Kapitel 7

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"Heiraten." John wiederholte das Wort alle paar Minuten. Versuchte, es zu verstehen, aber wie soll man das verstehen können? Und dabei war das das kleinere "Problem". Sie würden in ein Haus ziehen! Und ganz nebenbei hatten sie auch noch einen Sohn?! Sein Sohn hatte mit 18 Jahren schon einen Sohn! Das wollte einfach nicht in Johns Kopf! Stiles würde bald heiraten, eine Familie haben! Dabei hatte er doch noch gar nicht richtig gelebt! Und warum zum Teufel gerade diesen Werwolf? Warum Derek? Warum einen Mann! John war offen, tolerant. Er hatte nichts gegen Homosexuelle, nur wusste er von sehr vielen, großen, dummen Muskelprotzen in Beacon Hills, die ganz eindeutig etwas dagegen hatten. Stiles musste es ja schon erleben, wie sehr sie etwas dagegen hatten! Und trotzdem wollten sie es auf solch eine krasse Weise offziell machen? Das war nicht mutig- das war dumm! Dumm und naiv! Konnte Derek nicht wenigstens warten, bis Stiles wieder vollkommen auf den Beinen war? Ein Kind, zum Teufel! Stiles war doch noch selbst ein Kind!
Er schnaubte missmutig und ließ sich in den Stuhl am Schreibtisch fallen. Die Hitze im Büro wurde schon fast unangenehm und dabei war es gerade Mal der Morgen. Der Sommer kam mit aller Macht, als hätte er Angst, wenn er seine Chance jetzt nicht nutzte, nie wieder zum Zug zu kommen.
John drehte den Kaffeebecher in seinen Händen hin und her und warf einen Blick auf das Thermometer. 30 Grad. Er fluchte und wischte sich über die mit Schweißperlen benetzte Stirn. Wie soll man bei der Hitze denken können?!
"John?"
Michael betrat sein Büro. Der Ärmste hatte weit mehr Probleme mit dem Wetter, als er selbst. Die braune Uniform hatte der Ältere schon vollkommen durchgeschwitzt und er war ungesund blass um die Nase herum.
"Mach 'ne Pause, Mike." brummte er und pustete auf seinen heißen Kaffee. Heiße Getränke sind bei der Hitze besser, als kalte, hörte er seinen Sohn im Kopf mahnen. Er hatte ihm auch erklärt, warum, aber John hatte es schon wieder vergessen.
"Ich hab sowieso schon Schluss." keuchte Michael und kam nun ein paar Schritte auf ihn zu geschlurft. Sein breites Gesicht zu einer ernsten und traurigen Grimasse verzogen.
"Warum bist du dann noch hier?" wollte John verwirrt wissen.
"John- in einer Stunde ist die Beerdigung." der Ältere zog die Stirn kraus und begutachtete seinen Gegenüber besorgt.
John fluchte erneut: "Das habe ich vollkommen vergessen!"
"Kann ich verstehen." brummte Michael und rieb sich über den Oberarm, "Das mit dem Heiratsantrag würde jeden von uns zu Schaffen machen."
John hievte sich vom Stuhl hoch und warf seinem Kollegen einen prüfenden Blick zu. Wie hatte er das gemeint? Zu Schaffen machen. Meinte er, dass Stiles zu jung war? Dass Stiles einen Mann heiratete? Dass Stiles noch zur Schule ging? Oder dass Stiles den Verstand verloren hatte und diese Heirat nur daraus resultierte?
Egal, worauf sein Gegenüber anspielen wollte- John würde seinen Sohn in allen Punkten verteidigen, komme was wolle.
"Mich macht es nicht zu Schaffen." zischte er deswegen, "Und ich rate dir, deine Konzentration auf die Arbeit zu lenken und nicht auf meinen Sohn."
Micheal sah beschämt zu Boden und nickte, bevor er wieder ernst aufschaute: "Gehen wir uns umziehen, John."
John sah sich sehnsüchtig zu seinem bequemen Stuhl am Schreibtisch um, bevor er einen Blick aus dem Fenster warf. Auf den Dächern der Autos auf dem Parkplatz flimmerte die Luft und die grelle Sonne hatte kein Erbarmen. Sie stürzte sich angriffslustig auf die Vorbeilaufenden und bohrte sich in die Haut. Als John mit Micheal aus dem Gebäude trat, schien ihn die stickige schwere Luft beinahe zu erschlagen. Nicht mal das kleinste Lüftchen wehte. Warum musste ausgerechnet heute so ein Wetter sein?!

Allison und Chris packten gerade den Kofferraum. Waffen, die sie hoffentlich nicht benutzen mussten, einen Plan von der Stadt und so viele Wasserflaschen, wie hineinpassten. Sie testeten noch kurz, ob die Headsets auch funktionierten und fuhren dann los. Allison verstaute das Messer aus dem Handschuhfach an einer Halterung an ihrem Oberschenkel. Das würde sicher einigen Leuten Angst machen, weil es wegen ihrer kurzen Hose zusehen war, aber Sicherheit ging vor. Die Polizei war noch unterbesetzt und von woanders bekamen sie kein Personal, weil "die Situation sicher" wäre. Es wäre ja "nicht eindeutig", ob die "Ansammlung genannter Menschen" denn auch wirklich "kritisch zu betrachten" wäre. Die Welt vertuschte gerne alles, was mit Satanisten zu tun hatte. Das hatte Allison bei ihren Recherchen schon herausgefunden. Aber sie wollte sich nicht bei denen einreihen. Also raffte Allison alle Freiwilligen zusammen und hatte innerhalb von drei Tagen einen Plan ausgearbeitet. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Eigentlich hatte Stiles solche Dinge immer erledigt. Er war immer der denkende, Pläne ausarbeitende und Rätsel lösende Teil ihrer Truppe gewesen. Jetzt musste Allison das neben ihrer Vertuschungsarbeit bei der Zeitung und generell den Medien auch noch übernehmen.

Stiles schlug die Augen auf und warf einen Blick zur Seite. Als er Derek neben sich im Bett schlafen sah, den ebenfalls schlafenden Jacob auf der Brust, musste er lächeln. Die Sonne wärmte seine nackte Haut, ließ die Schweißperlen auf Dereks Schläfen glitzern und zauberte eine wundervolle Ruhe in diesen Raum. Stiles seufzte auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und drehte sich auf die Seite, um Derek näher betrachten zu können. Die Züge des Älteren waren im Schlaf weich, entspannt. Trotz des dichten schwarzen Bartes, wirkte er wie ein kleiner Junge, wie er, mit dem linken Arm unterm Kopf und die Beine übereinander geschlagen da lag und träumte. 

Scott zog die schwarze Krawatte zurecht und besah sich schnaufend im Spiegel. Seit gestern hatte er einen Kloß im Hals, der einfach nicht verschwinden wollte. Der Versuch, ihn runterzuschlucken, war vergebens. Er schwoll nur noch weiter an und tat mehr und mehr weh. Nur, wenn er sich um den Fall und um Derek und Stiles kümmerte, hatte er ein wenig Ablenkung. Was für eine Ironie, da er ja gerade wegen diesem Fall und Stiles den Kloß im Hals hatte.
"Mum?" rief er. Es dauerte keine fünf Sekunden, da stand sie in seiner Zimmertür. Sie trug ein fließendes, mattschwarzes Kleid, das oberhalb ihrer Knie endete. Die Spaghettiträger versteckte sie unter einem schwarzen Seidentuch, das sie locker über den Schultern und Oberarmen trug. In ihren Händen hielt sie einen großen schwarzen Sonnenhut, den sie nachher auf ihre Locken setzen würde.
In Scott stieg ein Brechreiz auf.
"Hast du kein anderes Kleid?" zischte er beinahe bösartig. Seine Mutter lächelte sanft, aber es bröckelte und jetzt war sie den Tränen nahe. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber klappte ihn wieder zu.
"Scheiße." Scott trat hastig zu seiner Mutter und umarmte sie, "Tut mir Leid."
Sie strich ihm über den Rücken und vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken.
"Es erinnert mich nur an.."
"Ich weiß." unterbrach sie ihn mit zittriger Stimme. Er drückte sich von ihr weg, um ihr in die dunklen Augen sehen zu können. Tränen liefen ihr über die Wangen.
"Warum hast du es angezogen?" fragte er und konnte nicht verhindern, dass er verzweifelt klang.
"Es ist der selbe Friedhof." sagte sie und musterte ihn stirnrunzelnd, "Wusstest du das nicht?"
Scott starrte sie entsetzt an. Sofort zuckten Bilder von dem kleinen verstörten Stiles unter dem Baum durch seinen Kopf. Von einem einzelnen Grab auf einer riesigen Wiese. Von John, der vor dem Grab seiner Ehefrau zusammengebrochen war. Die Tränen, die er bisher hatte aufhalten können, schossen erbarmungslos in seine Augen und kämpften sich den Weg über sein Gesicht nach unten. Er war unfähig, etwas zu sagen. Zu denken. Er war gezwungen, sich zu erinnern. 

Jacob trug nur eine Windel. Stiles betrachtete die kleine zur Faust geballte Hand, die der Junge sich immer wieder gegen die Augen drückte. Mit fast einem Jahr war Jacob schon ziemlich groß. Während der Kopf auf Dereks Schulter lag, erreichten die kleinen Füßchen schon die Hüfte. Und trotzdem war alles so winzig an ihm. So verletzlich. Stiles konnte sich nicht mal annähernd vorstellen, wie dieser unschuldige Junge zum Werwolf werden würde und ihn womöglich beißen könnte. Sein Blick flog hinauf, auf die weiße Holzwiege und dem Haufen Babysachen darin, die Derek gekauft hatte und musste schmunzeln. Einerseits, weil er die Vorstellung liebte, Jacob darin schlafen zu sehen und andererseits, weil es ironisch war. Als würden irgendwelche Holzgitter, einen wild gewordenen Miniwerwolf aufhalten. Aber das war ja auch nicht der Sinn der Wiege gewesen. Darüber, wie sie mit dem Werwolfsjacob umgehen wollten, hatten sie noch gar nicht geredet. Das machte Stiles wohl die größten Sorgen. Aber er hatte sich für ein Leben mit Derek entschieden, als er im Wald 'ja' gesagt hatte. Und da Derek sich für ein Leben mit Jacob darin entschieden hatte, konnte Stiles nichts dagegen machen. Er war sich sicher, dass er einen fürchterlichen Vater abgeben würde. Dass er einen Haufen Fehler machen würde. Aber er würde alles in seiner Macht stehende versuchen, es wieder gut zu machen. Jacob würde nun, genau wie Derek, sein Lebensinhalt sein. Das stand fest. Und daran würde niemand etwas ändern können. Er fand die Stärke in sich wieder. Und er hatte sie Dank dieser beiden Kerle wiedergefunden. Dass sie auf dem porösen Fundament aus Bitterkeit ruhte, merkte er in diesem Moment der Ruhe noch nicht.

"Derek kommt nicht raus." stellte Peter mit einem Blick auf seine Armbanduhr fest. Lydia warf ihrem Freund im schwarzen Anzug einen fragenden Blick zu: "Sollen wir hinein gehen?"
Peter zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte dann langsam den Kopf: "Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist."
Lydia strich sich die schwitzenden Hände an ihrem schwarzen Röhrenrock ab und sah noch Mal hinauf zu den Fenstern. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. Es war wirklich keine gute Idee. Würde Stiles auf die Beerdigung gehen, könnte das einen Rückfall seiner Psyche provozieren. Ihm würde das nicht gut tun. Aber Lydia war sich unsicher, wie er selbst darüber dachte. Ob er ihnen verzeihen würde, dass sie ihm nicht Bescheid gesagt hatten.
Aber irgendwie wollte sie zu ihm herauf. Ihn fragen, ob er mit wolle. Vielleicht wollte sie nichts mehr vor ihm verheimlichen? Oder sie vermisste ihn ganz einfach.
Schnaufend setzte sie sich die Sonnenbrille auf, bevor sie nach vorn auf die Straße sah.
"Fahr los." sagte sie. Peter sah sie an. Lange. Und sie brauchte nicht ein Mal zurückblicken, um zu wissen, dass er sich Sorgen machte.
"Nun fahr schon!" rief sie gereizt.
Brummend fuhr das Auto davon, Richtung Wiese, während Lydia sich im Innern die Seele aus dem Leib schrie. 


Aradia is coming again (Sterek)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt