Kapitel 11 "Spekulationsschatten"

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Nachdem sie mir eröffnet hatte, dass sie nach der Ursache für das Auftauchen der Spiegelwesen suchen wollte, war die Stimmung angespannt zwischen uns. Ich hielt es nach wie vor für ein völlig verrückt. Aber sie ließ sich durch keines meiner Argumente davon abbringen. Offenbar fürchtete sich nicht mal den Tod so richtig. Nach allem was ich über sie wusste, ging ich davon aus, dass sie an Himmel und Hölle glaubte. Was könnte es also Ehrenhafteres geben, als für die von Gott geschaffenen Menschen zu sterben? Trotzdem blieb es eine schlechte Idee.

Irgendwann wurde es ihr augenscheinlich zu bunt und sie verbarrikadierte sich im Badezimmer. Eine Weile lang stand ich davor und versuchte mit ihr zu reden, aber da sie nicht antwortete, gab ich es auf. Es hatte keinen Zweck mit ihr zu diskutieren, weil sie sturer war als ein Esel. Mir war noch nie jemand begegnet, der so vehement auf etwas beharrte, das ihn wahrscheinlich in den Tod schicken würde. Aber wenn sie es so unbedingt wollte, konnte ich ihr eben auch nicht helfen.

Ich saß im Wohnzimmer und spielte Tic-Tac-Toe mit mir selbst, auch wenn es keinen Spaß machte. Mir fiel sonst nichts ein, mit dem ich mir die Zeit vertreiben könnte. Obwohl ich nichts tat, brachte mich die Nachmittagshitze, die sich hier anstaute, zum Schwitzen. Zuerst zog ich es in Betracht, meine Hose auszuziehen, aber dann bemerkte ich, dass ich sie vermutlich nicht mehr anziehen wollte, wenn ich sie erst mal los wäre. Sie roch unangenehm nach getrocknetem Blut und ich hätte sie nur zu gerne gewaschen, aber das Mineralwasser aus den Flaschen war für einen anderen Zweck gedacht und das Wasser aus den Hähnen lief nicht mehr.

Weder im Bad noch in der Küche lief noch ein Tropfen Wasser. Es war wirklich nicht sonderlich angenehm, die Jeans zu tragen, aber was blieb mir schon anderes übrig? Juvia war zwar nicht viel kleiner, aber ihre Beine waren trotzdem um einiges schmäler und ihre Hosen würden mir wohl kaum passen. Es sei denn sie hatte vielleicht einen Freund, der seine Klamotten hier bunkerte. Das war vielleicht eine Möglichkeit. Ich ging zurück in ihr Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Es war nicht meine Absicht, ihre Privatsphäre zu verletzen, als ich ihn durchwühlte.

Die meisten Sachen waren zu klein, das erkannte ich auf den ersten Blick. Offenbar hatte sie keinen Freund, dessen Klamotten ich anziehen könnte. Stattdessen stieß ich auf eine weite Jogginghose. Mit etwas Glück könnte ich tatsächlich hineinpassen. Ich beschloss kurzerhand, dass es einen Versuch wert war. Meine eigene Hose streifte ich ab, um in die von Juvia zu schlüpfen. Der Stoff fühlte sich um einiges besser auf der Haut an, als der der Jeans. Obwohl sie oben am Bund ein wenig eng war, passte sie.

Ich war schon fast erleichtert, die dreckige Hose losgeworden zu sein. Mein Shirt war kaum besser, aber auch nachdem ich den Schrank ein zweites Mal durchsucht hatte, hatte ich kein Oberteil gefunden, das mir passen könnte. Ich gab es also auf und fand mich damit ab, dass ich es wohl noch eine Weile tragen müsste. „Was machst du da?"

Ich schreckte zusammen, als hätte man mich bei etwas Verbotenem erwischt. Zugegebenermaßen war es vielleicht nicht sehr nett, den Kleiderschrank eines Mädchens zu durchsuchen. Bevor ich antworten konnte, fuhr sie schon fort. „Sag mal, ist das meine Jogginghose?" Überrascht blinzelte sie mich an, dann fing sie an zu lachen.

Sie stützte sich mit den Händen auf ihre Oberschenkel und lachte mich aus. Sie lachte mich wirklich aus. Aber ihr Lachen hatte etwas Hysterisches und nach einer Weile klang es nur noch verzweifelt. In diesem Moment machte sie mir Angst. Sie sah aus wie jemand, der dabei war, seinen Verstand zu verlieren. „Das ist ja wirklich meine", japste sie atemlos.

Während sie lachte, zeigte sie zwei Reihen gerader Zähne, die in ihrem dunklen Gesicht weiß leuchteten. Als sie sich wieder beruhigt hatte, atmete sie tief durch. „Vielleicht hast du recht. Es ist eine verdammt dumme Idee. Aber ich will trotzdem etwas tun. Verstehst du? Ich wüsste gerne, dass ich in irgendeiner Weise dazu beigetragen habe, dieses Problem zu lösen. Natürlich stimmt es, ich werde wahrscheinlich dabei draufgehen. Vielleicht aber auch nicht. Ich mach das nicht für mich, bestimmt nicht, aber ich kann einfach nicht dabei zusehen, wie unschuldige Menschen sterben. Nur die Vorstellung davon, dass es meinen Bruder Jackson, Hadiya oder Nicole erwischen könnte, ist einfach unerträglich. Du hast selbst so einen guten Draht zu deiner Familie, ich hoffe du verstehst das."

Reflektionen (Ross Lynch/R5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt