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Dementsprechend sah ich dann auch wenige Stunden später aus, nachdem ich aufgestanden war. Selbst eine ausgiebige Dusche hatte nichts gebracht, meine Augen wurden von tiefen Augenringen geziert. Seufzend griff ich zu meinem Concealer und versuchte alles, so gut wie es eben ging, abzudecken.

Besser fühlte ich mich dadurch aber nicht. Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte, erst die Sache mit meinem Dad und dann waren Harry und Niall auch noch totale Arschlöcher. Obwohl, ihre Namen hatten sie noch nicht einmal verdient.

Passend zu meiner Stimmung trug ich heute komplett schwarz, meine nassen Haare hatte ich zu einem unordentlichen Dutt gemacht. Heute konnte man mir ruhig ansehen, wie es mir wirklich ging, ich war es leid, mich immer zu verstecken.
Wie sagt man so schön? Sei immer du selbst.

Beim Packen meiner Schultasche fiel mein Blick auf Harry's Zettel. Wenn das seine richtige Nummer war, dann würden sich sicher einige Leute freuen, wenn ich sie posten würde. Ich konnte ihn ruinieren mit dem, was ich alles über ihn erfahren hatte. Okay 'ruinieren' war jetzt etwas zu hoch gefasst, aber ich konnte ihn verletzen.
Aber so bin ich nicht. Mag sein, dass er vielleicht ein verlogener Mistkerl ist, aber soetwas tue ich nicht. Ich weiß, was richtig und was falsch ist. Im Gegensatz zu ihm.

Ich unterbrach meine eigenen Gedanken und riss den Zettel von meiner Pinnwand. Ich sah noch kurz auf das nun zerknitterte Stück Papier in meiner Hand, dann zerriss ich es und warf es in den Papierkorb unter meinem Schreibtisch.

Zur Abwechslung war ich heute einmal pünktlich und konnte mit Mum und Jason zusammen frühstücken. Das Essen verlief ruhig, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Mein Bruder warf mir mehrmals besorgte Blicke zu, doch ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte nicht mit ihm darüber reden, noch nicht. Er bot mir allerdings an, mich im Auto mitzunehmen und ich stimmte dankend zu. Auf die Blicke im Bus hatte ich jetzt echt keine Lust.

"Alles okay?", fragte Jason mich schließlich, als wir im Auto saßen und gerade an einer roten Ampel hielten.

"Wir reden später, okay? Ich muss das alles selbst erst mal verarbeiten", meinte ich, woraufhin sein Blick noch besorgter wurde. Wahrscheinlich dachte er, dass es immernoch wegen Dad war. Ich erzählte ihm sonst alles, er wusste, dass es echt schlimm sein musste, wenn ich nicht mit ihm darüber sprechen konnte, aber er nickte nur und hielt dann vor meiner Schule.

Ich gab ihm noch einen Kuss auf die Wange und stieg dann mit meiner Tasche über der Schulter aus. Heute war so ein Tag, an dem ich überhaupt keinen Bock auf Schule hatte, verständlich oder? Umso froher war ich, dass der gesamte Schultag einfach nur an mir vorbei zog und nichts noch schlimmeres passierte, im Moment auf jeden Fall noch nicht. Ich wurde zum Glück kein einziges Mal dran genommen, die Lehrer hatten wohl gemerkt, dass es mir nicht besonders gut ging.

Mit Lexa hatte ich auch noch nicht gesprochen, ich war einfach nicht in der Lage dazu, aber in der Kantine blieb mir nichts anderes übrig.

Nachdem ich mein Essen, besser gesagt eine graue Pampe, die wohl Milchreis dastellen sollte, bekommen hatte, schlurfte ich zu unserem Stammplatz. Wir saßen oft im hintersten Eck, weil es dort einfach am ruhigsten war. Ich ließ mich auf meinen Platz fallen und stocherte lustlos in meinem Essen, während ich auf Lexa wartete.

Als diese sich wenig später auf dem Platz gegenüber von mir nieder ließ, sah sie mich besorgt an.

"Du musst was Essen, Lynn", meinte sie nach einer Zeit.

"Hab keiner Hunger", erwiderdete ich trocken.

"Was ist denn los mit dir? Du bist schon den ganzen Tag so komisch. Im Unterricht hast du nicht gesagt und die ganze Zeit nur einen Punkt an der Wand angestarrt. Ich habe dich mehrmals angesprochen, aber du hast nicht reagiert. Ich mach mir echt Sorgen Lynn, so bist du doch sonst auch nicht."

Ich zögerte kurz, aber dann erzählte ich ihr alles. Von dem unabsichtlichen Treffen mit Harry und den Zusammenstößen mit Niall, ich zeigte ihr auch die ganzen Chatverläufe. Das mit meinen Eltern ließ ich bewusst raus, dabei konnte sie mir eh nicht viel helfen, Jason und ich mussten das einfach irgendwie hinkriegen. Nachdem ich fertig war sah ich sie nun etwas erleichterter an. Es tat gut, darüber zu reden.

Lange war es still, Lexa schien über all das nachzudenken. Dann brach sie die Stille: "Harry ist ein Arsch."

"Der Kobold auch", stimmte ich ihr zu, aber sie schien schon wieder in ihren Gedanken zu sein.

"Bist du dir sicher, dass das alles stimmt?", fragte sie mich nach einer Weile und ich nickte nur. "Schau doch mal. 'Niall' hat dir um drei Uhr nachts 'Guten Abend' geschrieben, er ist aber nach wie vor hier in London. Harry dagegen ist, so weit ich weiß, noch gestern Abend ganz spät nach New York geflogen. Außerdem war Niall gestern golfen UND Irland hat gespielt. Über beides hat er nicht getwittert, was er sonst aber immer tut. Klingt das nicht alles ein bisschen seltsam?"


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