Der Wind peitschte kalt durch die dünne Wollkleidung. Schnell und immer schneller ging es nach unten und die groben Steine des Bergfriedes verschwommen vor seinen Augen. Knapp war er dem vernichtenden Zauber entkommen, nur um jetzt vom Bergfried zu fallen. Doch Angst verspürte er keine. Wie auch, wenn man so etwas schon hunderte Male gemacht hatte? Wenn man schon unzählige Male gespürt hatte, wie der Wind am Körper zerrte und man dem auf sich zu rasenden Boden furchtlos ins Antlitz geblickt hatte. Das ist Freiheit! Derselbe Gedanke, wie jedes Mal, wenn er sich im freien Fall befand. Doch der Turm war nicht sonderlich hoch und der Fall umso kürzer. Lendoran benötigte nur einen kurzen Gedanken und der Fall wurde langsamer und änderte seine Richtung. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich sein Körper, zuerst wuchs ihm ein dunkelgrünes Gefieder, dicht gefolgt von den beiden Flügelpaaren, die ihm aus dem Rücken sprossen. Beine und Arme wurden muskulöser und Hände und Füße formten sich zu Krallen. Sein Brustkorb schwoll an, bis er in etwa die Größe eines Pferdes besaß, der Hals wurde länger und länger und endete schließlich in einem Kopf mit einem furchterregendem Maul voller spitzer Zähne und zweier aufmerksam die Umgebung musternden Augen.
Das an den Schultern des Drachen gewachsene Flügelpaar neigte sich nach unten und formte mit dem zweiten, fast eine Flügelbreite weiter hinten und ein paar Handbreit tiefer liegenden, eine Gleitfläche. Die Luft sammelte sich unter den Flügeln und der freie Fall verlangsamte sich. Knapp über der Burgmauer erreichte er die waagerechte und schoss kurz darauf zurück in den Himmel. Fliegen, nur halb so aufregend wie der freie Fall und trotzdem immer noch eins der schönsten Gefühle, das mir geblieben ist! Flügelschlagend den Gleitflug beendend schaute er zurück zu den auf dem Bergfried zurückgebliebenen Magiern. Triumphierend stieß er einen Schrei aus, flog eine scharfe Kurve und verschwand aus dem Lichtkegel der Fackeln. Hoch hinauf in den Himmel erhob er sich, fiel zu lange hatte er sich nicht in einen Drachen verwandeln können, da er kein Aufsehen erregen durfte. Er würde Denor und seine Begleiter noch ein wenig warten lassen, bis er sich wieder zu ihnen gesellte.
Blitzschnell beschrieb er eine Rolle nach rechts und sein Maul schloss sich um einen Adler, bevor dieser wusste wie ihm geschah. Seit die Anzahl der Drachen so massiv gesunken war, wurden die anderen Tiere immer unvorsichtiger. Ohne ihren gefährlichsten Feind hielten sich die Adler für die Herren der Lüfte. Wie jeder Smaragddrache besaß Lendoran unglaublich schnelle Reflexe und niemand konnte sich auf kurze Distanzen mit der Geschwindigkeit und Wendigkeit dieser Drachenrasse messen. Ihr Lebensraum befand sich weit im Westen in Weloran, dem tiefsten Wald dieses Kontinentes, mit Bäumen, die teilweise hundert Schritt hoch waren. Dort konnten sich die im Vergleich zu anderen Rassen ihrer Spezies ziemlich kleinen Smaragddrachen problemlos zwischen den Baumgiganten bewegen und galten, unter anderem aufgrund ihrer hohen Intelligenz, zu den gefährlichsten Jägern des Waldes.
Kurze Zeit später durchbrach er, nach der Feuchtigkeit auf seinem Gefieder zu urteilen die Wolkendecke und flog Sekunden danach bereits über ihr. Eisige Winde fuhren an ihm vorbei und der nicht für diese Höhen geschaffene Drachenkörper kühlte schnell ab. Erst kurz bevor das Taubheitsgefühl einsetzte legte Lendoran die Flügel an und fiel wie ein Stein dem Erdboden entgegen. Freiheit. Er konnte einfach nicht genug von diesem Gefühl kriegen, es war wie eine Droge, ohne die er diese schweren Zeiten nicht überstehen konnte. Kurz über den wogenden Getreidehalmen fing er seinen Sturzflug ab und ein Ruck ging durch seinen gesamten Körper als er seine beiden Flügelpaare ausbreitete. Lautlos schoss er über den Boden und sein Schwung reichte aus, das nächste Wäldchen zu erreichen. Er wählte sich den größten Baum aus, der sein Gewicht gerade so tragen konnte, legte seinen Schwanz um den Stamm und streckte sich auf einem Ast aus. Langsam schlossen sich seine Augen. Er würde keine Probleme haben die Flüchtlinge der Magierakademie morgen wiederzufinden, also konnte er sich jetzt auch etwas Schlaf gönnen.
DU LIEST GERADE
Im Bann der Delani
FantasiaEin Krieg endet, und ein neuer beginnt. Während die Witwen noch um ihre verstorbenen Ehemänner trauern, ziehen ihre Söhne bereits demselben Schicksal entgegen. Frieden ist nicht mehr als eine Erinnerung in den Köpfen der Menschen, Zwergen und Elfen...