufinden, ob sie alle sind wie Lendoran?", erwiderte Lika mit fester Stimme , "Soviele sind gestorben, um uns hierherzubringen.  Sie haben dir vertraut, ohne genau zu wissen, was überhaupt ihr Ziel ist." Die Wut stieg unweigerlich wieder in Denor hoch. Warum verteidigt Lika sie? "Sie sind dem Elfen gefolgt, nicht mir. Und er hat ihr Vertrauen mit Tod gedankt! Wir sollten umkehren, bevor auch wir tot im Meer liegen."
Denor hatte keine Chance auszuweichen, als Lika ihm mit voller Wucht auf die Wange schlug. Erstaunt keuchte er auf und schaute perplex zu ihr hinauf. Sie war aufgestanden und die Wut war das erste nennenswerte Gefühl abgesehen der Trauer, dass er seit langem bei ihr sah. "So behandelst du das Opfer meiner Mutter? Sie ist gestorben, damit wir überleben können! Sie ist gestorben, damit wir etwas verändern können! Und du wirfst es weg, als würde es dir nichts bedeuten. Wo ist der Junge, der die Welt verändern wollte, der verhindern wollte, dass andere das Schicksal deiner Mutter teilen? Du wolltest einmal den Menschen helfen, und jetzt wo du die Gelegenheit hast, dieses Kontinent zu retten läufst du weg?"
Likas Worte trafen ihn mitten ins Herz. Unfähig sich zu rechtfertigen saß er da und hörte ihr zu. "Die Elfen sind nicht Lendoran, genauso wenig wie du die einfache Bevölkerung der Menschen bist. Hätte ich in dir den Trunkenbold gesehen, der täglich durch die Straßen läuft und verzweifelt sein Zuhause sucht, hätte ich wohl kaum ein Wort mit dir gewechselt. Rede mit der Elfe, nicht für mich, sondern für meine Mutter." Ohne ein weiteres Wort ging sie und ließ ihn alleine zurück. Er schaute ihr hinterher, wie sie die Leiter ins Innere des Schiffes hinabstieg und verschwand.
Auch als sie bereits außer Sicht war, blieb er sitzen und dachte nach. Er wurde erst unterbrochen, als Musik an seine Ohren drang. Erst langsam und fast zu leise um es zu verstehen, wurde es von Takt zu Takt schneller. Vom Melancholischen ging es ins fröhliche, nur um sofort wieder ins Nachdenkliche abzurutschen. Für ihn kam nur eine Person in Frage, die die Flöte so meisterlich beherrschen konnte, und so stand er auf und folgte der Musik. Er musste mit der Elfe reden.

Im Bann der DelaniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt