Wahrheit oder noch mehr Lügen?

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,,Riccardo, du musst mir helfen!", flehte Hanna den Jungen an. Verzweiflung spiegelte sich in ihrem Gesicht, als sie diese Worte aussprach. Riccardo war verwirrt. Wobei sollte er Hanna bitte helfen? Was rief solche Hilflosigkeit in ihr hervor? Hanna warf noch einen flüchtigen Blick auf den Flur um sicher zu gehen, dass niemand Zeuge ihrer Konversation wurde, bevor sie nach der Türklinge griff um die hölzerne Tür schnellstmöglich zu schliessen. ,,Wenn Bela zurück kommt, dann haben wir ein Problem! Besser gesagt, ich habe dann ein Problem.", sagte sie. Verdutzt und geschockt zugleich sah Riccardo sie an. Wie konnte das sein? Was war daran schlecht für Hanna wenn ein lange verloren geglaubter Freund zu ihnen zurück kehrte. ,,Ich verstehe nicht ganz, was...", äusserte Ricci sich, wurde jedoch von Hanna unterbrochen: ,,Hör zu, was ich dir jetzt sage ist nicht nur wichtig sondern auch verdammt vertraulich! Kein Wort zu irgendwem aus der Gruppe, verstanden?". Riccardo nickte bloß, nicht wissend was ihn nun erwarten würde. ,,Und ich will, dass du mir bis zum Ende zuhörst, bevor du ein Urteil fällst!". Erneut kam ein bejahendes nicken von dem Jungen, dann erst fing Hanna endlich an zu berichten: ,,Gut, ich fange dann mal von Vorne an: Es begann damit, dass Bela mich, zu der Zeit wo wir uns im Chatroom schon etwas länger kannten und gerade die Idee mit dem gemeinsamen Urlaub aufkam, im Privatchat nur zwischen uns beiden etwas fragte. Er wollte wissen, ob ich Lust hätte  eine verrückte Aktion mit ihm gemeinsam zu planen und umzusetzen. Ich hatte natürlich keine Ahnung wovon er da redete, darum fragte ich ihn was er meinte. Daraufhin antwortete er, dass es doch unglaublich lustig sein müsste die Anderen aus der Gruppe total zu verarschen und ein  wenig gruseligen Kram zu arrangieren. 'Die werden sich einpissen und Angst haben wie kleine Kinder', meinte er. Zu Anfang war ich skeptisch, aber ob ich wollte oder nicht, ich fing an Gefallen an dem Gedanken zu finden. Ich nahm an es wäre ja schon irgendwie eine lustige Aktion und der Rest der Gruppe würde sicherlich relativ schnell dahinter kommen, dass alles nur inszeniert war, da ja niemand ernsthaft zu Schaden käme. Ich konnte ja unmöglich wissen, dass das alles so schnell ausser Kontrolle geraten würde. Aber dazu komme ich später. Nachdem ich noch einmal gründlich darüber nachgedacht hatte erklärte ich mich schliesslich einverstanden und begann die einzelnen Grusel-Szenarien mit Bela durchzuplanen. Wir investierten sogar einen relativ hohen Betrag unseres eigenen Geldes in das Projekt. Als der Tag der Umsetzung endlich gekommen war und die lang erwartete Fahrt begann hatten wir unsere Koffer mit Massenhaft Kunstblut, menschlichen Körperteilen aus Plastik und anderen Grusel-Artefakten beladen und freuten uns schon echt darauf euch so richtig Angst einzujagen. Und es war grandios. Es war sogar noch gruseliger, als wir es uns ausgemalt hatten. Die total einsame Landschaft, diese düsteren Wälder und dann auch noch die unheimliche Verkäuferin an der Tankstelle... Das ideale Setting für einen Horrortrip! Davor hatten wir selbstverständlich alles bereits abgesprochen, was wir vorhatten, wir verschwendeten nicht einmal einen einzigen Gedanken daran, etwas könne aus den Fugen geraten. Kaum in der Hütte angekommen warteten wir bis alle auf ihre Zimmer gegangen waren, um sich von der anstrengenden Reise zu erholen, und präparierten dann erst das gesamte Haus. In den Ecken hingen wir künstliche Spinnen Weben auf, platzierten das blutbespritzte Messer in der Küchen Schublade und in den Keller stellten wir die ein oder andere Gummi Ratte. Aber allem Anschein nach war das nicht das einzige, was Bela geplant hatte. Da war noch eine Sache, ein bescheuerter Witz in den er mich nicht eingeweiht hatte- und das aus gutem Grund, sonst hätte es nämlich überhaupt nicht funktioniert. Wie es aussieht wollte er sich den Spass nicht entgehen lassen allen anderen Streiche zu spielen, mich aber gezwungener maßen auslassen zu müssen. Also hatte er auch für mich etwas vorbereitet, wovon ich selbstverständlich nichts wusste.''. Riccardo bemerkte, wie es Hanna immer schwerer viel zu erzählen, je näher sie dem Hauptteil der Geschichte kamen. Was auch immer passiert war, es musste sie gewaltig verstört haben und für Narben gesorgt haben, die bis heute nicht verheilen konnten, was Riccardo nicht wirklich als besonders verwunderlich empfand. Immerhin war Bela jetzt tot und er war sich beinahe zu hundert Prozent sicher, dass das Ereignis, wovon das Mädchen ihm gerade erzählte, der Auslöser dafür war. Hanna schluckte, ihre braun-blonden Haare bedeckten ihr Gesicht wie ein schützender Vorhang, während ihr Blick verunsichert durch den Raum wanderte und Riccardos Augen mied. Ein leicht verunsichertes Räuspern entfloh ihrer Kehle, dann fuhr sie fort: ,,An dem Abend als es passierte hatte ich mich nichts ahnend ins Bett gelegt. Ich dachte es würde am nächsten Tag ganz normal weiter gehen, dass Bela und ich euch weiterhin reinlegen und unseren Spass daran haben würden. Aber dem war nicht so. Mitten in der Nacht wurde ich von dem Geräusch einer quietschenden Zimmertür geweckt- meiner Zimmertür. Es dauerte eine Weile bis ich das realisiert hatte und mir wurde wirklich unangenehm bei der Erkenntnis. Dann hörte ich, wie jemand über das Parkett schlich, welches jedoch mit jedem Schritt ein leises Knacken von sich gab. Von purer Angst geblendet tat ich einfach so, als hätte ich nichts bemerkt und gab vor weiter zu schlafen, griff jedoch unter der Bettdecke unauffällig nach der gläsernen Wasserflasche, die neben meinem Bett auf dem Boden stand. Ich hörte, wie de Schritte am Fußende meines Bettes verstummten und nur das stetige Atmen einer Person hing schwer in der Luft. Die Zeit schien in diesem Moment still zu stehen, die Sekunden fühlten sich an wie Minuten. Und dann ging auf einmal alles ganz schnell. Ich dreht mich um und erblickte eine dunkel verhüllte Gestalt mit einem Messer, die sich über mich beugte. Ohne lange zu überlegen nahm ich die Flasche und zog sie dem Eindringling mit aller Kraft über den Kopf. Mit einem Klirren brach das Glas in kleine Stücke und die Person taumelte und stürzte nach hinten- und schlug sich den Hinterkopf an der Tischkante auf. Zuerst war ich erleichtert, da ich die mutmaßliche Gefahr ausgeschaltet hatte, doch dann wurde mir mit Schrecken bewusst, dass ich gerade einen Menschen schwer verletzt hatte. Also stand ich auf um nachzusehen, wer da mitten in der Nacht mit einem Messer in mein Zimmer eingedrungen war. Und als ich der Person die Maske, die sie getragen hatte abnahm sah ich zu meinem eigenen Entsetzen Belas Gesicht darunter hervorkommen.". Hanna brach in Tränen aus und sah Riccardo verzweifelt an. ,,Ich dachte er wäre tot! Da war so viel Blut auf dem Boden. Ich bin die ganze Zeit davon ausgegangen, ich hätte ihn umgebracht!", schluchzte sie. ,,Hättest du nicht einfach seinen Puls überprüfen können, oder seinen Herzschlag?", wunderte sich Riccardo und sah das Mädchen dabei fragend an. Hanna warf ihm einen wehmütigen Blick zu und antwortete: ,,Hab ich doch, aber da war nichts, Ich schwör's! Ich muss das irgendwie falsch gemacht haben, anders kann ich mir das nicht erklären.". Nach dieser Aussage herrschte erst einmal Schweigen, nur Hannas Wimmern durchflutete den Raum. Riccardo konnte sich eigentlich schon denken, was danach geschehen war, wollte das Ende der Geschichte jedoch aus Hannas eigenem Mund hören. Also fragte er: ,,Und was dann? Wie ging es weiter?". Hanna brauchte eine Weile bis sie wieder in der Lage war zu sprechen. ,,Wie gesagt, ich dachte ich hätte Bela umgebracht. Erst wollte ich euch von dem Unglück erzählen, aber ich hatte zu große Angst, dass ihr mir nicht glauben würdet.", berichtete Hanna. ,,Verstehe, deshalb verstecktest du seine 'Leiche' im Wald und hofftest niemand würde je Wind von der Sache bekommen. Und die Fußspuren konnte man am nächsten Tag nicht mehr sehen, weil es über Nacht stark geschneit hatte.", schlussfolgerte Riccardo. Hanna nickte zustimmend. ,,Das ist ja alles nachvollziehbar, aber warum zur Hölle ist es dann ein Problem für dich wenn Bela zurück kommt? Würde das denn nicht eher deine Unschuld beweisen?", fragte Riccardo. ,,Er wäre fast gestorben! Er kämpft vermutlich gerade dagegen an nicht zu erfrieren oder zu verhungern und um das zu gewährleisten musste er das Fleisch eines anderen Menschen essen! Jetzt sag mir bloß nicht, dass du an seiner Stelle nicht auf Rache aus wärest. Bitte, du musst mich beschützen, Riccardo! Dir vertraue ich am meisten.", flehte das Mädchen. Riccardo überlegte. Er konnte Hannas Befürchtungen durchaus nachvollziehen, allerdings blieben einige Fragen weiterhin ungeklärt, unter anderem ob sie überhaupt die Wahrheit sagte. ,,Das ist ja alles schön und gut, aber was ist dann mit dem zweiten Mord, mit Jans Verschwinden?", sagte Riccardo und Hanna blickte erschrocken zu ihm auf: ,,Damit habe ich nichts zu tun, wirklich! Ich war genau so entsetzt wie du, als ich davon erfahren habe. Aber ich weiss, wer daran Schuld ist, dass Jan tot ist.". Ihre Miene verdüsterte sich und Riccardo sah sie mit vor Verwunderung weit aufgerissenen Augen an. Wie bitte? Sie kannte den Mörder?! ,,Sarah.". Hass schwang in Hannas Stimme mit, als sie den Namen aussprach. ,,Hast du dafür irgendwelche Beweise?", fragte der Junge skeptisch. Hanna schüttelte den Kopf und der Junge bemerkte, wie sich ihre Miene verdüsterte. Erstaunt sah er sie an. Er war sich ziemlich sicher, dass er noch nie jemanden so hasserfüllt hatte gucken sehen und irgendwie machte ihm das auf eine schräge Art und Weise Angst. ,,Aber es ist doch offensichtlich, dass sie dahinter steckt! Sieh dir sie doch nur mal an, ich kann es in ihren Augen sehen!", begründete Hanna und packte Riccardo abrupt am Kragen seines Shirts. Verbittert sah sie ihn an, nur wenige Millimeter waren ihre Gesichter von einander entfernt und Riccardo sah ihre vor Wut funkelnden Augen. Was sie dann sagte, liess das Blut in seinen Adern schlagartig zu Eis gefrieren. ,,Sie ist eine Gefahr für uns alle! Wir müssen sie aus dem Weg räumen...". Riccardo befreite sich aus Hannas Griff und wich einen Schritt zurück. Das hatte sie gerade nicht allen Ernstes gesagt, oder? Sollte das heissen, Hanna wollte Sarah umbringen?! Langsam begann er daran zu zweifeln, ob die Story mit Bela tatsächlich der Wahrheit entsprach und nicht bloß ein gut überlegtes Alibi. Oder Hanna war einfach verrückt geworden. Beides war gut möglich. So schnell wie möglich sammelte er sich wieder und versuchte sie zu beruhigen: ,,Komm erst einmal runter. Wir sollten das ganze langsam angehen.". In ihrem Gesicht sah er, wie Enttäuschung und Missgunst in Hanna aufstiegen. ,,Du glaubst mir nicht.", sagte sie bestimmt. ,,Doch, natürlich glaube ich dir! Zugegeben, ich fand Sarah auch schon immer verdächtig.",log Riccardo, nur um Hanna nicht noch weiter aufzuregen. ,,Aber ich glaube wir sollten das ganze Morgen noch einmal in Ruhe besprechen, dann können wir gemeinsam planen, wie wir gegen sie vorgehen.", führte er seine kleine Rede zu Ende, während er Hanna in Richtung Tür schob. ,,Und dann bringen sie wir um.", meinte Hanna mit düsterer Stimme. Riccardo nickte, während er sich ein gefälschtes Grinsen erzwang. In Wirklichkeit war ihm gerade kotzübel. Anscheinend zufrieden schlich sich Hanna durch den Türrahmen und in ihr Zimmer. Als Ricci sicher war, dass sie weg war, liess er sich erschöpft an der Wand herabsinken. Er musste den anderen Bescheid geben, sie warnen bevor es zu spät war. Denn eines stand fest: Sie mussten weg hier, bevor der nächste Tag anbrach...

The cabinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt