Kapitel 2

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Er hasste es der Neue zu sein. Denn der Neue war immer der, dem plötzlich Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Der mit Blicken aller anderen durchbohrt wurde. Und immer wurde man verurteilt. Man wurde eingeteilt, in eine von diesen Schubladen von Menschen die nichts besseres zu tun hatten als so zu sein wie alle es eben wollten und dabei total vergaßen, dass man ein eigenes Leben führte.

*Ardys POV*

Ein schrilles Piepen ließ mich hochschrecken und halb aus dem Bett fallen. Hart schlug ich mir den Kopf an der Bettkante an und stieß einen zischenden Laut aus während ich mir genervt die schmerzende Stelle rieb. Montag Morgen. Toll. Ich habe Montage zwar schon immer gehasst, aber zu wissen auch noch in eine neue Schule zu müssen war noch schlimmer als nur der Gedanke an sechs unnötige, sterbenslangweilige Stunden in denen Lehrer verzweifelt versuchten ihr Pseudo-Wissen in einen hinein zu stopfen. Aber zum Glück war es mein letztes Jahr. In einem Dreiviertel Jahr wurde ich achtzehn und dann hieß es: ab ins Leben! Meine Brüder und meine Schwester waren sowieso nur noch selten da, mein Vater arbeitete seit kurzem im Ausland und meine Mutter hatte meistens Nachtdienst, weshalb ich sie nur selten wach zu Gesicht bekam. Es störte mich eigentlich nicht, da ich so immer viel Freiraum hatte, doch der Umzug störte mich. Um genau zu sein - mein dritter Umzug. Immer wieder bekam meine Mutter neue Job Angebote und diese nahm sie meistens auch dankend an, was bedeutete, dass ich die Schule wechseln musste.
Sobald ich achtzehn war, wollte ich hier raus. Nicht, dass ich meine Familie nicht gemocht hätte, nein! Ich kam super mit allen klar. Aber ich wollte nicht abhängig von ihnen sein. Wollte endlich mein eigenes Leben auf die Beine stellen.

Seufzend erhob ich mich und torkelte schlaftrunken ins Bad um mich frisch zu machen. Tiefe Augenringe lagen wie Schatten unter meinen Augen und meine Stimmung sank noch ein bisschen tiefer. Also beschloss ich erst mal unter die Dusche zu springen und dann zu versuchen mich, so gut es in dem Zustand ging, fertig zu machen.

Gesagt, getan.

Fünf Minuten später rubbelte ich mir meine blau-grauen Haare trocken und versuchte diese mit Haargel ein wenig in Form zu bringen, doch teilweise hingen sie mir immer noch strähnig ins Gesicht. Noch ein Seufzer entfloh meinen spröden Lippen.

Das war ja mal ein super Start in den Tag...

Nachdem ich im Bad fertig war watschelte ich zurück in mein Zimmer und durchstöberte meinen Kleiderschrank.
Auch ein Grund warum ich es hasste der Neue zu sein: Ich war anders als die anderen, allein von meinem Kleidungsstil her. Aber Menschen hassten Leute die anders waren. Und als Neuer hatte man keine andere Wahl als sich anzupassen, doch das ging mir eindeutig gegen den Strich. Denn ich wollte mich nicht anpassen müssen. Ich wollte meinen eigenen Kopf behalten und diesen wenn nötig auch durchsetzen, aber als Außenseiter wollte ich trotzdem nicht abgestempelt werden.

Ich zog mir schließlich eine schwarze Skinny Jeans, einen schwarz-weißen HBA Pulli und meine schwarze Snapback an, dann schlüpfte ich in meine hellbraunen Nikes, schulterte meinen Rucksack, schnappte mir mein Longboard und machte mich auf den Weg in meine neues Schule.

Leugnen konnte ich leider nicht, dass Köln eine schöne Stadt war. Und die Schule schaute - von außen zumindest - auch um einiges schöner aus als meine vorherige. Angst hatte ich keine mehr, doch ein komisches Gefühl war es trotzdem.
Ich stieg am Schulhof von meinem Longboard ab und nahm es unter meinen rechten Arm, dann betrat ich das Schulgebäude und ließ meinen Blick über die Gänge und Treppen schweifen.
Schüler riefen herum und erzählten sich aufgeregt wie die Ferien waren. Manche warfen mir kurze, fragende Blicke zu, bevor sie an mir vorbei gingen und in ihren Klassen verschwanden. Doch plötzlich rempelte mich einer an und ich stolperte einige Schritte nach vorne. „Oh, tut mir leid!" vernahm ich sofort eine erschrockene Stimme und erblickte einen großen, schlanken Jungen mit roten Backen und braunen, leicht nach oben gestylten Haaren der mich entschuldigend anschaute. „Alles gut." meinte ich nur abwehrend und sofort bildete sich ein breites Grinsen am Gesicht meines Gegenübers und mich beschlich sofort der Verdacht, dass dieses Grinsen ein normal Zustand bei ihm war. Innerlich seufzte ich. Einer von diesen dauerglücklichen Typen die immer das positive sehen und Spaß haben. „Ich bin übrigens Felix! Und du? Ich hab dich hier noch nie gesehen." Er hielt mir seine Hand hin und ich schüttelte diese nur kurz, zuckte mit den Mundwinkeln und antwortete schlicht: „Bin erst vor kurzem her gezogen." „Dein letztes Jahr Schule und du ziehst um?" „Meine Mum wurde eben versetzt." „Achso. In welche Klasse musst du denn?" „12B" „Cool! Das ist meine Klasse!" rief Felix begeistert und ich zwang mich zu einem erfreuten Lächeln, was wohl eher verzweifelt aussah, doch das schien er entweder nicht zu bemerken oder er übersah es gekonnt. „Komm, ich zeig dir den Weg." doch anstatt auf meine Antwort zuwarten, packte er mich einfach am Arm und zog mich stürmisch mit sich. „Du kannst mich übrigens auch Dner nennen, ist sowas wie ein Spitzname." rief er mir über die Schulter hinweg zu während ich ihm immer noch etwas hilflos hinterher stolperte. „Hast du auch einen Spitznamen? Oder warte, du hast mir ja immer noch nicht deinen Namen gesagt!" Ich wollte gerade ansetzen ihm diesen Gefallen zu tun, als mich eine andere Stimme übertönte. „Dner!" Mein Führer drehte sich um und begann noch mehr zu grinsen was ich für unmöglich gehalten hatte. „Izzi!" Diese enthusiastische Stimmung nervte mich jetzt schon. Ein etwas kleinerer Junge mit spitzer Frisur und schmalem Gesicht steuerte geradewegs auf uns zu und hatte mindestens genauso ein riesiges Grinsen im Gesicht wie Felix. „Joonge, wie gehts dir?" fragte eben genannter freudig und schloss den Neuankömmling kurz freundschaftlich in die Arme, bevor er sich wieder an mich erinnern zu schien. „Das ist Alex, mein bester Freund, aber eigentlich nennen wir ihn alle Izzi, Izzi, das ist- ähm, aja, du hast immer noch nicht geantwortet." Etwas überrumpelt schüttelte ich Izzi ebenfalls die Hand und stammelte: „Äh, ja, genau, ich bin Ardian. Aber nennt mich Ardy." „Cool, Hi Ardy!" meinten sie fast wie aus einem Mund und lachten.

Nett waren sie ja, aber ob ich dieses aufgedrehte Verhalten ein Jahr lang überstehen würde, wusste ich nicht. Ich war eigentlich kein kontaktfreudiger Mensch und ich hatte auch nicht vor sofort beste Freundschaften mit mir eigentlich wildfremden Menschen zu schließen. Es war mir unangenehm, dass mich die beiden sofort so in Besitz genommen hatten und es passte mir gar nicht, dass ich jetzt eigentlich dazu verpflichtet war nett zu ihnen zu sein.

Endlich wurde ich in eine der Klassen geschoben und blieb unschlüssig stehen während Izzi und Dner sich in ein aufgeregtes Gespräch vertieft hatten.

Und ich? Vielen Dank auch... aber was soll's.

Kurz darauf ertönte auch schon die schrille Schulglocke und wenige Augenblicke später betrat eine etwas ältere Lehrerin die Klasse. Sie war etwas kräftiger gebaut und hatte ein ründliches Gesicht mit dicken Backen. Als sie mich bemerkte begann sie zu lächeln was um ehrlich zu sein ein wenig an ein Schwein erinnerte, aber sie war freundlich. „Du musst Ardian sein! Stell dich doch mal vor."

Wie ich es hasste.

Die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse lag nun bei mir und sie spießten mich mit ihren neugierigen und prüfenden Blicken praktisch auf.

„Joa, also ich heiße Adrian Bora, aber nennt mich bitte einfach Ardy, ich bin vor kurzem nach Köln gezogen, ich tanze Breakdance, und ja, mehr gibts eigentlich nicht zu sagen." Ich leierte diesen Satz runter da ich ihn schon auswendig kannte.
Alle lächelten mich freundlich an, bis auf eine Person die mir ins Auge fiel. In der letzten Reihe bei den Fenstern saß ein Junge dessen eisblaue Augen mich einfach nur anstarrten. Doch dieser Blick machte mich unruhig, da man das Gefühl hatte, er würde durch einen hindurch, oder noch schlimmer, in einen hinein sehen! Ich hielt seinem Blick trotzdem stand. Er hatte blond gefärbte Haare die er sich mit einem Bandana steil nach oben gebunden hatte, er trug ebenfalls fast nur schwarz und auch sonst ähnelte sein Klamottenstil meinem ziemlich. Seine Blicke brannten. Sonst regte er sich nicht, nur seine Augen die mich fixierten; wie ein Raubtier das auf den passenden Moment wartete um zuzuschlagen und sich auf seine Beute zu stürzen. Ähnlich fühlte ich mich auch.

Ich schluckte.

Meine Lehrerin rettete mich schlussendlich aus der unangenehmen, leicht beunruhigenden Situation, indem sie ihr Wort wieder an mich richtete: „Gut, dann setz dich doch bitte neben..." Ihr Blick schweifte über die Klasse und sie schien einen freien Platz zu suchen. Ihre nachdenkliche Miene erhellte sich auch sofort als sie einen gefunden hatte. „Ah, neben Thaddeus ist noch frei." Sie deutete auf eine Stelle und ich folgte ihrem Finger um zu wissen, welcher meiner neuen Mitschüler sich nun mit mir abgeben musste.
Und ich erstarrte. Denn ihr Finger zeigte auf niemand geringeren als auf den Wasserstoff blonden Jungen mit den durchdringenden Augen.

Behind me ~ TardyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt