Aufgewühlt kletterte Denor die Leiter hinauf, die ihn aus dem Bauch des Schiffes an Deck führte. Die Sonne, die kurz vor ihrem Zenit am Himmel stand, spendete nur wenig Wärme. Der herannahende Winter machte sich mehr und mehr bemerkbar, und die kalten Winde auf See taten ihr übriges. Fröstelnd schlang er die Arme um seinen Körper und begab sich auf die Suche nach Lendoran. Sie waren nun schon seit mehreren Tagen unterwegs, hatten Mitradi bereits weit hinter sich gelassen, aber bis heute hatte Denor es nicht über sich bringen können, mit dem Elfen zu sprechen. Er hatte es vorgezogen an der Seite Likas seinen Gedanken nachzuhängen. Sie befand sich noch immer in einem mittels Magie herbeigeführten Schlaf, damit sie von ihrer Verletzung genesen konnte, doch schon bald würde Malin den Zauber aufheben, der sie nicht erwachen ließ. Ich muss auf sie aufpassen, redete er sich ein, auch wenn er wusste, dass es nur ein Vorwand war, um sich vor der Wahrheit zu verstecken.
Er hatte Angst, Angst davor, was ihm der Elf sagen würde. Angst, noch weiter in etwas hineingezogen zu werden, von dem er sich lieber fernhalten wollte. Es waren lächerliche Befürchtungen im Anbetracht der Tatsache, dass er längst mitten drin war, ohne einen Weg zurück. Er befand sich auf einem Schiff, welches auf die Heimat der Elfen zusteuerte, den angeblichen Todfeinden der Menschen. Warum ich? Er brauchte eine Antwort auf diese Frage und er hatte sich entschlossen, dass er lange genug gewartet hatte.
Denor brauchte einen Moment, bis er Lendoran am Heck des Schiffes fand. Der Elf ließ sich nicht im Geringsten vom regen Treiben der Seemänner hinter ihm aus der Ruhe bringen, während er regungslos auf das Meer hinter ihnen schaute. Noch immer mit gemischten Gefühlen lehnte Denor sich neben dem Elfen an die Reling und folgte seinem Blick auf das Blau des Meeres hinaus. Drei schwarze Punkte waren am Horizont zu erkennen, wo das weiß der Wolken auf das fast schwarz wirkende Wasser traf. „Es ist Zeit zu reden“, meinte Denor, ohne den Blick vom Wasser abzuwenden. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, wie Lendoran den Blick senkte. „Nein“, sagte dieser schließlich: „Die Zeit des Kämpfens verfolgt uns noch immer.“ Wieder vielen ihm die Punkte am Horizont auf, und dieses Mal konnte er einordnen, um was es sich dabei handelte: Wir werden verfolgt! Drei Schiffe waren hinter ihnen und da sie gestern noch nicht da gewesen waren, schienen sie aufzuholen. Vor wem sollte man mit solch einem langsamen Handelsschiff wie diesem auch fliehen?
„Wir müssen dem Kapitän Bescheid sagen“, brachte Denor entsetzt heraus und wandte sich zum Gehen, doch Lendoran ließ ihn inne halten, als er ihm bereits den Rücken zugewandt hatte: „Du fragst dich, warum genau du hier stehst, habe ich nicht Recht? Warum genau dir diese Aufgabe zufällt und keinem ausgebildeten Magier?“ Erstaunt blieb Denor stehen, hatte er doch gedacht, der Elf wollte nicht reden. „Was nutze ich euch jetzt, wo es doch keine Menschenmagier mehr gibt, mit denen ihr ein Bündnis schließen könnt?“, sprach er schließlich seine Zweifel aus und gesellte sich zurück zu Lendoran an die Reling.
"Es ging mir nie um ein Bündnis mit den Menschen", stellte der Elf mit ausdrucksloser Stimme fest: "Die Menschenmagier dachten, wir Elfen würden sie beschützen, wenn ihr uns nur findet. Ihr dachtet wir würden euch erklären, warum ihr verfolgt werdet, und euch ein Weg hinaus zeigen." Lendoran wandte sich zu ihm um, bevor er weitersprach: "Wir sind nicht einmal in der Lage uns selbst vor dem Untergang zu bewahren, wie könnten wir euch eine Hilfe sein? Wir können uns nicht einmal vor uns selbst beschützen, wie könnten wir jemals behaupten es für andere zu tun? Mein Volk ist der Grund, warum deine Freunde sterben mussten! Wie könnt ihr uns vertrauen, bei so viel Verrat?"
Geschockt senkte Denor den Blick, überwältigt von der Direktheit des Elfen, überrollt von den Wahrheiten, die er aussprach. Zweifel kehrten zurück. Zweifel, die der Delani in Mitradi in ihm geweckt hatte und die nie ganz verschwunden waren. Ist Lendoran nicht der Ausweg, sondern die Ursache? "Die Delani haben den kaum erkennbaren Unterschied zwischen Elfen und Dunkelelfen zur Manipulation der Menschen genutzt", antwortete er nach einiger Zeit: "Gleichzeitig haben sie alle Magier, die nicht der schwarzen Magie folgen, auf eine Ebene gestellt und zu ihren Feinden gemacht. Haben wir eine andere Wahl, als gemeinsam zu kämpfen?" Dieses Mal dauerte es nicht lange, bis Lendoran antwortete: "Und das ist der Grund, warum du hier bist."
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Im Bann der Delani
FantasiEin Krieg endet, und ein neuer beginnt. Während die Witwen noch um ihre verstorbenen Ehemänner trauern, ziehen ihre Söhne bereits demselben Schicksal entgegen. Frieden ist nicht mehr als eine Erinnerung in den Köpfen der Menschen, Zwergen und Elfen...