Bauchgefühl

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Mal vorausgesetzt, Riko hätte gewusst, dass ich ein Werwolf war - das war nicht seine Art von Humor.

Der einiger Teenager der anderen Rudel allerdings schon. Einige von denen, die ich erst seit ein paar Tagen kannte, waren etwa in meinem Alter. Sie hatten mitbekommen, dass mir meine Freunde über Sophies Handy SMS schickten, weil ich kein eigenes hatte. Und sie wussten natürlich, dank meiner Akte, die mein Rudel aufgrund der Werwolf Gesetze an alle anderen Rudel geschickt hatte, dass meine Freunde genau wie ich, abseits der legalen Richtlinien agiert hatten. Wahrscheinlich hatten die gestern, bevor wir laufen gegangen waren, mein Gespräch mit Sophie mitbekommenn und meinten, mir so eine SMS zu schicken wäre irgendwie lustig.

Mir rann ein kalter Schauer über den Rücken. Diese Kids waren gar nicht mal so dumm. Dennoch... irgendetwas fühlte sich nicht richtig an. Irgendetwas... War das mein Bauchgefühl?

„Alles okay?", skeptisch nahm Sophie ihr Handy zurück.

Ich zuckte die Schultern. „Ich wollte mich noch mit Riko treffen." Ich lächelte die etwas vor den Kopf gestoßene Sophie an, umarmte sie fest und stürmte den Gang runter.

„Hey!", schrie Nicki vom Wohnzimmer aus, „Denk' an die Versammlung heute Abend!"

„'türlich!", rief ich und knallte die Tür hinter mir zu.


Kaum setzte ich einen Fuß aus dem Bus, sprintete ich über die leergefegte Straße, an den großen eckigen Industriegebäuden vorbei, bis zum Unterschlupf meiner Freunde. Gewohnheitsmäßig lehnte ich mich nach hinten während ich den Türknauf festhielt, weich und zäh wie Kaugummi schwang die schwere Metalltür erst langsam, dann bereitwillig zurück. Ich schlüpfte hindurch.

Hinter der Tür blieb ich stehen, meine Nase prickelte. Niemand war in der Halle, ich schluckte, ging bis zu der quadratischen, etwa ein Meter tiefen Absenkung in der Mitte des Raums, in der eine gemütliche Chillzone improvisiert war. Ich erwartete, hoffte Jemand hielt ein Nickerchen auf einer der Couchs und ich konnte nur deshalb von hier aus keinen Kopf aus dem Boden ragen sehen.

Fehlanzeige. Es war wie ausgestorben.

Zugeschlossen wurde die Eingangstür nur über Nacht oder wenn gerade alle ausgeflogen waren. Sie war offen, dementsprechend sollte eigentlich Jemand hier sein.

„Hallo?!", schrie ich, „Hey, irgendjemand da?"

Nur mein Echo prallte von den hohen Wänden ab. Hektisch klopfte ich an ihren Schlafzimmern an, als ich keine Antwort bekam, warf ich einen Blick hinein. Wie leergefegt. Ich rannte durch den Flur, stubste Macs Zimmertür auf – der Nerd saß nicht vor seinem Hightechcomputer und er war die vollendete Verkörperung des Worts Stubenhocker.

Meine Nasenspitze war mittlerweile taub. Unbewusst berührte ich sie, spürte den leichten Druck meiner Finger kaum.

Riko hätte mir Bescheid gegeben, wenn sie ihre Vorbereitungen auf den nächsten Coup woanders trafen – oder? Wenn es so war, hätte er mir wenigstens eine Nachricht hinterlassen (wo er doch auch Zeit hatte, Sophie SMS für mich zu schicken) – und wenn nicht hier, dann bei mir zu Hause.

Mit ungutem Gefühl verließ ich den Unterschlupf wieder und stieg in den nächsten Bus. Den Schlüssel in der Hand rannte ich in das Mietshaus und schloss den Briefkasten auf. Nichts. Grob rammte ich den Schlüssel in mein Türschloss. Ich versetzte gerade noch rechtzeitig den Schuh, um nicht auf ein weißes Stück Papier zu treten, das jemand unter der Tür durchgeschoben haben musste.

Hastig hob ich es auf.

Ein Briefpapier in das geschwungene Rillen graviert waren. Mit einem Füller in schlichten Buchstaben stand da:

Die Diebe des MondamulettsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt