Kapitel 22

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Worte, die nie hätten gesprochen werden sollen. Und nun hatte er es ihm doch erzählt - mehr oder weniger freiwillig. Selbst wenn er noch keinen konkreten Zusammenhang daraus erkennen konnte, saß ihm der Schock tief im Herzen.

*Ardys POV*

Die Schuldgefühle zerrissen mich innerlich und gequält versuchte ich einmal meinen Kopf frei von Gedanken zu bekommen.
Als ob ich das schaffen würde...
Ein langgezogener Seufzer entwich mir als ich daran dachte wie niedergeschmettert Taddl mich angesehen hatte. Könnte es denn sein, dass er sich ebenfalls mehr erhofft hatte?
Mehr von mir erwartete...?

Ein erneuter, verzweifelter Seufzer.

Wieso nur fiel es mir so schwer mir meine Gefühle einzugestehen?
Beziehungsweise mir selber darüber klar zu werden.
Liebte ich ihn wirklich oder eben nur brüderlich?
Was wollte ich?
Und vor allem, zu wie viel war er bereit?

Schwul.
War das ein Wort das mich beschreiben könnte?
Ja gut, ich meine wir leben im 21. Jahrhundert, da war das jetzt nichts Außergewöhnliches.
Aber würde ich mich damit zurecht finden können?
Nein, wahrscheinlich nicht...
Jedenfalls noch nicht.

Trotzdem musste ich mich bei Taddl entschuldigen.
Und zwar bald.
Nein, am besten jetzt gleich!

Und mal wieder handelte mein Körper schneller als mein Kopf, denn ehe ich es mich versah stand ich draußen in der Nacht und eilte in Richtung Taddls Haus.

„Was tust du nur." murmelte ich leise und beschleunigte meine Schritte abermals, da es viel zu kalt war um sich Zeit zu lassen.
Außerdem konnte ich nicht einen Moment länger mit dem Gedanken leben, Taddl verletzt zu haben ohne es anschließend zu klären.

Da war es. Groß und still. Kalt und leer.
Sollte ich klingeln?
Vielleicht schlief er ja auch schon...
Obwohl; Taddl!?
Nein, eher nicht.

Doch mir wurde die Entscheidung abgenommen, denn plötzlich hörte ich schlurfende Schritte hinter mir und wirbelte herum, erschrak als ich das bleiche, müde Gesicht von demjenigen erkannte, den ich eigentlich aufsuchen wollte.
Taddl hatte die Augen auf Halbmast gestellt und grinste leicht vor sich hin, während er auf mich zu kam und mir in die Arme stolperte.
Etwas perplex fing ich ihn auf, wankte jedoch unter seinem Gewicht und brach schließlich mit ihm zusammen.
Ein dumpfes Stöhnen entwich mir, als er schlapp auf mich drauf plumpste, doch zum Glück rappelte er sich schnell wieder auf und lehnte sich neben mir an die Wand; die Augen geschlossen.
„Taddl, wo warst du?"
Ein eigenartiges Lachen, ehe er nuschelte: „Bei 'nem alten Freund..."
Seine Stimme klang ein wenig lallend und überhaupt nicht nach der Person die vor mir saß und abwesend vor sich hin grinste.
„Hast du getrunken?"
Keine Antwort.
Genervt schnippte ich vor seinem Gesicht herum bis er die Augen öffnete und ich erschrocken aufkeuchte.
„Junge! Was hast du genommen!? Deine Augen gleichen Untertassen!"
Wieder so ein abwesendes, behämmertes Lachen und er schloss seine Augen wieder.
„Ich hab mich nur ein bisschen abgelenkt..."
„Wovon denn bitte abgelenkt!? Ich hatte gehofft hier her zu kommen und das mit dir zu klären! Aber nein, Taddl wirft sich vorher Drogen ein!"
Meine Stimme klang ungewollt vorwurfsvoll und wütend, aber eigentlich triefte ich innerlich nur so vor Sorge.

Wieso tat er das? Er wollte doch aufhören!
„Weißt du Ardy-"
Er seufzte dramatisch und ließ den Kopf in den Nacken fallen, starrte hinauf in den sternenlosen Himmel und lächelte dämlich.
„Alle Leute die mir am Herzen liegen verlassen mich. Erst sie, jetzt du..."
„Was? Nein, Taddl, ich verlasse dich nicht! Okay? Ich bin bei dir! Komm, ich bring dich hoch."
Doch mein Gegenüber schien mich überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Viel zu sehr vertieft in etwas, was ich nicht sehen konnte.
„Sie war noch so jung... So unschuldig..."
„Wer? Von wem redest du?"

Sein Kopf sackte schwer nach vorne, so dass seine geweiteten Pupillen nun mich anstarrten. Doch sein Lächeln war erstarrt.
„Ich hab es gesehen, Ardy. Ich war dabei, als er sie umgebracht hat. Ich bin dagestanden und habe nichts unternommen."
Seine Stimme klang bedrohlich und leise, gleichzeitig aber so weit entfernt als würde er gar nicht mit mir sprechen.
Er machte mir Angst.
Seine Worte machten mir Angst.
„Wer hat wen umgebracht?" flüsterte ich mit ängstlich bebender Stimme. Doch wieder ging er nicht auf meine Frage ein. Stattdessen hatte sich sein Gesicht nun zu einer verzweifelten Fratze verzogen und er starre panisch durch mich hindurch.
„Er hat sie getötet! Ermordet, umgelegt!"
Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken als er plötzlich seine Hand ausstreckte und mein Handgelenk packte um mich näher zu ziehen. Sein Atem strich heiß über mein Gesicht und roch nach Alkohol und Joints und mein Hals begann augenblicklich zu kratzen, doch seine nächsten Worte ließen mich alles andere vergessen.
„Ich war dabei als er meiner Schwester kaltblütig das Messer in den Bauch gejagt hat. Das Messer war von ihrem Blut getränkt! Ich habe alles gesehen. Er hat meiner kleinen Schwester das Leben genommen, einfach so. Vor meinen Augen. Und ich habe nichts getan..."
Ein irres Lachen entfloh seiner Kehle und er starrte mich erneut an.
„Irgendwo da draußen ist er. Er hat alles zerstört. Mein Leben, meine Mutter, meine Seele... und irgendwann werde ich ihn finden. Hörst du?"

Seine Fingernägel krallten sich in meine Haut und ich wimmerte vor Schmerzen auf, doch er ließ nicht locker.
„Ich werde ihn finden und das Gleiche mit ihm anstellen was er auch meiner Schwester angetan hat."
Endlich schaffte ich es mich von ihm loszureißen und stolperte keuchend ein paar Schritte zurück.
Dieser Mensch, der da vor mir am Boden saß, war nicht Taddl.
Dieser Mensch war ein Fremder.
Jedenfalls versuchte ich es mir einzureden.
Denn gerade eben hatte mir mein angeblich bester Freund eiskalt erzählt, dass er vorhatte jemanden umzubringen.

Mit zittrigen Beinen taumelte ich weiter zurück; ignorierte dabei den pochenden Schmerz oberhalb meiner Hand und die Verwirrung die sich in mir breitmacht.
Denn ich hatte Angst.
Blanke Panik vor dem Jungen den ich geglaubt hatte zu lieben.

Taddl saß einfach da, starrte durch mich hindurch und schien die Welt um sich herum nicht mehr mitzubekommen.
Doch ich konnte die Tränen sehen die seinen mit Hass getränkten Augen entflohen.
Endlich drehte ich mich um und rannte los. Weg von ihm. Weg von dieser Person. Einfach nur weg.
Wer war er wirklich? Konnte es sein, dass ich mich so in ihm getäuscht hatte?

Behind me ~ TardyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt