Die Zweifel, die sie plagten

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Ihr Blick war an die Decke gerichtet, ihre Gedanken rasten ruhelos wie tausend Gewitter in ihrem Kopf umher. Sonst war der Himmel immer zur Gänze von dunklen Wolken verdeckt, doch heute Nacht warf der Mond sein kühles Licht durch eine Lücke in der Wolkendecke und in seinem Schein leuchtete Sarahs kupferrotes Haar wie eine einsame Flamme in der Finsternis. Sie wusste nicht wie lange sie nun schon dort lag und die hölzernen Bretter über ihrem Kopf anstarrte, aber es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Doch was sollte sie sonst tun? Sie war eben unfähig einzuschlafen und was blieb ihr da anderes übrig, als in ihrem Bett zu liegen und die Zeit tot zu schlagen? Und nachdem auch noch ihr Name gefallen war kam sie erst recht nicht zur Ruhe. Sie wusste nicht genau wer ihn genannt hatte, mit wem die Person gesprochen hatte und was das mit ihr zu tun hatte, aber sie war doch erstaunlich oft in diesem Gespräch vorgekommen. Mehr wusste sie aber auch nicht. Zuerst hatte Sarah gedacht, sie bilde sich die Stimmen lediglich ein, als dann aber eine weibliche Stimme ihren Namen nannte hatte sie aufhorchen müssen. Sie hatte gewartet, darauf, dass etwas passierte, dass sie weitere Einzelheiten zu Ohren bekommen würde, doch nach diesen Worten herrschte erst einmal Stille. Als Sarah gerade davon ausgegangen war, dass ihr Gehör ihr bloß einen Streich gespielt hatte, ertönte wieder eine Frauenstimme. Sie wusste nicht, ob es die gleiche Sprecherin war, wie zuvor, aber ihre Stimme klang so Hass erfüllt, dass Sarah eine Gänsehaut bekommen hatte. Und dieses mal war es mit Sicherheit keine Einbildung gewesen. Sarah hatte mit dem Gedanken gespielt zur Tür zu gehen und nachzusehen, wer dort so abschätzig von ihr sprach, entschied sich dann aber letzten Endes dagegen. Das wäre viel zu auffällig und sie ging nicht davon aus, dass die Gestalten gerne belauscht wurden. Würde Sarah auffliegen, könnte das verheerende Folgen für sie haben. Und so lag sie nun auf ihrer Matratze, die Ohren gespitzt und mit zu großer Angst um aufstehen zu können. Sie bewegte sich nicht, versuchte ihren eigenen Herzschlag zu überhören, um die Worte zu verstehen, welche unten im Wohnzimmer ausgetauscht wurden. Viel mehr als ein verschleiertes Gemurmel verstand sie jedoch nicht. Das trieb Sarah nahezu in den Wahnsinn, doch sie zwang sich dazu ihren Frust nicht über ihre Aufmerksamkeit zu stellen. Sie begann zwar immer mehr daran zu zweifeln, dass sie etwas von Bedeutung erfassen könne, aber dies konnte sie nicht unterkriegen. Der Gedanke daran, dass es wichtig sein könne, für sie und vielleicht auch noch mehr, ließ sie weiter lauschen. Außerdem hatte sie ja ohnehin nichts zu tun und etwas besseres fiel ihr nicht ein. Minuten verstrichen, die sich anfühlten wie Stunden, als wäre die Zeit selbst gealtert und käme nun nur noch mit schlurfenden Schritten voran und das so langsam, dass Sarah befürchtete, sie könne stehen bleiben. Sarah überlegte, was wohl passiert wäre, wenn sie von dem Gespräch, welches unten geführt wurde nichts mitbekommen hätte. Sie läge vermutlich in ihrem Bett, genau wie jetzt. Wahrscheinlich würde sie auch schon versunken sein in ihre eigenen verrückten Träume, in denen sie sich mit ganz anderen Konflikten befasste, statt tatenlos auf ihrem Laken zu liegen und in die Gegend zu starren, während sie sich die Konversationen von Fremden anhörte. Eigentlich waren das ja noch nicht einmal Fremde, zumindest ging Sarah davon aus, dass es sich um Leute aus dem Haus handelte, wen auch sonst? Nur wer sprach zu wem? Und warum unterhielten sie sich über Sarah? Das Mädchen riss sich zusammen und schüttelte den Kopf. Hier zu liegen brachte sie kein Stück weiter. Letztendlich war es doch in ihrem eigenen Interesse herauszufinden, was über sie gesagt wurde. Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und setzte ihre Fußsohlen vorsichtig auf das uralte Holz unter ihr. Fast rechnete sie damit, dass der Boden ein verräterisches Knacken oder ein anderes Geräusch von sich geben würde, doch dem war nicht so. Auf Zehenspitzen schlich Sarah über die nackten Dielen, setzte jeden Schritt mit Bedacht und gelangte schließlich zur Tür. Dort stand sie eine Weile, unschlüssig was sie nun tun sollte. Die Stimmen traten nun etwas deutlicher an Sarah heran, waren aber nach wie vor gedämpft. Die Finger des Mädchens zitterten, als sie diese nach dem Türgriff ausstreckte. Sie verharrten für einen Moment dort, lagen einfach nur auf der Metallklinke. Das wird laut, wenn ich nicht aufpasse! ,rief sich Sarah mit einem unangenehmen Beigeschmack ins Gedächtnis. Ihr Mund fühlte sich mit einem mal trocken an. Sie schluckte und begann die Klinke herunterzudrücken- langsam und vorsichtig. Ein Hauch warmen Lichts fiel durch den Spalt, der sich zwischen Tür und Rahmen auftat und bildete einen hellen Streifen auf Sarahs Gesicht. Sie lugte hinter dem Schutz der Holztür hervor. Sie konnte niemanden erkennen, was auch nicht weiter verwunderlich war. Wenn man vom Treppenhaus aus ins Wohn- und Esszimmer guckte, dann sah man lediglich den Küchen-Teil durch einen Durchgang. Die Sofa Ecke mit dem Kamin sah man von dort aus gar nicht, da diese direkt um die Ecke lag und einem die Wand die Sicht versperrte. Jetzt waren die Stimmen klar genug, dass Sarah sie verstehen konnte. ,,...wenn alle anderen schon schlafen und kläre die Sache unter vier Augen.", sagte eine weibliche Stimme. Sarah wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, geschweige denn was sie nun tun sollte. Was war damit gemeint: Die Sache unter vier Augen klären? War Sarah soeben Zeuge einer ernsten Angelegenheit geworden? Für sie klangen diese Worte ziemlich nach Stress. Und warum hatte die Frau gesagt: Wenn alle schon schlafen? Durfte etwa keiner von ihrer Unterhaltung erfahren? War das ganze so wichtig? Es folgte unverständliches Gemurmel, dann war auf einmal alles still, was Sarah aus ihren Gedanken riss. Durch ihre Überlegungen hatte sie vollkommen vergessen sich auf das Gespräch der Personen im Wohnzimmer zu konzentrieren. Doch jetzt sagte keiner mehr etwas. Es war ruhig geworden und Sarah nahm nur ihren eigenen Atem wahr. Dann ortete sie das Geräusch von Schritten- Schritten, die sich auf sie zu bewegten! Schnell trat sie einen Meter von der Tür weg. Nur wenige Sekunden später schleppte sich eine Gestalt an dieser vorbei. War das gerade etwa Riccardo? Der hatte doch Vega beaufsichtigen wollen. Weshalb war er dann hier? Ließ er Vega wirklich alleine? Das war doch total verantwortungslos. Auf einmal kam Sarah eine neue Idee. Gehörte die Frauenstimme vielleicht Vega? Aber wenn ja, warum sollte sie solche Dinge sagen? Nein, das ergab keinen Sinn. Aber wer hatte es dann gesagt- eine weitere Person, die sich wohlmöglich noch im Raum befand? Sollte Sarah nachsehen, ob es ihr gut ging? Andererseits könnte sie sich selbst damit in Gefahr bringen und damit würde sie keinem helfen. Sie zog sich in ihr Zimmer zurück, um weitere Überlegungen anzustellen. Sarah setzte sich wieder auf ihr Bett und schaute aus dem Fenster. Die unüberwindbar scheinende Mauer des Unwissens in ihrem Kopf machte ihr zu schaffen. Es gab zu viele Fragen und viel zu wenige Antworten. Draußen vor dem Fenster fiel der Schnee. Der Schneesturm hatte sich etwas gelegt, sodass man sich wieder draußen hätte aufhalten können. Sarah überlegte, ob man unter diesen Umständen vielleicht eine Flucht von diesem Ort wagen könnte, verwarf den Gedanken jedoch schnell. Sie machte sich nur unnötige Hoffnungen. Selbst wenn die Umstände noch so günstig waren, eine Flucht war nicht in Betracht zu ziehen. Auf die Gefahr hin, dass ein Mörder draußen herum lief war die Hütte nicht nur ein Gefängnis, sondern auch ein geschützter Ort. Geistesabwesend guckte Sarah auf die reine Schneeschicht, die den Grund benetzte. Als Kind war es für sie immer ein Gefühl des Glücks gewesen, wenn sie das Haus verlassen hatte und als aller erster Mensch ihre Fußstapfen in die unberührte weiße Ebene gesetzt hatte. Und dann erst bemerkte sie es: Einen Schatten, der in den Wald verschwand und sich im tiefen Schwarz der Bäume verlor. Geschockt saß Sarah da. Was, wenn Riccardo sich mit jemandem unterhalten hatte, der gar nicht aus dem Haus stammte? War das der Mörder? Und machte er gemeinsame Sache mit Riccardo? Es war beängstigend, wie schnell man hier gezwungen war sein Vertrauen in den Anderen und alle Freundlichkeit ihm gegenüber in Luft aufzulösen. Es herrschte eben Ausnahmezustand. Da konnte ein bisschen Vertrauen an der falschen Stelle tödlich enden. Sarah vertraute ja noch nicht einmal sich selbst. Aber dieser Feststellung zuwider wusste Sarah, dass sie diese Information genauso wenig für sich behalten konnte. Riccardo würde sie natürlich nichts von dem eben gesehenen anvertrauen, es bestand immerhin die Möglichkeit, dass er in all das verwickelt war. Das Risiko mochte vielleicht bei jedem bestehen, aber in seinem Fall war es deutlich höher. Aber mit wem könnte sie ihr Wissen teilen? Die erste Person, die ihr einfiel war Anouk. Sie war ohnehin eine Art inoffizielle Gruppenleiterin, von daher machte die Idee auf Sarah einen sinnvollen Eindruck. Also ging sie zur Tür, sah sich um bevor sie ihr Zimmer verließ und schlich sich den Flur entlang.Es konnte immerhin sein, dass sich die Person, die mit Riccardo gesprochen hatte noch in der Hütte aufhielt. Mit jedem Schritt fühlte sich Sarah ungeschützter. Sie entfernte sich von ihrem Versteck und Anouks Raum war noch weit entfernt, zumal er im zweiten Stock lag. Sarah lief an Türen vorbei, über den alten Holzboden, der für sie ein Mienenfeld darstellte und klammerte sich fest an das Treppengeländer als sie es erreicht hatte. Sie setzte ihren Fuß auf die erste Stufe, dann die zweite, dann dritte, dann- Es knarrte als sie ihr Gewicht auf das Stück Holz verlagerte.Das Blut pochte Sarah bis zu den Ohren. Sie wusste nicht was sie tun sollte. Sollte sie wegrennen? Sich verstecken? Letzten Endes entschied sie sich fürs Abwarten und Hoffen. Zu ihrem Glück hatte keiner etwas bemerkt. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in ihr breit und sie setzte ihren Weg zu Anouk fort. Am oberen Teil der Treppe angelangt überlegte sie kurz, welcher Raum der von Anouk war und zu ihrer Überraschung wusste sie es nicht. Eigentlich war das gar nicht so erstaunlich, sie selbst war ja im Gegensatz zu Anouk im unteren Stockwerk untergebracht. Sie blieb an der erstbesten Tür stehen. Das war nicht Anouks Zimmer, das wusste Sarah mit Sicherheit. Dort war Vegas Zimmer, in dem sie scheinbar gestorben war. Es blieben also noch zwei Türen. Sarah öffnete eine der beiden. Zu Gesicht bekam sie einen leeren Raum, ohne jeden persönlichen Inhalt. Die Möbel waren von einer dünnen Staubschicht überzogen und alles strahlte eine gewisse Melancholie aus, als würde auch das Zimmer sich schmerzlich an den ehemaligen Besitzer erinnern- an Jan. , dachte Sarah. Sie schloss die Tür wieder und bildete sich ein, der Raum würde sie vorwurfsvoll ansehen, als fände er es unverschämt, dass sie einfach so ging. Sarah lief zur nächsten Tür. Dieses mal war sie sich sicher, die richtige erwischt zu haben. Der Raum war im Vergleich zu ihrem recht ordentlich, auf dem Nachttisch stapelten sich drei Thriller und an die Wand waren Zettel gepinnt. Das Fenster stand offen und ein kalter Luftzug ließ die weißen Vorhänge im Mondlicht tanzen, wie Gespenster. Das Mädchen ging darauf zu um es zu schließen. Irgendetwas musste sie falsch gemacht haben. Sie war sich sicher gewesen, dass das hier Anouks Zimmer war, aber so wie es aussah musste es Vega gehören, sonst wäre es nicht verlassen. Anouk musste sich immerhin hier im Haus aufhalten, einen anderen Aufenthaltsort gab es ja nicht. Ob sie diejenige war, mit der Riccardo geredet hatte und sich nun im Wohnzimmer aufhielt? Unwahrscheinlich. Es war viel wahrscheinlicher, dass sich Sarah doch geirrt hatte und Anouk in dem Raum untergebracht war, den sie für den von Vega gehalten hatte, also kehrte sie zur ersten Tür zurück und betrat den Raum. Im Gegensatz zu dem vorherigen war dieser ziemlich chaotisch. Auf dem Boden lagen einzelne Socken, Pullover und teilweise auch Snacktütchen herum und auf dem Laken war nach wie vor ein riesiger Blutfleck. Zwischen den Kissen lag ein iPhone und als Sarah auf den Home-Button drückte, lachte ihr ein Asiate mit Eyeliner vom Sperrbildschirm entgegen. Das war ganz sicher nicht Anouks Zimmer! Aber das bedeutet, dass... Sarah stürmte zurück in das andere Zimmer und sah aus dem Fenster. Im Schnee unter ihr waren Fußstapfen zu erkennen, die zu der Stelle am Waldrand führten, wo Sarah die Gestalt gesehen hatte...

The cabinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt