Elektrokram

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Kelvi musterte mich mit einem abwesenden Blick, unter seinen Augen fühlte ich mich ganz kurz wie ein Kunstprojekt, bei dem noch der ein oder andere Handgriff fehlte.

„Natürlich. Gern geschehen. Dafür dass ihr uns gleich mit Nadeln malträtieren werdet.", murmelte Kelvi so leise, dass ich es vielleicht nicht gehört hätte.

Damit lächelte er besorgt, strich mir sanft über die Schulter und joggte Neko hinterher die Treppe nach oben, wo die ehemaligen Büroräume in Schlafzimmer umfunktioniert worden waren.

Vom Boden stieg eine angenehme Wärme auf. Das Prickeln, das die Halle erfüllt hatte, als ich vor einigen Stunden hier gewesen war, hatte sich verflüchtigt. Hatte es von dem Betäubungsmittel hergerührt, mit dem Felix meine Freunde narkotisiert hatte? Ein geruchloses Gas. Wie hatte er es ungesehen in das Gebäude geleitet? Davon musste er doch Unmengen gebraucht haben, um die ganze Halle zu füllen.

Riko kam mit einigen Gläsern von der Wand zurück, an der sich Kelvis exotische Blumen entlanghangelten, stellte sie auf den Küchentresen und setzte sich mir gegenüber an den Esszimmertisch. Es waren Einmachgläser, etwa so groß wie kleine Marmeladengläser.

Ich deutete auf den Camcorder.

Eigentlich wollte ich nichts mit diesem Ding zu tun haben, gleichzeitig war ich unendlich erleichtert darüber, dass Riko so geistesgegenwärtig gewesen war, ihn mitzunehmen. Riko fixierte ihn ebenfalls.

„Wie hast du das hinbekommen?"

„Auf die gleiche Weise, wie du denSchlüssel organisiert hast, nehme ich mal an?"

Riko zog die Augenbrauen skeptisch zusammen und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Er schielte von der Cam zu mir und wieder zurück.

Riko holte eine Zigarette und ein Feuerzeug aus seiner Tasche, ein Weißes mit Fröschen, das Joyce ihm im Auto geschenkt hatte. Riko klemmte eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an.

Er steckte das Feuerzeug wieder in seine Tasche und nahm die Cam hoch. Er klappte den Bildschirm aus und richtete ihn so aus, dass er angenehm in seine Richtung gekippt war.

Ich verspannte mich. Mit seinen langen Fingern fuhr er über die Knöpfe, ohne sie zu drücken. Er wollte sich die Aufnahmen ansehen.

„Warte. Warte!", abrupt sprang ich auf die Füße, der Stuhl schabte über den Boden nach hinten, meine Brust pulsierte quälend. Ich hatte mich viel zu hastig bewegt. Ich atmete tief und konnte nicht sofort etwas sagen. Trotzdem war mir deutlich, wie viel besser es mir schon wieder ging. Vorhin wäre ich fast in Ohnmacht gefallen, als ich langsam aus einem Auto gestiegen war, jetzt hingegen konnte ich nach einem Sprung eindeutig alleine stehenbleiben. Mac schreckte auf und sah sich irritiert um. Riko kniff die Lippen zusammen und sah von der Cam auf.

Ich kniff nur die Lippen zusammen. Wenn Jemand das Recht hatte, sich diese Aufnahmen anzusehen, waren es meine Freunde. Nur durch mich waren sie in diese Situation geraten, gerade ich hatte ihnen diesbezüglich eigentlich rein gar nichts zu sagen.

Fast in Zeitlupe ließ Riko die Cam auf den Tisch sinken. Mac stand auf und schlurfte davon. Unter der Treppe standen schwarze Boxen, Elektrozubehör und Werkzeug.

Der verpennte Hacker drehte Regler an den Boxen, ein hohes Pfeifen explodierte in der Halle, unterlegt von Testbildschirm Rauschen. Unerträglich hoch und laut, wie ein Tinnitus, stach es wie mit Nadeln in die Innenseite meines Schädels. Erst dachte ich, ich könnte es nur wegen meiner geschärften Sinne hören, doch Riko klemmte den Kopf zwischen die Schultern und kniff die Augen zusammen, als ob er gerade dringend etwas ausblenden wollte.

„Sorry!", rief Mac. Das Fiepen hörte auf. Riko öffnete die Augen wieder und schnippte die Asche seiner Zigarette in den Aschenbecher. „Mac, da hinten ist doch die Schachtel mit den Handys!"

„Ich bring sie mit."

„Eins reicht."

Mac kam mit seinem Notebook unter dem Arm und einem kleinen Karton in die Küche. Er stellte den Karton in die Tischmitte und klappte sein Notebook auf. Mit verschränkten Fingern sah er ihm gebannt beim hochfahren zu. „Ich will die Handys orten."

„Daran habe ich auch gedacht.", Riko klemmte die Zigarette in die kleine Halterung im Anschenbecherrand, stand auf und holte eines der Einweghandys aus dem Karton.

Das Handy war noch in einer billigen Plastikhülle verpackt, Riko schob die Finger zwischen vordere und hintere Plastikschicht und zog sie auseinander. Das Handy fiel heraus, bevor es herunter fallen konnte, klemmte Riko es gerade so zwischen seinem Arm und seinem Bauch ein.

Er ließ die Hülle fallen, setzte sich wieder und wählte eine Nummer. „Ich schau mal, ob ich noch zu erreichen bin.", murmelte er.

Mac sah auf. Auch ich sah ihn gespannt an. Vielleicht telefonierten wir gleich mit dem Typen, der uns vor einer Stunde umbringen wollte.

„Kein Anschluss." Riko drückte einen Knopf und wählte die nächste Nummer.

Gut. Wenn mich Sophie erreichen wollte, würde sie wenigstens nicht plötzlich mit Felix sprechen. In dieser Hinsicht war ich beruhigt. Doch Riko und Mac machten ihre Ergebnisse nicht gerade glücklich.

Mac prasselte auf die Tastatur ein. Nach kaum zwei Minuten fuhr er sich mit zu Krallen geformten Fingern über den Kopf, durch das kurze blonde Haar. „Ich kann sie nicht orten."

Riko beendete seinen fünften Anruf. Auch das letzte Handy war offenbar nicht zu erreichen. Mac schob den Laptop etwas in seine Richtung und deutete mit dem Finger darauf. Ich saß ihnen gegenüber und hatte keine Einsicht, doch ich hörte gebannt zu.

„Hier ist die Hütte. Bis hier hatte er sie bei sich, dann waren die Signale weg."

„Welches hast du geortet?"

„Meins, erst einmal. Die anderen kann ich auch noch ausprobieren."

„Musst du nicht. Er wird alle Handys entsorgt haben."

„Wir werden ihn nicht finden.", schlussfolgerte ich müde.

Die Kriminalpolizei suchte ihn ebenfalls, nur mit besseren Mitteln, mehr Leuten und zwar schon seit mehreren Wochen. Dieser Typ war kein Dummkopf, obwohl er eindeutig irre war.

Riko sah mich an. Nach wenigen Sekunden zog er leicht den Mundwinkel hoch. „Wie hast du ihn genannt, Robin?- Felix?"

Mac sah von seiner Tastatur auf und schielte zwischen Riko und mir hin und her.

„Ja, Felix. Sophie hat gesagt, sein Nachname ist 'von Rotlebe'."

Mac zog die Augenbrauen hoch, „Ein Adliger?"

„Bürgerlicher Adel, vielleicht?", ich zuckte die Schulter.

Riko biss sich auf die Lippe und lächelte. Er lehnte sich nach vorne und stützte beide Ellenbogen auf dem Tisch ab. Eine Hand lag um das Handgelenk des Arms, mit dem er sich auf dem Tisch abstützte und die Zigarette hielt, „Wir haben sein Gesicht und seinen Namen. Wie hoch liegen die Chancen, ihn da nicht zu finden?"

Er sagte das mit einer Gewissheit, die alles andere als den Erfolg ausschloss. Unwillkürlich lächelte ich ebenfalls. Klar, warum sollten wir ihn nicht finden können? Name und Gesicht. Wir hatten alles, was wir brauchten.

Die Diebe des MondamulettsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt