Besuch!

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Sophie zog mich in ihr Zimmer. „Hier die Hausaufgaben." Sie überreichte mir einen kleinen Stapel Zettel. Physik. Melodramatisch rollte ich mit den Augen. Sophie kicherte. Wir setzten uns auf den Boden und Sophie drängte mich dazu, ihre Schulbücher mitzubenutzen, in denen die restlichen Aufgaben standen. Ihre Eltern hatten mich von der Schule entschuldigt, aber um die Hausaufgaben kam ich offenbar trotzdem nicht herum. Sophie und ich gingen nicht in die selbe Klasse, besuchten aber die selbe Klassenstufe. Deshalb nahmen wir ungefähr zeitgleich den selben Stoff durch und es war kein größeres Problem auf dem aktuellen Stand zu bleiben – zumindest theoretisch.

Ich schielte immer mal wieder zu Sophie herüber. Dann kam ich nicht mehr mit dem Rechenkram des Physikparts weiter und widmete meine Aufmerksamkeit stattdessen dem Mädchen, in das ich verliebt war. Sophie war so hübsch, wie sie sich so auf ihre Arbeit konzentrierte. Ruckhaft, als hätte sie meinen andauernden Blick gespürt, hob Sophie den Kopf. „Zeig mal." und zog mir mein Arbeitsblatt weg.

„Was hast du bei der vierten Aufgabe? Verstehst du wie man das berechnet?", fragte ich sie.

„Die haben das heute erklärt. Warte, dafür brauchst du ein paar Formeln.", sagte Sophie und mir rann ein Schauer über den Rücken. Ich schlief zwar manchmal in der Schule ein, aber überhaupt dort zu sein, eröffnete mir wenigstens die Möglichkeit nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstand. Sophie konnte ihre Eltern fragen. Ich hatte niemanden in nächster Nähe, den ich mit dem Thema Schule belästigen konnte. Nicht dass ich gerne in die Schule ging. Nein, eigentlich sogar alles andere als das. Leider kommt man in unserer Gesellschaft nicht weit, ohne einen Schulabschluss – zumindest wenn man einen legalen guten Job wollte. Riko war anderer Meinung, aber er erzählte, was das anging, manchmal merkwürdige Dinge.

Sophie sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. „Hast du irgendwas?", fragte sie.

Ich lächelte und wollte freundlich ablehnen. Im letzten Moment hielt ich mich davon ab den Mund zu öffnen und zuckte nur mit den Schultern. „Welche Formeln?" Dämliche Lügendecke. Ich leckte mir über die Lippen, als sei nichts gewesen.

Sie lächelte und erklärte mir in ein paar Sätzen den neuen Stoff. Zuerst war ich konfus, dann stellte sich Erleichterung ein. Eigentlich war es echt einfach. Ich zog den Taschenrechner zu mir, begann die Aufgabe zu berechnen und mir Notizen zu machen.

Ein Knall erschütterte den Raum. Erschrocken zog ich den Stift einmal quer über das Papier. Palome stand in der Tür, mit einem Feuerzeug in der einen und einer Packung Knallfröschen in der anderen Hand. Der Geruch von Feuerwerk wehte zu mir herüber. Sie lachte.

„Pao!", fauchte Sophie, „Woher hast du -" Ihre kleine Schwester versteckte sich hinter dem Türrahmen - nicht besonders gut, ihr Fuß spähte noch hervor. Mein Herz pochte. Schmerzhafte Wellen schossen durch meinen Körper. Ich krümmte mich zusammen. Durch meine halbgeöffneten Augen beobachtete ich mein Spiegelbild. Trotz des Schmerzes in meinem Oberkörper, kribbelten meine Fingerspitzen am meisten. Nägel wurden länger, spitz zulaufend, milchiger. Meine Gelenke knackten. Es sah nicht so schmerzhaft aus, wie es sich anfühlte.

Palome spähte vom Türrahmen aus zu mir und beobachtete, wie ich mich veränderte. Sophie blieb neben mir sitzen. Als Palome sicher war, dass weder ihre große Schwester noch ich plötzlich aufspringen würden, kam sie zu mir und zog mich an den Ohren. Ihre Berührung ging in dem Rauschen meines Kopfes unter. Plötzlich stürzte Nicki zur Tür herein. Sofort nahm sie der Fünfjährigen das Feuerzeug weg. Ihr Blick ging von ihrer kleinen Schwester zu mir. Ich zwinkerte gequält. Schmerz flammte auf und ich zuckte zusammen. Nach einem Sekundenbruchteil sanken Nickis Schultern entspannt nach unten. Sie klopfte Sophie auf die Schulter und nahm Palome bei der Hand.

Die Diebe des MondamulettsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt