Ein erschreckender Fund

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Es ist alles nur ein Traum...Bitte sag mir, dass das alles bloß ein Traum ist!
Sarah taumelte, stürzte und versuchte nun auf allen Vieren wegzukriechen. Doch ihr Körper war wie gelähmt und ihr Geist benebelt, benebelt von dem, was sie soeben gesehen hatte. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, alles was zur Zeit in ihrem Kopf war, war dieses Bild. Warum konnte sie es nicht vergessen. Sie wollte nicht hier im Schnee liegen, so unmittelbar in der Nähe der beiden, die sie mit ihren glasigen Augen anzustarren schienen. Ich will nicht, dass ihr mich anstarrt! Hört auf! Tränen flossen aus ihren zusammen gekniffenen Augen. Sie wollte nicht noch mehr sehen. Nur schemenhaft hörte sie Schritte näher kommen ...und Stimmen...das waren doch Riccardo und Anouk, oder etwa nicht? ,, BLEIBT WEG! SEHT NICHT HIN! BLEIBT WEG!" schrie Sarah aus vollem Hals, ihre Stimme rau vor Entsetzen und Verzweiflung. Sie wollte niemanden das selbe erleiden lassen, was sie gerade durchmachte. Die Tränen flossen nun in Strömen über ihr halb im kalten Schnee vergrabenes Gesicht, dessen eine Hälfte sie schon fast nicht mehr spüren konnte. Sie ballte ihre zitternden Hände zu Fäusten. Alles, was sie jetzt wollte, war das Gefühl von Geborgenheit und Wärme und sie wollte weg von diesem Ort. Egal wohin, nur weit, weit weg von hier!
Hände griffen nach ihr, zogen sie weg von dem schrecklichen Anblick, doch sie konnte nicht aufhören zu weinen. Man legte ihre Arme um Schultern und sie wurde weggetragen. Endlich! Aber wirklich freuen konnte Sarah sich nicht über ihre Rettung. Denn obgleich sie nun fern von ihrer persönlichen Hölle war, so verfolgte sie diese doch auf einem viel wirksameren Weg- in ihrer Erinnerung.
Eine Tür ging auf, Sarah wurde in einen Raum gehievt und sanft in einen Sessel gelegt. Sie öffnete die Augen, das erste Mal seit dem, was geschehen war und erblickte den von Dunkelheit durchfluteten Innenraum der Hütte und besorgte Mienen, Blicke, die sie musterten, ihren Zustand kritisch prüften. Anouk konnte man ansehen, dass sie nur mit Mühe ihre Fragen zurückhalten konnte. Die Glückliche. Sie sollte lieber froh sein über ihre Unwissenheit. Manchmal ist Wissen eine Last und Sarah kämpfte im Moment damit, sich nicht von ihr erdrücken zu lassen. Doch sie war nicht stark, nicht in diesem Fall. Sie fühlte sich zerbrechlich, als wäre sie aus Glas. Alles verschwamm vor Sarahs Augen, die Rufe, die plötzlich einsetzten dröhnten in ihrem Schädel. Alles wurde Schwarz. Sarah sank tiefer in die Finsternis, das Licht immer mehr aus den Augen verlierend. Dunkelheit. Das war das letzte was sie sah.

Sarah fuhr sich mit der Hand über die Stirn und ließ sich an der Tür herabsinken. Das war ein anstrengender Schultag gewesen. Aber nun war er endlich vorbei. Toll, jetzt konnte sie sich endlich an die Hausaufgaben machen! Fiel es Sarah plötzlich ein und das freie Gefühl, das sie bis gerade eben noch gehabt hatte war augenblicklich verschwunden.
,,Mom?" Fragte sie zögerlich. Komisch... Sonst begrüßte ihre Mutter sie immer warmen herzens nach der Schule. Generell war sie in letzter Zeit viel fürsorglicher als sonst und betüttelte Sarah regelrecht wie ein kleines Kind. Vermutlich, weil sie Angst hatte, sie würde bald ausziehen. Zurecht. Sarah hatte eh nichts was sie hier an diesem Fleckchen festhielt und ihre Mutter konnte unmöglich von ihr erwarten, dass sie ihr ganzes Leben an einem einzigen Ort verbrachte. Wer wollte das schon? Irgendwo im Nirgendwo für immer festsitzen. Sarah ganz sicher nicht. ,, Mo-om!" Ok, jetzt wurde es wirklich ein wenig seltsam. Sarah stiefelte in die Küche und stellte ihre Tasche ab. Draußen wütete ein Schneesturm, so sehr, dass man fast nur weiß sehen konnte. Alles, was weiter als drei Meter entfernt war, konnte man nicht mehr erkennen. Sarah öffnete den Kühlschrank um zu gucken, ob denn wenigstens noch etwas nahrhaftes da war- und die kalte Pizza sah schon ganz lecker aus. Also schnappte sie sich den halbvollen Karton und lief ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher anschaltete. Sie könnte ja hier warten, bis ihre Mutter sich meldete. Vielleicht war sie einfach nur kurz in den Supermarkt gegangen und konnte nun wegen dem schlechten Wetter nicht zurück. Während Sarah durch die Kanäle flippte, hörte sie den Klingelton ihres Smartphones, der eindeutig aus ihrem Zimmer kam. ,, Ich komm' ja schon!"meinte Sarah, natürlich zu sich selbst, immerhin war ja sonst niemand da. Sie legte den Karton mit dem Fastfood beiseite und hastete zu ihrem Zimmer. Wer auch immer da anrief, er war verdammt hartnäckig, denn ihr Handy wollte gar nicht mehr aufhören zu klingeln. Schien wohl wichtig zu sein. Sarah wollte die Tür aufstoßen, doch zu ihrer Verwunderung öffnete sich diese mit einem lauten Knartschen von ganz allein. Sekunde, wo habe ich noch gleich mein Handy abgelegt? versuchte Sarah sich zu erinnern, konnte es jedoch beim besten Willen nicht. Also war sie gezwungen, nach ihm zu suchen. Sie schloss die Augen und lenkte ihre Konzentration auf das nervtötende Geräusch. Es kam von rechts, etwas weiter hinten im Raum, genau dort, wo ihr Schrank stand. Warum zur Hölle sollte sie ihr Smartphone da reingelegt haben? Sarah bewegte sich auf das hölzerne Ungetüm zu und streckte die Hand nach dem Griff aus. Ihre Finger umschlossen das raue Holz, Sarah griff noch ein wenig fester zu. Und schließlich öffnete Sarah die Tür und taumelte rückwärts. Schreiend sprang sie zur Seite, um nicht in Kontakt mit dem starren, mit Bisspuren übersähten Körper zu kommen, der wie in Zeitlupe auf den Boden ihres Zimmers fiel. Sarah wollte weglaufen, jedoch zog sie der Anblick zu sehr in seinen Bann. Die Haut war bleich, nur an den verwundeten Stellen gerötet und kleine Eiskristalle überzogen den Leichnahm. Sarah zuckte erschrocken zusammen, als sie Stimmen vernahm, stellte jedoch fest, dass diese von ihrem Telefon zu kommen schienen. Sie hatte doch gar nicht auf den grünen Hörer gedrückt, sie hatte ihr Handy nicht einmal angerührt.
,,Und was sollen wir jetzt machen? Wir wissen ja noch nicht einmal, wer oder was für ihren Tod verantwortlich ist."
Diese Stimme... Die kannte sie doch. Natürlich, das war Riccardo. Was passierte hier eigentlich gerade? Sarah schlug die Hände vors Gesicht, als der Raum zu leuchten begann. Alles löste sich auf, verschwand im weißen Meer.

,,Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass das ein Tier war, oder?" Sarah blinzelte und erblickte sogleich eine kleine Menschen Ansammlung, direkt vor ihr. Anouk hatte in Skepsis eine Augenbraue hochgezogen und sah Vega fragend an. ,, Nun ja...", begann diese ,,Du sagtest doch, da waren Bisspuren, vermutlich von Tieren."
,,Das schon, aber die sind wahrscheinlich über die beiden hergefallen, als sie schon tot waren. Es bringt nichts, das ganze schön zu reden. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Und Tatsache ist, dass hier wahrscheinlich ein Mörder frei herumläuft!"
Mit einem Schlag war Sarah hellwach. War das gerade eben ein Traum gewesen? Das mit der Leiche im Kleiderschrank? Natürlich, sie musste in Ohnmacht gefallen sein. Doch um ehrlich zu sein, kannte Sarah kaum noch den Unterschied zwischen real und irreal. Sowas zweifelte man eben an, wenn man die Leichen von zwei Freunden sah. Da kamen einem Gedanken wie: Das muss ein Traum sein! und In echt würde so etwas schreckliches doch nie geschehen! oder So etwas passiert doch immer nur den Anderen! durch den Kopf. Für irgendwen war man allerdings immer jemand Anderes. Daran konnte weder Sarah etwas ändern, noch irgendwer sonst.
,,Nun mal nicht gleich den Teufel an die Wand, Anouk! Panikmache ist hier genauso fehl am Platz! Egal was die beiden umgebracht hat, wir sollten uns davor schützen."
,,Sorry, Leute, aber ich kann noch immer nicht so wirklich glauben, dass die Leichen von Jan und Bela da draußen liegen sollen. Das ist doch Wahnsinn!"
Hannas Stimme klang mehr ängstlich als kritisch.
,,Aber leider die Wahrheit.", brachte Sarah mit zittriger Stimme hervor. ,,Du hättest sie sehen sollen.", seufzte sie und spürte, wie die Erinnerung ihr die Kehle zu schnürte. Für einen Moment herrschte Stille und man hörte nur, wie die hölzernen Balken des alten Hauses im Wind ächzten. Es war beinahe, wie bei einer klassischen Film- Apokalypse. Draußen ging alles drunter und drüber, Chaos und Verzweiflung breiteten ihren Mantel über der Welt aus und verfolgten mit wachsamen Augen das Geschehen, aber das Team schien weit weg von alledem, isoliert von den Grausamkeiten, geschützt in einem Bunker. In diesem Fall wäre ihr Bunker allerdings erschreckend unsicher. ,,Ich verstehe das einfach nicht. Wieso sollte jemand die zwei töten wollen. Sie haben doch nie jemandem etwas getan, oder etwa nicht?" brachte Hanna ihre Zweifel erneut zum Ausdruck. ,,ImGrunde wissen wir kaum etwas über sie." gestand Riccardo sich ein.
,,Leute, egal wer sie wann, wo und aus welchem Anlass auch immer getötet hat- wir sollten gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen."
,,Vorsichtsmaßnahmen? Könntest du das ein bisschen konkreter ausdrücken?" forderte Riccardo Vega auf, die sich räusperte und fortfuhr: ,,Ich meine, dass wir für den Notfall vorbereitet sein sollten. Wir können hier unmöglich weg. Wenn da tatsächlich ein Mörder frei herumlaufen sollte, dann will ich dem nicht begegnen, erst recht nicht bei Sturm. Also, schlage ich vor, müssen wir das Haus so sicher, wie nur möglich machen."
,,Und wie stellst du dir das vor?"
,,Es wäre, denke ich ein guter Anfang, wenn wir die Hütte so gut es geht verbarrikadieren, sodass keiner mehr reinkommt. "
,,Und keiner mehr raus..."
,,Besser so, als andersherum.",beendete Riccardo die Diskussion und machte sich daran, die Haustür abzuschliessen.
,,Das ist bescheuert. Was, wenn die Hütte anfängt zu brennen oder so, und wir hier ganz schnell raus müssen?" murrte Hanna, der das ganze wohl immernoch nicht ganz geheuer war.
,,Willst du im Schlaf erstochen werden?" Hanna schluckte und sagte nach Riccardos Argument erst einmal gar nichts mehr.

Es lag gleichzeitig ein bedrücktes Schweigen, als auch eine gewisse Erleichterung in der Luft, als alle Arbeit getan und die Hütte nun mehr etwas von einer Festung unter Karantäne an sich hatte.
Man konnte nicht sagen, dass Sarah sich nun sicherer fühlte, allerdings fühlte sie sich auch nicht mehr so angreifbar, wie zuvor. Vielleicht war es gerade dieser Umstand, der ihr zu denken gab: Dass sie nicht wusste, wo genau sie sich sehen sollte, ob sie sich in Sicherheit wägen sollte, oder nicht. Ein Seufzer entfuhr der Rothaarigen. Nein...Dachte sie. Irgendetwas ist da draußen... etwas gefährliches. Und es ist noch immer präsent...Und die Gefahr ist noch nicht vorbei, da bin ich mir sicher...

The cabinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt