Kapitel 26

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Lieber Freund, wenn du eines Tages verstehst, warum ich dir damals aus dem Weg gegangen bin, hoffe ich, du verzeihst mir. Es war nicht wirklich deine Schuld. Ich selbst bin zu sehr von meiner Vergangenheit verfolgt worden, um in die Zukunft zu blicken, da meine Augen immer ängstlich hinter mich gerichtet waren. Erst du hast mir gezeigt, dass man selbst entscheiden kann, wie man in dieser trostlosen Welt leben will.

*Taddls POV*

Mir war kalt.
Ich hatte Angst.
Mein Herz triefte vor Trauer.
In mir klaffte ein großes, schwarzes Loch.
Ich wollte weg, doch konnte nicht.
Wollte zu ihm, doch konnte nicht.
Wollte alles vergessen, doch konnte nicht...

Stumm saß ich auf meinem Bett und hörte der Stille angestrengt dabei zu, wie sie eisern schwieg.
Ich starrte in die Dunkelheit um mich herum und fragte mich, ob es wirklich so etwas wie das Licht am Ende des Tunnels gab.

Ich war kein Fan von Metaphern, denn meistens ergaben sie keinen Sinn oder man verstand sie nicht.
Aber im Moment dachte ich über viele meiner Ansichten nach.
War das Leben wirklich nur so, wie ich es sah?
Oder konnte es wirklich sein, dass Leute, denen die Augen nicht geöffnet wurden, für immer in ihrer bunten, fröhlichen Welt leben würden?
Gab es ein Leben nach diesem hier?
Oder war danach alles aus?
Würde man nur noch durch die grenzenlose Dunkelheit schweben, wie ich momentan auch in Lebzeiten?
Oder würde man in eine helle, schöne Gegend kommen wo man all das nachholen kann, was einem genommen wurde?

Ich wusste es nicht.
Das einzige was ich wusste, war, dass ich in diesem Augenblick eigentlich in der Schule sitzen sollte. So wie auch die Tage davor schon.
Was soll ich groß sagen? Ich tat es nicht.

Meine Mutter lag seit gestern Abend hustend auf der Couch und röchelte vor sich hin. Doch sie weigerte sich, zu einem Arzt zu gehen.

Wie gerne hätte ich sie einfach ins Krankenhaus abgeschoben...
Und dieses mal sogar aus ehrlicher Sorge.

Und was ich noch wusste war, dass ich längst nicht mehr sauer auf Ardy war.
Oder war ich das überhaupt jemals gewesen?
War ich nicht eher sauer auf mich, weil alles so gekommen war?

Nein, es ist immer leichter, anderen die Schuld zu geben.
Ich hatte momentan genug um die Ohren.

Ich fühlte mich schwach und verletzlich.
Dem Schicksal ausgeliefert ohne mich wehren zu können.
Und dieses Gefühl war als ob dir jemand gleichzeitig mit voller Wucht in den Magen schlagen und einen Kinnhaken verabreichen würde.
Und das war ich einfach nicht mehr gewohnt!

~ „Weißt du, das Leben ist gar nicht so schön wie du glaubst..." Verwirrt betrachte ich meine Mutter, die ihren Kopf schwerfällig auf ihrer Hand abgestützt und auf die Bierflasche vor sich starrt.
Sie haben sich gestritten.
Heftig.
So schlimm ist es noch nie gewesen!
Betroffen stehe ich in der Küche und fühle mich mehr als fehl am Platz.
Sie lacht verbittert auf.
„Die Welt ist trostlos. Jeder setzt immer auf die Hoffnung und was hat man davon? Nichts als Elend und Schmerz."
Seufzend nimmt sie einen weiteren Schluck des bitter riechenden Getränkes und ich muss unwillkürlich die Nase rümpfen.
„Wo ist Dad?"
„Weg."
„Wohin?"
„Keine Ahnung. Das Schwein ist einfach abgehauen."
Ihre matten, leeren Augen richten sich nun auf mich und mir läuft ein Schauer übers Rückrat.
„Versprich mir, dich nie zu verlieben, Thaddeus. Liebe bringt nur Unglück und gebrochene Herzen."
„Mum, ich bin neun! Mädchen sind voll doof..."
Sie lacht erneut mit einem so unechten Unterton auf, dass sie mir fast schon ein wenig Angst macht.
„Ich weiß, mein Liebling, ich weiß. Geh ins Bett, ja?"
„Gehts... gehts dir gut?"
„Gut? Ach Kleiner... Das Wort 'Gut' existiert in dieser Welt nicht..."
„Aber..."
„Ich sagte du sollst ins Bett gehen."
„Aber ich will nicht-"
„Geh ins Bett!" Ihre plötzlich kreischende Stimme überschlägt sich und ich zucke heftig zurück.
Ihre Augen funkeln fremdartig und die Angst, die mich vorhin beschlichen hat, verwandelt sich nun in pure Panik.
Diese Frau, die vor mir steht, sieht nicht mehr aus wie meine sonst so geliebte, hübsche, glückliche Mutter.
Sie ähnelt eher einer dieser verrückten Massenmörderinnen aus einem der Filmen, die mein Vater Abends immer geschaut hat.
Ein verzogenes Grinsen kräuselt ihre aufgerissenen Lippen und mein Blick huscht nervös zwischen ihren Augen hin und her, während mein Körper ununterbrochen von einem hektischen Zittern heimgesucht wird.
„Geh.", zischt sie und ich stolpere einige Schritte rückwärts, bis mein Rücken gegen die kalte Wand hinter mir stößt und mich ein Gefühl der Wehrlosigkeit überkommt.
Meine blauen Augen haben ihren Glanz verloren.
Eine wässrige Schicht hat sie überzogen, welche gerade beginnt, gefährlich zu flimmern.
„Die Welt ist grau, Thaddeus. Verschwende deine Tränen nicht für so etwas. Sie ist es nicht wert, überhaupt zu weinen. Sonst bist du verloren. Merk dir das. Egal was du tun wirst; merk dir das...!"
Mit diesen Worten verschwindet ihr verrücktes Grinsen und sie dreht sich mit leeren Augen von mir weg, um wieder Platz zu nehmen und teilnahmslos in die Leere vor sich zu starren, wo sie irgendetwas zu sehen scheint, was mir verborgen bleibt.
Mit zittrigen Knien, rasendem Herzen und wirren Gedanken stolpere ich aus der Küche, hinauf in mein Zimmer und verkrieche mich unter meiner Bettdecke.
Noch nie in meinem bisherigen, neunjährigen Leben habe ich mich so verloren gefühlt.
So alleine gelassen.
So unglaublich verraten.
Ich fühle mich einsam und unglücklich.
Bedrückt von der Dunkelheit um mich herum.
Mein Lächeln ist erstarrt.
Und hätte ich gewusst, dass dieses nicht mehr so bald zurück kehren würde, hätte ich gar nicht erst versucht, die Liebe in dieser Frau wieder zu finden.
Denn die existiert nicht mehr.
Weder in ihr, noch in mir.
Etwas in mir ist mir worden, etwas, das sich ein Teil meines Herzens nennt.
Und es ist das erste Mal gewesen, dass ich gespürt habe, wie es sich anfühlt, wenn die eiserne Kralle namens Schmerz sich über meine Seele zieht und eine dünne, blutende Spur hinterlässt.~

Behind me ~ TardyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt