Es war gestern etwas spät geworden, obwohl Vega sich rechtzeitig hingelegt hatte. Stundenlang hatte sie sich hin und her gewälzt, unfähig einzuschlafen.
Vielleicht lag es an der Aufregung, wer wusste das schon.
Als sie aufstand bemerkte sie, dass zu allem Überfluss auch noch ihr Fuß höllisch wehtat. Das fängt ja super an, dachte Vega und bahnte sich einen Weg durch das Chaos in ihrer Kabine, bis sie ihre Tasche gefunden hatte, in der die Klamotten waren, die nicht auf dem Boden verstreut lagen. Sie kramte eine Jeans und einen dicken Pullover hervor, zog sich schnell um und trat aus dem Zelt. Vor dem Eingang stand Riccardo an das Heck seines Wagens gelehnt und ein warmes Getränk aus einer Thermoskanne schlürfend. ,,Morgen", rief er entgegen, sobald er sie bemerkt hatte. ,,Hi.", entgegnete das Mädchen schüchtern. Sie war nicht wirklich gut im Umgang mit Menschen. Früher war sie extrem kontaktfreudig gewesen, aber es hatte nicht lange gedauert, bis sie festgestellt hatte, dass sie dadurch häufig auf Ablehnung stiess. Die anderen stempelten sie schnell als Freak ab, und das nur, weil sie anders war. Warum auch immer war es den Menschen in ihrer Nähe stets schwer gefallen, sie so zu akzeptieren wie sie war. Sie selbst wusste noch nicht einmal woran das nun genau lag. Wenn man Vega erst ein mal näher kannte, wusste man vielleicht, dass sie im Grunde nur Einzelgänger auf der Suche nach Anschluss war, aber eben nur wenn man sie kannte und das taten leider nicht wirklich viele. ,,Willst du auch was?". Riccardos Stimme riss Vega zurück in die Wirklichkeit. Er hielt ihr die Thermoskanne hin. ,,Ist Tee drin.", fügte er hinzu, als keine Antwort kam. Nickend nahm Vega den Behälter entgegen und nahm einen Schluck, als sie plötzlich Rascheln aus dem Vorraum des Zeltes vernahm. Eine Gestalt kroch aus dem Zelt, die sich als Anouk herausstellte. Sie hatte sich noch nicht umgezogen, sondern trug immer noch ihren Pyjama. ,,Ich für meinen Teil lasse mich lieber von einer warmen Tasse Kaffee wach küssen.",äußerte sich das Mädchen und streckte sich, während sie sich den Schlaf aus den Augen rieb. ,,Gibt es sonst noch was zu frühstücken?", wollte sie wissen, woraufhin Riccardo ihr eine Tüte Milchbrötchen zuwarf.,,Ich weck' dann mal die Anderen, sonst verschlafen die noch." Erklärte sich Vega bereit, wobei verschlafen vielleicht nicht der richtige Ausdruck war. Die Anderen wecken, damit sie nicht ausschliefen traf es wohl eher.Sie trat ins Zelt und wurde von lautem Schnarchen begrüßt, welches aus Jan's Kabine an ihr Ohr dran. Vega trat einen Schritt näher heran. ,, Jan?" Fragte sie, ohne eine Antwort zu erhalten. Erst zögerte sie dann nahm sie den Reißverschluss und öffnete. Jan lag auf seiner Luftmatraze, jedoch zu Vega's Verwunderung mit geöffneten Augen. ,, Was zur Hölle machst du da?" Fuhr sie ihn an. ,, Ach man, kannst du nicht langsamer reinkommen. " beschwerte sich Jan und zog sich ein Paar Socken über. Vega runzelte die Stirn:,, Das war keine Antwort auf meine Frage." Jan, der fortfuhr sich fertig zu machen musste sich ein Lachen verkneifen, stattdessen kam nur ein Grunzen heraus. Dann kam er endlich zu Wort:,, Also ich dachte, dass wenn du denkst... wenn du denkst, dass ich noch schlafe..." er beendete seine wenig zufrieden stellende Erklärung mit einem unsicheren Gluksen. ,,Da hat wohl jemand versucht, sich 'ne kleine Ruhepause zu erschummeln." Kommentierte Vega, auf eine schräge Art und Weise belustigt. Sie mochte Jan. Sie konnte zwar nicht sagen weshalb, aber sie mochte ihn. Er war gelassener als die anderen, deshalb war es auch so viel entspannter in seiner Gegenwart. Riccardo und Anouk waren zwar auch irgendwie sympathisch aber in ihrer Gegenwart war alles von einem ernsten Unterton begleitet. Zudem waren sie ständig mit planen, einteilen und organisieren beschäftigt und liessen nichts spontan geschehen, was einerseits ein Segen war und andererseits ein Fluch. Vega eilte zu Hanna und Sarah um auch sie aufzuwecken.Sie hatten eine weitere Stunde damit zugebracht ihre Sachen zu packen, das Zelt abzubauen und alles in den Wagen zu laden. Sie hatten das Auto dann ein Stück weit abseits des Campingplatzes geparkt, um den unbefestigten schmalen Wanderweg, der den Berg hinauf führte, entlang zu laufen, angeführt von (wie sollte es anders sein) Riccardo. ,,Ist es noch weit?", quengelte Vega, die ihren Platz in der Reihe neben Jan eingenommen hatte. Bela drehte sich im Laufen zu ihr um:,, Wir sind doch gerade erst losgegangen. " Ja, sie waren gerade erst losgegangen und Vega ging das Wandern jetzt schon auf die Nerven. Im Nachhinein fragte sie sich, was sie sich dabei gedacht hatte. Zwar war sie eine gute Sprinterin und konnte ziemlich schnell auf kurzen Strecken laufen, allerdings war Ausdauer nun wirklich nicht ihre größte Stärke. Sie vermisste ihr Bett, in dem sie jetzt normalerweise liegen würde und sie vermisste ihre Katze, Olivia, die jeden Morgen schnurrend zu ihr ins Bett kroch. Es war vielleicht seltsam einem Haustier einen menschlichen Namen zu geben, aber es gab Tage an denen Vega dachte, Olivia wäre mehr Mensch als jeder andere. Sie war die einzige die Vega wirklich verstand, ihr aufmerksam zuhörte und sie auf ihre eigene Art tröstete. Olivia war für Vega das, was für andere eine beste Freundin war. Das erste was du machst wenn wir da sind, ist dich auszuruhen, sagte Vega sich. Sie zog sich ihre rote Woll Mütze tiefer ins Gesicht und marschierte weiter hinter den anderen her, während sie versuchte ihr Seitenstiche so gut es ging zu ignorieren. Jetzt hieß es laufen. Laufen, laufen, laufen. Zum kotzen. Doch immer wieder hielt sich Vega ihr Ziel vor Augen und brachte so Kilometer für Kilometer hinter sich. Doch egal wie motiviert sie auch sein mochte, ihre Fußschmerzen liessen sich davon nicht beeindrucken und Vega fiel immer weiter zurück, bis sie schließlich das letzte Glied in der Gruppe war.Völlig entkräftet blieb sie stehen, hechelnd wie ein Windhund. ,,Ich- kann-nicht-mehr!" Die Worte kamen nur stossweise aus ihrem Mund. Vega drehte sich um. Wahrscheinlich hätte sie den Anblick der sich ihr bot genossen, wäre sie nicht so erschöpft gewesen. Sie hatten jetzt mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt und blickten nun auf das, was bereits hinter ihnen lag, eine schneebedeckte, weiße Fläche, nur unterbrochen von Tannenbäumen, die sich in ihrem saftigen dunkelgrün vom immer dunkler werdenden Himmel abhoben. Die Straße, auf der sie gekommen waren, war nun eine feine, graue Linie die sich durch das Tal zog. Das raschelnde Geräusch, als Jan seinen Arm unter seiner Regenjacke bewegte, um ihn Vega auf die Schulter zu legen, ließ sie aufhorchen. ,,Geht es dir so schlecht?" Zwar konnte man sein, von einem gigantischen Wollschal verhülltes Gesicht nicht erkennen, Vega hörte aber am Klang seiner Stimme, dass er sich sorgte. ,,Es geht schon, mach dir keinen Kopf. Alles was ich brauche ist eine kleine Pause." Beruhigte Vega ihn. Für eine weile verharrte Jans Blick auf dem Mädchen, dann ging er ohne ein Wort zu Riccardo und sagte ihm etwas, ohne dass Vega verstand was es war. Kurz darauf räusperte sich Ricardo: ,,Hört mal alle kurz zu: Wir werden zwar nicht zur geplanten Zeit ankommen, aber ich denke, es ist im Interesse jedes einzelnen hier, dass wir eine Verschnaufpause einlegen. Danach werden wir dann weiter gehen." Vega hätte nur zu gerne die Zeit genutzt um nachzusehen, weshalb ihr Fuß so weh tat, allerdings wäre es bei dieser Kälte wenig ratsam Socken und Schuhe auszuziehen, daher versuchte sie die Schmerzen, die sie bei jedem Schritt spürte, (so gut es ging) für den Rest des Weges zu ignorieren. Ausserdem konnte sie sich nach der Pause ohnehin etwas besser. Dennoch verging diese viel zu schnell und bald setzten sie ihre Reise fort. Unglaublich erschöpft schlurfte Vega hinter dem Rest der Gruppe her und mehr als ein mal musste Jan die anderen darauf hinweisen zu warten. Schritt für Schritt kämpfte sich Vega vor und dann sah sie es in der Abenddämmerung. Ein kleiner brauner Punkt, aus der Entfernung kaum zu erkennen. Die Gruppe kam immer näher, bis Vega begriff was das war, auf das sie sich da zu bewegten. Sie hatten die Hütte erreicht.

DU LIEST GERADE
The cabin
Misteri / ThrillerEine Gruppe von Jugendlichen, die sich über das Internet kennen gelernt haben, planen (um einander besser kennen zu lernen) einen zwei wöchigen Urlaub in einer abgelegen Berghütte. Doch als einer von ihnen stirbt wird, wird aus Spaß schnell blutiger...