Das Versteck des Serienkillers

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In dem Stehbereich vor der Tür hielt ich mich an einer Haltestange fest, um später beim Aussteigen keine Sekunde zu verspielen. Außerdem war ich viel zu hibbelig um mich hinzusetzen.

Verkrampft umklammerte ich den zerknitterten, zu einem kleinen dicken Ballen gefalteten Zettel. Ich hatte das wirklichkeitsferne Gefühl, so lange ich ihn nur nicht losließe, würde ich meinen Freunden dabei helfen, durchzuhalten.

Ich war so angespannt, dass ich nicht nachdenken konnte. Mein Gehirn gab den Chefposten zugunsten schneller Reaktionsfähigkeit an meinen Körper ab. Ich war vollgepumpt mit Adrenalin. Zitternd glich ich die Anfahrts- und Bremskraft des Busses aus. Mit jedem Meter dem ich meinem Ziel näher kam, mit jeder Station nahm meine Aufregung weiter zu.


Es gab die angegebene Hausnummer nicht. Vor Hast riss ich den Drohbrief ein, als ich ihn auffaltete. 75, ich hatte es mir schon richtig gemerkt. Ich atmete tief, fuhr mir zittrig durch mein Haar. Das letzte Haus in dieser Straße hielt die Nummer 74. Die Häuser davor und gegenüber waren alle richtig gekennzeichnet. Dann war da eine Kreuzung und gegenüber folgte ein großes Grundstück Nichts. Wiese, Grasland, eine Hügelwindung. Das konnte doch nicht sein! War ich falsch? Ich vergeudete Zeit! Panisch rannte ich über die leere Straße. Mindestens hundert Meter Wiese, an den Rändern gesäumt von einigen Sträuchern und Bäumen. Über den Baumwipfeln schimmerte das Licht der Stadt. Es war doch das Licht der Stadt oder -? Ich jauchzte auf. Es musste dort sein. Das Grundstück war nicht eingezäunt.

Mieser Scherz, verdammt mies. Würde ich mir als Erpresser die Mühe machen diese Lage zu beschreiben oder mir etwas ähnlich Irreführendes ausdenken? Der Gedankengang scheiterte an meiner individualisierten aber nichtsdestoweniger relativ moralisch korrekten Geisteshaltung. Aber wenn ich meinen Freunden eine SMS schicken würde, in der ich einen merkwürdigen Ort als Treffpunkt angab – ach egal. Unter den Baumästen lag eine winzige Hütte verstohlen und ruhig in den Schatten der Nacht.

Dort waren meine Freunde. Dort war der Serienkiller. Ich war fast da, meinen Ärger von zuvor vergessen. Prüfend zog ich die Luft ein. Holz, Wiese, abgemildert etwas Stadt.

Entschlossen schlich ich mich ans Fenster. Orangenes Licht strahlte durch die schmierige, trübe Scheibe. Eine große Werkbank nahm die Mitte des Raumes ein. Eine dicke Schicht Staub vergraute Elektrogeräte in mehreren Metallregalen.

Alles war unordentlich und wirkte, als sei es seit Jahren nicht verwendet worden. Außer einige Sachen auf der Werkbank: ein aufgeschlagener Aktenordner, eine Tasche, ein Stift.

War das eine verlassene Schreinerei? Die Haustür war von innen mit einer Eisenkette umschlungen. Es gab keinen weiteren Eingang. Damit sorgte er dafür, dass ich mich bemerkbar machen musste, wenn ich rein wollte. Ich konnte die Tür nicht knacken, ich war darauf angewiesen, dass er die Kette entfernte.


Vielleicht waren die Fenster eine Möglichkeit. Zuerst sah ich niemanden. Vorsichtig machte ich einen Seitenschritt und spähte schräg in die Längsseite des Raums. Weiter hinten in den Schatten bewegte sich etwas.

Da stand ein Typ.

Vor ihm, zu seinen Füßen an der Wand saßen Gestalten dicht aneinander gedrängt. Das waren meine Freunde! Sofort lauerte mein zweites Ich dicht unter meiner Haut. Die Verwandlung würde schnell gehen, sie würde kaum weh tun. Ich würde ihnen sofort helfen können.

Die logischen Gründe aus denen ich meine Verwandlung zurückhielt standen mir zwar scharf vor Augen, aber ich brauchte einen langen Moment um den Impuls es trotzdem zu tun, wegzudrücken und den Kopf frei zu kriegen. Ich wurde sauer. Der Typ beugte sich vor. Meine Freunde rührten sich nicht. Ich stellte mich auf die ungleichmäßige Dunkelheit ein und erkannte die Person, vor der er stand.

Die Diebe des MondamulettsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt