Verschollen

58 5 2
                                    

Die Sonne blendete Hanna, als sie aufstand, um sich etwas zum Anziehen aus dem Schrank zu nehmen. Sie schnappte sich eine Jeans und ein Sweatshirt und schloss die Tür, bevor sie den Raum verließ, die Treppe hinunter ging und in die Essküche betrat. Jan sass bereits am Tisch und begrüßte Hanna als er sie bemerkte: ,,Morgen. Na, gut geschlafen?". ,,Besser als erwartet. Und du?", erkundigte sich Hanna. ,,Nicht so gut. Weiss auch nicht wieso.". Er gähnte, fast so, als wollte sein Körper das eben gesagte unterstreichen. ,,Sind die Anderen schon wach?"fragte Hanna. ,,Was glaubst du denn? Sitzen hier etwa noch mehr Leute an diesem Tisch? ". In dieser Sekunde kam Vega in den Raum, mehr geschlurft als gegangen. Hanna wusste nicht weshalb, aber irgendetwas an Vega erinnerte sie an einen Zombie, einen Untoten, der ihr Gehirn zum Frühstück verspeisen wollte. Hanna bevorzugte ein Brot mit Käse. ,,Haben wir irgendwas Essbares da?". Vega war Hanna mit ihrer Frage zuvorgekommen. ,,Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Vega!" Sagte Jan und Hanna konnte nicht sagen ob er nun belustigt oder verärgert war. ,,Guck doch einfach mal nach." ,schlug Hanna vor und deutete in Richtung Kühlschrank. Jetzt kamen auch Sarah, Anouk und Riccardo. Sie alle trugen noch ihre Pyjamas. ,,Morgen allerseits." Begrüßte Sarah die Truppe während sie sich reckte. Gemeinsam deckten sie den Tisch und setzten sich hin. Hanna bemerkte, wie Anouks Blick verwirrt über den Tisch wanderte, bis er an einem leeren Stuhl hängen blieb. ,,Leute, wo ist Bela.", fragte sie. Sie sah weiterhin auf den leeren Stuhl.
,,Ach, der schläft bestimmt noch." Versicherte ihr Hanna. Anouk äußerte einen Vorschlag: ,,Auf jeden Fall finde ich, dass wir ihn lieber wecken sollten. Es ist ziemlich unfair einfach ohne ihn zu essen." ,, Ich mach's!" Meldete sich Sarah freiwillig. Natürlich- das Turteltäubchen. War ja klar! Hanna wandte sich wieder ihrem Essen zu, nur um einige Sekunden später wieder von Sarah's hastigen Schritten gestört zu werden. ,, Leute!" keuchte Sarah, kreidebleich um die Nase ,, Bela!". ,,Ja, wir wissen, dass er so heißt.", kicherte Jan, doch Sarah schien ihn nicht einmal war zu nehmen. ,,Bela ist weg! Er ist nicht in seinem Zimmer!" Alle schienen geschockt, bis auf Jan: ,,Dann ist er eben im Badezimmer.", meinte der Junge, doch Sarah schüttelte nur heftig den Kopf. Da habe ich schon nachgesehen! Ich sag euch, er ist spurlos verschwunden!" Riccardo stand von seinem Stuhl auf und ohne ein Wort zu sagen hechtete er in Richtung Flur.
,,Wo willst du denn hin?" ,rief ihm Jan hinterher. Als Antwort bekam er nur Türenknallen.
,,Moment, das ist mein Zimmer, da sollst du nicht rein!" Doch es war schon zu spät, Riccardo war bereits in Hanna's Zimmer eingedrungen. Sie lief hinterher und riss die Tür auf, die Anderen folgten ihr. ,,Geht's noch?" ,rief Hanna, aber Riccardo interessierte das nicht. Er ging einfach an ihr vorbei und in das nächste, Sarah's Zimmer. Er sah sich bloß einmal kurz um, dann ging er weiter. So ging das mit jedem Raum, auch dem Bad, in keinem aber befand sich Bela. Riccardo drehte sich zu den Anderen um: ,,Ich glaube, wir haben ein ziemlich großes Problem!"

Sie hatten alles mögliche probiert, sie hatten noch einmal alle Räume durchkämmt, hatten versucht ihn anzurufen, hatten im Schnee nach Fußspuren ausschau gehalten und nach ihm gerufen, in der Hoffnung, er würde ihnen antworten. Doch Bela gab kein Lebenszeichen von sich, fast so, als hätte er nie existiert, nur ein Geist, dem sie vergebens hinterher jagten.
Sie saßen nun alle mit roten Nasen in der Kälte auf der Veranda, ihre Gesichter von Misserfolg gezeichnet. ,,Das war wohl ein Schlag in's Wasser." ,verkündete Vega, während zustimmendes Gemurmel sich in der Runde breit machte. Sie wussten nicht was sie noch tun sollten. Bela war wie vom Erdboden verschluckt, nicht zu ergreifen, wie feiner Rauch. Der Wind pfiff in Hanna's Ohren, aber das war auch alles. Sonst umgab sie nur Stille, keine Rufe von Bela, keine Anzeichen, dass er überhaupt noch am Leben war. ,, Vielleicht ist es ja nur ein übler Streich und Bela spielt Verstecken mit uns.", hoffte Vega. ,,Nein, das wäre nicht Bela's Art und selbst wenn, dann zöge sich dieser Streich viel zu sehr in die Länge. Wer versteckte sich schon für Stunden, nur um mit einem Streich einen schlechten ersten Eindruck zu hinterlassen? Ganz ehrlich, mit dieser Theorie machen wir uns doch nur selbst Hoffnung.", meinte Jan.
,,Wie kann ein Mensch einfach so spurlos verschwinden? " .Riccardo sprach die Frage aus, die sich jeder in der Gruppe stellte. Wie? Wie hatte er das gemacht? Und hatte er es überhaupt gemacht? Was, wenn er nicht aus eigener Kraft verschwunden war? Wenn ihn jemand dazu gezwungen hatte. Hanna sah auf das Waldstück, welches sie umgab. Da konnte sich wer auch immer verstecken, nur darauf wartend, dass sie sich in den düsteren Wald begaben, sich verirrten. Und dann wären sie alle dran. Eine Kugel, ein Messerstich, ein hieb mit einem Baseballschläger und es wäre aus. Wie verletzlich die Menschen doch waren, nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Ließen sich viel zu leicht aus der Ruhe bringen, aber das war eben die menschliche Natur, oder etwa nicht? Neugierig und doch zugleich verängstigt. Hatte Bela's Neugier ihn getrieben? War er deshalb weg? Er hatte etwas gesehen und sich im Wald verirrt, ja, so könnte es gewesen sein. Aber was? All diese Fragen konnte Hanna in den Gesichtern der anderen sehen-zurecht, In Hanna's Kopf schwirrte alles umher, sie konnte kaum noch klar denken. Diese ganze Situation stresste sie einfach zu sehr. Das war nicht der Urlaub, den sie sich vorgestellt hatte. Überhaupt nichts war wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie seufzte, klopfte ihre Hose ab und ging ins Haus. Keinen schien es zu interessieren was sie tat, sie alle waren zu sehr mit dem Mysterium um Bela's verschwinden beschäftigt. Hanna setzte Wasser zum Kochen auf und nahm sich eine Tasse und einen Teebeutel. Sie schob die Vorhänge am Küchenfenster beiseite und gab den Blick auf die Landschaft frei. Wüsste sie nicht was passiert war, wäre das hier für sie eine idyllische Gegend wie keine andere. Der Wasserkessel pfiff und Hanna ließ von den Spitzen besetzten Gardinen ab. Diese Hütte musste es wohl schon lange geben. Zwar war hier vieles erneuert worden, allerdings hinterließ die Zeit weiterhin ihre Spuren an einigen Stellen im Haus. Hanna schüttete sich eine halbe Tonne Zucker in ihren Tee bevor sie auf die Veranda zurückkehrte, wo der recht wortkarge Rest sass.
,,Ich glaube, ich muss euch was erzählen." brach Anouk das Schweigen. Hatte sie etwa mit Bela's Verschwinden zu tun?
,,Gestern Nacht bin ich aufgewacht, weil irgendjemand die ganze Zeit im Flur herumgelaufen ist, ich habe seine Schritte gehört ." Sie wurde in ihrer Erzählung unterbrochen als Riccardo sie anfuhr: ,,Und das sagst du erst jetzt?!". , Ich hab' angenommen es wär' nicht so wichtig und als Bela dann weg war, war ich so fertig mit den Nerven, dass ich da gar nicht mehr dran gedacht habe." Anouk und Riccardo verunsichert zu sehen war ein merkwürdiges Gefühl. Sie hatten sich von Anfang an als Anführer der Gruppe heraus charakterisiert und sie ratlos zu sehen, war wie eine panische Stewardess bei Turbulenzen im Flugzeug- beunruhigend.
,,Das könnte Bela gewesen sein." ,vermutete Jan. ,,Oder sonst wer." ,ergänzte Anouk, die einen nachdenklichen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. ,,Das sind zu wenige Anhaltspunkte um etwas genaues sagen zu können. Wir brauchen mehr Hinweise!" ,,Oho." sagte Jan mit gespieltem Erstaunen. ,,Die Detektivin ermittelt. Bin mal gespannt was dabei rauskommt."

The cabinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt