Vier gegen einen / Tollwut

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Seinen Blick haltend wischte ich seine Hand von meiner Schulter.

Er verlor sein Lächeln und zog seinen Arm zurück. Weiter und weiter zurück – als würde er für einen Schlag ausholen. Hier in der Öffentlichkeit? Würde er tatsächlich hier eine Schlägerei anfangen? Angespannt setzte ich einen Fuß nach hinten um – falls nötig – ausweichen zu können.
Der Anführer zischte. „Nicht hier, Ibis." Ibis entspannte seinen Arm und ließ ihn an seine Seite gleiten. Wo blieb denn Ibis' Taktgefühl? Soetwas macht man nicht, wenn Leute zusehen die eingreifen könnten...

„Das war ein Fehler.", sagte der Anführer an mich gewandt.

Ich zuckte mit den Schultern, „Ich war nicht beruflich hier, falls du das meinst."
„Du hast versprochen dich hier nicht mehr blicken zu lassen. Aber du bist hier.", seine Stimme hätte schrill sein sollen, doch er hielt sie gesenkt.

So machte er mich tatsächlich fast ein Bisschen nervös. „Naja.", meinte ich, „Ich bin nirgends eingebrochen, oder?"
Der Anführer starrte mich durchdringend an. Wir begegneten uns auf Augenhöhe. Wow. Vielleicht hatte mein Schlafmangel den Eindruck von gestern so verfälscht? Offensichtlich lag ihm seine Meinung auf der Zunge, aber er verengte die Augen, presste die Lippen zusammen und raunte verärgert, „Gehen wir."

Die Hand der Mütze landete wieder auf meiner Schulter und reflexartig hob ich meine um sie erneut von dort wegzuschubsen. Das Mädchen rollte mit den Augen, ging auf mich zu und packte meine andere Hand. Fassungslos sah ich sie an. Ihr stummer Hinweis war eindeutig: Wir haben dich schon mal verkloppt und wenn wir sagen dass du mitkommst, kommst du mit. Das ging mir ja auch in den Kopf, aber wir – also sie und ich – sahen wie ein Liebespaar aus, das Händchen hielt. Ibis und sie grinsten. Der Anführer wandte sich schwungvoll um und ging voraus. Der grüne Mützenibis und das Mädchen flankierten meine Seiten, der Kerl mit den Dreads lief hinter mir.

Sie führten mich um mindestens drei Blocks aus folgendem Grund: Immer wenn wir (ich hatte natürlich kein Mitspracherecht, aber ich dachte mir meinen Teil) annahmen, eine gute Stelle für eine Auseinandersetzung gefunden zu haben, kam uns Jemand entgegen, klappte irgendwo in der Nähe ein Fenster auf oder kreischten Kinder, die davor nicht da waren. Mein Kopf raste. Nacheinander sah ich mir die anderen Teens an. Wir dürften etwa gleich alt sein – was natürlich nichts über die körperliche Stärke aussagte – oder das Geschick. Fair war ein Wort, das die Situation dennoch nicht passend umschrieb, denn sie waren zu viert und ich nur ich.

Wie kam ich hier nur wieder raus? Ich hatte schon ein, zwei mal gekämpft. Und naja, ich bin eigentlich nicht wirklich der Boxertyp. Meine Stärken liegen beim 'Herumschleichen' und äh 'im Unterricht einschlafen'.

Der Anführer wurde langsamer und drehte den Kopf über die Schulter. „Hier." Eine Häusergasse. Ibis und der Anführer wandten sich zu mir herum und machten sich bereit. Unauffällig sondierte ich die Lage. Hinter mir war niemand, der Junge mit den Dreads stand an meiner Seite. Vielleicht war es noch nicht zu spät mich zu verdrücken. Der Anführer ging auf mich zu, dabei ballte er eine Hand zur Faust.

Schnell riss ich mich von dem Mädchen los und sprintete Richtung Straße. Sofort hörte ich Schritte hinter mir. Mein Brustkorb wurde zusammengedrückt und ich geriet ins Schleudern. Bevor ich die Gasse verlassen konnte, lag ich schon halb auf dem Boden. Das Mädchen kam neben mich und packte wieder meine Hand. Der Kerl der mich mit beiden Armen umklammerte, ließ mich los. Die anderen zwei Jungs traten ebenfalls in mein Blickfeld. Sie hatten mich eingekreist. Fuck. Ich war ihnen nicht entkommen. Über uns räusperte sich Jemand. Automatisch sahen wir die Hauswand nach oben. Ein Mann mit Glatze und dampfender Zigarre im Mundwinkel, sah missbilligend aus einem offenen Fenster auf uns herab. Das Mädchen packte meine Hand fester und wir verließen die Gasse wieder.


Verärgert stapfte der Anführer vorne weg. Die anderen aus seiner Bande folgten ihm schweigend und ohne Widerworte. Nach ein paar Minuten erkannte ich Baumwipfel über den Häuserdächern aufragen. Die Straße mit der wohnlichen Atmosphäre führte aus der Stadt. Super. Hier würde mich niemand schreien hören.

Die Diebe des MondamulettsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt