Unbekannte Freunde

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Es war dunkel und es roch nach Schimmel und dem Rauch abgebrannter Kerzen. Vega schlug die Augen auf. Ihr war kalt, weshalb sie am ganzen Leib zitterte. Sie wusste nicht wo sie war und hatte keine Chance etwas zu erkennen, da sie dank der extremen Dunkelheit die Hand nicht vor Augen sah. Sie versuchte sich aufzurichten, spürte jedoch im nächsten Moment einen heftigen Schmerz durch ihre Stirn jagen. Vorsichtig tastete sie nach dem Gegenstand, an dem sie sich soeben den Kopf gestoßen hatte. Ihre Finger glitten über eine Art Holzdeckel, der gut zwanzig Zentimeter über ihrem Kopf platziert war. Verwundert tastete sie weiter und stellte dabei fest, dass sie in einer riesigen Kiste eingesperrt war. Diese schien aus Holz zu bestehen, Vega hatte mehrmals einen Splitter abbekommen. Tausend Fragen beschäftigten sie: Wie war sie hier hergekommen? Weshalb war sie in eine Kiste eingepfercht? Wusste überhaupt irgendjemand, dass sie hier war? Doch die wichtigste Frage war wohl vorerst: Wie kam sie hier wieder raus? Vega schluckte bei dem Gedanken ihr restliches Leben hier unten verbringen zu müssen, welches wohl dementsprechend kurz ausfallen würde, so ganz ohne Wasser und Lebensmittel. Ein Schauer lief dem Mädchen über den Rücken, als ihr aufging, dass sie ihr hier drin irgendwann die Luft zum Atmen ausgehen würde. Verzweifelt versuchte sie den Deckel der Kiste zu stemmen, versagte jedoch. Sie war einfach zu schwach, so , als wäre sie soeben mit einer Grippe einen Marathon gelaufen. Vega stand kurz vor einer Panikattacke. Was, wenn sie hier nicht raus kam? Sie zwang sich ruhig zu bleiben. Es würde ihr mit Sicherheit nicht helfen, wenn sie sich selbst Angst machte, indem sie sich die schlimmst möglichen Ausgänge ausmalte. Nein, sie musste eine andere Lösung für ihr Problem finden. Nur welche? Erneut betastete sie ihr hölzernes Gefängnis, um Hinweise auf einen möglichen Ausweg zu entdecken. Nach einigem Suchen bemerkte Vega tatsächlich etwas: Ein besonders morsches Holzbrett zu ihrer rechten. Sie wagte es kaum zu hoffen, aber sie hatte so ein Gefühl, dass das hier ihre wahrscheinlich einzige Möglichkeit war der Box zu entfliehen. Zuerst versuchte sie, das Brett mit den Fäusten kaputt zu machen, aber das war hoffnungslos. Das Mädchen war nach wie vor zu geschwächt. Es sah ganz danach aus, als müsse sie anders an die Sache herangehen. Sie rollte sich soweit es ging zur linken Seite und dann zurück zur rechten, um sich mit voller Wucht vor das Stück Holz fallen zu lassen. Es knackte und ächzte aber es war noch immer ganz. Erneut wiederholte Vega den Vorgang, doch das Brett, das sie von der Freiheit trennte war noch nicht zerstört. Es folgte ein ewiges hin- und her rollen, wodurch Vega mit Schwindel und Übelkeit zu kämpfen hatte. Doch sie gab nicht auf. Nicht, bis das Holz mit einem Krachen zersplitterte und Vega auf einen kalten Steinboden rollte. Sie war sich sicher, dass ihre Schulter, mit der sie immer wieder aufs neue gegen die Holzwand geschlagen hatte, nur noch aus blauen Flecken bestand, doch das war jetzt nebensächlich. Wichtig war nun, nachdem ihr die Flucht gelungen war, dass sie einen Weg nach draußen fand. Ohne Licht war das eine erhebliche Herausforderung, aber Vega war zuversichtlich, jetzt, wo sie es aus der Kiste geschafft hatte. Warum hatte man sie bloß dort eingesperrt? Wie auch immer, sie wollte hier nicht länger herumliegen und nichts tun. Also rappelte sie sich auf und schüttelte sich, während als Folge dessen prasselnd Holzsplitter auf den Boden rieselten. Sie wäre beinahe umgekippt, als sie vorsichtig den ersten Schritt machte. Ihre Beine fühlten sich an wie Schaschlik Spieße, die das Gewicht ihres Körpers unmöglich tragen konnten, aber irgendwie schaffte es Vega trotzdem weiter zu gehen. Jeden Schritt musste sie mit Bedacht wählen, weil sie ansonsten in eines der zahlreichen spitzen Holzstücke getreten wäre, die überall auf dem Boden verstreut lagen und angesichts der Tatsache, dass Vega nur Socken trug, war das denkbar schlecht. Mit gekonnt gesetzten Schritten und einer Menge Glück erreichte sie schließlich unverletzt eine nasse Steinwand, an der sie sich entlang tasten konnte. Es war nicht gerade das angenehmste sich durch diesen Raum zu kämpfen, von dem Vega glaubte, dass es sich vermutlich um einen Keller handelte. Ab und zu hörte man eine Ratte quieken oder streifte ein Spinnennetz oder noch schlimmer, die Spinne, der das Netz gehörte. Es verging einige Zeit und Vega begann daran zu zweifeln, ob sie hiermit Erfolg haben würde, als sie plötzlich über etwas stolperte und sich gerade noch auffangen konnte. Es dauerte eine Weile, bis sie realisierte, dass es sich um eine Treppenstufe handelte. Sie erklomm die steile Treppe, um zu erreichen, was sich an ihrem Ende befand. Es dauerte nicht lange, da konnte sie einen Streifen schwachen Lichts erkennen. Er war nicht besonders hell, kaum sichtbar um genau zu sein, allerdings empfanden ihn Vegas an die Dunkelheit gewöhnten Augen als beinahe blendend. Und bald stellte sich heraus woher besagter Lichtstreifen kam. Die Strahlen drangen durch einen minimalen Spalt unter einer gigantischen Metalltür hindurch, die sich am Ende der Steintreppe befand. Dahinter war leise Stimmengemurmel zu hören. Sie war also doch nicht allein hier. Diese Menschen könnten ihr helfen! Vega griff nach der Türklinke, hielt jedoch inne. Es konnte sein, dass diese Leute, die sich hinter dem Metall befanden ihr freundlich gesinnt waren, dem konnte aber auch nicht so sein. Was, wenn dies nicht ihre Freunde, sondern ihre Feinde waren? Wahrscheinlich hatten sie sie in diesem modrigen Keller eingesperrt. Vielleicht lief sie geradewegs in eine Falle hinein. Ihr Griff um den Knauf lockerte sich etwas. Wenn diese Personen tatsächlich dafür verantwortlich waren, dass sie hier unten eingesperrt worden war, wovon Vega ausging, dann wollte sie gar nicht erst wissen, wozu diese Typen sonst noch fähig waren. Vega ließ von der Türklinke ab und beugte sich gen Boden, zu dem Spalt, durch den das Licht hereinfiel und ein Wärmeschwall kam ihr entgegen. Sehnsüchtig dachte sie daran, dass dieser Raum allem Anschein nach beheizt und somit um einiges wärmer war als dieses steinerne Gewölbe. Sie schüttelte den Kopf. Sie musste sich konzentrieren. Es konnte sein, dass ihr Leben davon abhing. Vielleicht konnte sie ja etwas von der Unterhaltung, die die da drinnen führten, aufschnappen. Angespannt lauschte sie, konnte aber keine ganzen Sätze vernehmen. Nur einzelne Wörter kamen ihr ab und zu zu Ohren, mit denen sie absolut nichts anzufangen wusste. Irgendwann gab das Mädchen auf. Es half ihr ja doch nichts weiter zu zuhören, wenn sie dadurch nicht beurteilen konnte, ob diese Leute ungefährlich waren oder das genaue Gegenteil. Sie wollte nicht durch diese Tür gehen. Es gab einfach zu viele Risiken und die Ungewissheit, welchem von ihnen sie sich aussetzte machte Vega ordentlich Bedenken. Aber hatte sie eine Wahl? Eindeutig nein. Sie konnte sich nicht für immer in diesem Keller verstecken, das war einleuchtend. Mit zitternden Beinen und unglaublich großer Furcht stand sie von dem kühlen Boden auf und griff nach der Metallklinke. Sie fühlte sich kalt in ihrer Hand an, irgendwie abstoßend, so als wollte etwas sie davon abhalten, dieses Zimmer zu betreten. Vega atmete tief durch. Ganz ruhig bleiben, nur die Ruhe bewahren! ,rief sie sich selbst ins Gedächtnis, was jedoch nur wenig bewirkte. Schließlich fasste sie sich ein Herz, drückte langsam und vorsichtig die Klinke nach unten und drückte gegen die Tür. Verdutzt blickte Vega auf das Stück Metall, das sie entweder von ihrer Rettung oder ihrem schlimmsten Albtraum abtrennte. Na toll! Verschlossen! War ja irgendwie klar. ,dachte Vega. Sie wusste nicht ob sie entsetzt oder heilfroh darüber sein sollte, dass die Tür verschlossen war. Eine Stimme ertönte und riss Vega mit einem Schlag aus ihren Grübeleien. Wer auch immer der Besitzer jener war sprach laut, sodass Vega ausnahmsweise nicht nur einzelne Fetzen, sondern den ganzen Satz verstand. ,,Leute, habt ihr das gerade gesehen? Die Türklinke hat sich bewegt!", sagte die Stimme, die offensichtlich einer Frau gehörte. Vega lief ein Schauer den Rücken hinunter. Wenn sie Pech hatte, dann bekam sie jetzt gewaltige Probleme. ,,Sicher?", ertönte eine männliche Stimme. ,,Sicher, dass du dir das nicht bloß eingebildet hast? Wenn dir das zu viel wird, dann-" Er wurde abrupt von der Frau unterbrochen. ,,Ich bin doch nicht blind! Und eingebildet habe ich mir das schon gar nicht! Wollt ihr etwa behaupten, keiner von euch hat was gesehen, außer mir?". Sie schien empört. ,,Glaubt mir denn keiner?". Stille. ,,Du hast dich wohl nur verguckt.", sagte der Mann, woraufhin seine weibliche Gesprächspartnerin zähneknirschend und mit einem so bösen Unterton, dass Vega eine Gänsehaut am ganzen Körper bekam, antwortete: ,,Ja...Nur 'verguckt'.". Nach einigem ängstlichen Schweigen , während dem Vega nur ihren eigenen Herzschlag so laut hörte, dass sie befürchtete, jemand aus dem Zimmer könnte das ebenfalls tun, wurde die Konversation wieder aufgenommen und Vega konnte erleichtert aufatmen. Ein Glück, dass die Anderen alles abgestritten und als Irrtum betitelt hatten. Andernfalls wäre das höchstwahrscheinlich Vegas Ende gewesen. Und sie war auch nicht gerade scharf auf eine Bekanntschaft mit der Killer-Ladie mit der furchteinflößenden Stimme. Vielleicht sollte sie sich auch einfach auf die Suche nach einem anderen Ausweg machen. Dieser hier war bestimmt nicht der einzige und wenn sich ihre Augen erst einmal an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wäre er auch bestimmt nicht schwer zu finden. Sie wollte sich gerade davon schleichen, als es passierte. Ein Druck staute sich in ihrer Nase auf und er wurde immer größer und größer. Vermutlich lag es einfach daran, dass sie nur in dünnen Socken viel zu lange durch einen kalten Keller mit feuchten Wänden gelaufen war, dass das Shirt, das sie trug ebenso dünn war, wie die Socken und das sie nicht gerade das stärkste Immunsystem hatte. Die Gründe konnten Vega eigentlich völlig egal sein und genau genommen waren sie ihr das auch. Zumindest in dem Moment, als sie realisierte, wie laut sie gerade genießt hatte, dass das schrille Echo noch immer durch die zahlreichen Gänge des unterirdischen Gewölbes hallte und dass oben alles verstummte. Oh shit! ,dachte Vega, während sich ein Gefühl der Angst immer weiter in ihr ausbreitete. Das mit der Türklinke hatte man ja noch leicht übersehen können, aber der durch ihre Erkältung verursachte Nieser hätte selbst einen Bären aus dem Winterschlaf gerissen. Das wirklich schlimme daran war, dass Vega es unmöglich riskieren konnte weg zu rennen. Die Treppe war viel zu steil. Sollte sie stürzen, brach sie sich wahrscheinlich das Genick. Ihre Panik wurde immer größer. Die würden sie entdecken, ganz sicher. Vega stand wie angewurzelt da, wusste nicht was sie tun sollte und spürte wie feine Schweisstropfen sich auf ihrer Stirn bildeten. Sie hörte den Schlüssel im Schloss kratzen und mit einem schrillen Quietschen schwang die schwere Tür auf...

The cabinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt