Das Holz knisterte im Kamin und die angenehme Hitze schlug Riccardo entgegen, in dessen Augen sich die Flammen spiegelten. Er saß auf dem alten Teppich, direkt vor dem Kaminfeuer, ein Buch in der Hand. Doch bis jetzt hatte er kein Wort gelesen, nur in die brennend heiße Lichtquelle gestarrt, das Knacken des Holzes in den Ohren. Es war eine idyllische Szene, Sarah hatte es sich in dem großen Sessel bequem gemacht, Hanna saß an dem hölzernen Esstisch und Anouk war auf Vegas Schulter eingeschlafen, die Zeichnung, die das Mädchen angefangen hatte lag noch auf dem kleinen Couchtisch. Riccardo lehnte sich zurück und griff nach dem Blatt Papier. Ein kleines Kind, welches im Regen stand, das Gesicht von der Kapuze verdeckt und von gesichterlosen Augenpaaren umringt-irgendwie düster. Riccardo sah zu Anouk hin, die immernoch unbeirrt weiter träumte. Die Person auf dem Bild könnte glatt sie in jünger sein. Seufzend legte er das Bild wieder an seinen Platz zurück. Was ging es ihn schon an was sie da gemalt hatte. Generell versuchten sie sich doch alle bloß abzulenken von ihren inneren Dämonen, die ihnen ihre schlimmsten Befürchtungen zu flüsterten, alle auf ihre eigene Art. Was sagten sie ihnen wohl gerade? Dass die Jungen nicht zurück kehren würden, weder Bela noch Jan? Dass alle Hoffnung verloren war, wenn das tatsächlich eintreten sollte?
Warum machte man sich selbst überhaupt so eine große Angst, wenn man den Verlauf der Dinge eh nicht bestimmen konnte. So gesehen war doch das Schicksal der einzige, der hier die Fäden zog. Und wenn dieses erst einmal Urteil über einen gefällt hatte, dann konnte man da herzlich wenig dran ändern- leider. Reiß dich zusammen, Riccardo! Ein bisschen Optimismus würde dir auch nicht schaden! ,ermahnte er sich selbst. Die Anderen gingen schließlich auch nicht so schwarzseherisch an die Sache heran. Nun ja, zumindest erweckten sie nicht den Eindruck, als täten sie es. Grund für schlechte Vorahnungen hatten sie nämlich reichlich, kein Wunder bei den Umständen. Draußen tobte der Sturm, zwar noch nicht so heftig, aber für einen Wanderer wären die Bedingungen trotzdem denkbar ungünstig. Ein Glück, dass sie das Feuerholz nur kurz nach dem Aufbruch von Jan geholt hatten, jetzt wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Aber noch vor ein paar Stunden waren sie durch den Wald spaziert, hatten alles brennbare mitgenommen. Ausgezahlt hatte es sich definitiv- das Feuer brannte lichterloh und brachte Wärme in die Hütte und trennte diese gleichzeitig umso mehr von den Geschehnissen außerhalb ab.
Jan war jetzt auch da draußen, draußen im Sturm.
Anouk holte Tassen aus dem Regal und machte sich daran löslichen Kaffee in sie hinein zu schaufeln. Sie war gerade dabei Milch und Zucker auf den Tisch zu stellen, als Riccardo bemerkte, wie ihr Blick auf dem Fenster haften blieb. Mehrere Sekunden verstrichen, bis er sie darauf aufmerksam machte. ,,Anouk, was ist los?" Sagte er, etwas verunsicherter klingend, als er eigentlich wollte. Mit Handbewegungen machte sie ihnen deutlich, dass sie näher kommen sollten und erst jetzt fiel Riccardo das zufriedene Lächeln auf ihrem Gesicht auf, was ihm ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bescherte. Doch er ging weiter, langsam, leise. Er und die Anderen, welche ebenfalls Anouks Aufruf gefolgt waren, standen nun nur noch in kleinem Abstand von der Glasscheibe und jetzt konnten auch sie sehen, was Anouk ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert hatte. ,,Sie sind wunderschön, nicht wahr?", hauchte sie, ohne ihren Blick von den Geschöpfen abzuwenden.
Und ohne Zweifel, ihr Anblick war fesselnd- die wilden Augen, der helle Pelz, die schlanken Beine und diese Ausstrahlung von Wildheit und Freiheit.
,,Wölfe sind meine Lieblingstiere, aber ich hätte nie gedacht, dass ich selbst mal einen richtigen sehe, einen wilden- nicht diese armen Kreaturen im Zoo, eingepfercht in ihren Käfigen." Sie lächelte: ,,Aber die hier sind frei!". ,,Was meinst du, hat sie hierhin verschlagen?",fragte Riccardo. Das Mädchen zuckte lediglich mit den Schultern, immernoch in den Anblick vertieft. ,,Ich meine"- fügte Riccardo noch hinzu, da er sich nicht ganz sicher war, ob sie ihm überhaupt zuhörte ,,-Wölfe sind äußerst scheu, die gehen nicht so einfach zu Menschen hin, ohne einen Grund dafür zu haben. Selbst wenn, dann-"
,,Vielleicht sollten wir nicht immer so viel fragen und die Dinge einfach so genießen, wie sie sind." Danach sagte Anouk gar nichts mehr, legte bloß den Kopf schief und musterte die eleganten Bewegungen der Raubtiere. Sie boten einen wahrlich majestätischen Anblick, wie sie da durch den Schnee stapften. Die weißen Flocken glitzerten in ihrem Fell und die gelben Augen begutachteten aufmerksam die Umgebung, wanderten langsam zu den Jugendlichen. Nur wenige Meter und eine Glasscheibe trennte nun die aufgeregte Gruppe von den Tieren.Es verging eine Weile, in der sie Blickkontakt hielten, ihre stumme Konversation aufrecht erhielten. Unglaublich! Dachte Riccardo. Abertausende von Jahren menschlicher Geschichte und Weiterentwicklung - und trotzdem lassen wir uns noch immer von der Natur beeindrucken. Und kaum eine Sekunde später war es vorbei. Das Wolfsrudel rannten zurück in den Wald, ließ nichts zurück außer Spuren im Schnee. Anouk stürmte zur Tür heraus, blieb auf der Veranda stehen und sah ihnen nach, bis sie letztendlich komplett zwischen den Bäumen verschwanden...In dieser Nacht konnte Riccardo nicht einschlafen. Ständig wälzte er sich in seinem Bett umher, unfähig zur Ruhe zu kommen. Es war einfach zu viel geschehen, was ihm zu schaffen machte und das auch noch in einem so enorm kurzen Zeitraum. Sein Körper war erschöpft und ausgelaugt von dem Mangel an Schlaf, aber so sehr er sich auch bemühte, er bekam kein Auge zu, da seine Gedanken auf Hochtouren durch seinen Kopf rasten. Da waren einfach noch zu viele Details die ihn beschäftigten. Genervt seufzte der Junge, bevor er sich schliesslich erhob und auf den Weg ins Wohn- und Esszimmer machte. Wenn er schon nicht einschlafen konnte, dann konnte er sich wenigstens einen Snack machen und auf der Couch entspannen. Sein Herz setzte für einen Moment aus, als er die Silhouette einer Gestalt vor dem offenen Küchenfenster stehen sah, deren Umrisse sich deutlich vom hellen Licht des kühlen Mondes abhoben. Die Kreatur drehte sich um und ihre langen Haare wirbelten dabei im Wind. ,,Riccardo? Was machst du denn hier?", fragte eine weibliche Stimme, die ohne Zweifel Anouk gehörte. ,,Das gleiche könnte ich dich fragen.", brachte der Junge verdutzt heraus. Anouk lachte. ,,Stimmt. Ich konnte nicht einschlafen, nach allem was passiert ist und gerade immer noch von statten geht. Also dachte ich ein wenig frische Luft könnte nicht schaden. Ich hätte zwar auch einfach in meinem Zimmer das Fenster aufmachen können, aber ich wollte nicht, dass die ganze kalte Luft da rein zieht. Aber was ist mit dir?", fragte sie, nachdem sie Riccardos Frage beantwortet hatte. ,,Ich konnte auch nicht einschlafen, also wollte ich mir was zu essen machen.". Das Mädchen kicherte. ,,Klingt ganz nach mir.". Eine Weile standen sie nur schweigend am Fenster und genossen die kühle Brise, die ihre Lungen erfrischte. Es war komplett Still, kein einziges Geräusch war zu hören. Zumindest so lange, bis plötzlich ein Schrei die Luft zerriss. Erschrocken sahen die Beiden sich an. ,,Was war das?", fragte Anouk. ,,Keine Ahnung.", meinte Riccardo. ,,Lass uns nachsehen."...
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The cabin
Mystery / ThrillerEine Gruppe von Jugendlichen, die sich über das Internet kennen gelernt haben, planen (um einander besser kennen zu lernen) einen zwei wöchigen Urlaub in einer abgelegen Berghütte. Doch als einer von ihnen stirbt wird, wird aus Spaß schnell blutiger...