Kapitel 15

3.8K 146 3
                                    

"Claire" Erics kalte Stimme durchschneidet die Stille, welche in dem Raum, wo wir Initanten warten, herrscht. Links neben mir sitzt Peter, den Kopf gegen die Wand gelehnt und die Augen bis gerade eben geschlossen. Rechts neben mir sitzt eigentlich Cia, diese aber wurde so eben von Four aufgerufen. Ich hatte die geringe Hoffnung, dass auch ich bei Four landen könnte, aber mit Erics Aufruf wird diese Hoffnung zerstört. Eine blasse Emily verlässt den Raum, halb laufend, halb torkelnd. Ich sehe, wie Alex aufsteht und ihr helfen will, ein warnender Blick von Eric lässt ihn jedoch sitzen bleiben. Wie in Trance stehe ich auf und schlurfe auf die offen stehende Tür zu. Eric lehnt ungeduldig im Türrahmen und sobald ich die Türschwelle überwunden habe, schmeißt er die Tür laut zu. Ich zucke zusammen. Er stapft zu einem Monitor und mir fällt auf, dass, genau wie beim Eignungstest, ein Liegestuhl und daneben ein Computer vorhanden sind. Es geht also um Simulationen. Dummerweise habe ich auch eine böse Ahnung vorüber.
Wortlos deutet Eric auf den Stuhl und ich setze mich brav hin. Bloß keinen Ärger machen. Verbissen starrt mein Gegenüber auf den Bildschirm und tippt etwas ein, die Zähne aufeinander gebissen und deutlich angespannt. Mit keiner Silbe erwähnt er des gestrige Geschehniss. "Ich werde dir jetzt ein Serum spritzen, welches dich in eine Simulation versetzt. So ähnlich wie beim Eignungstest. Diesesmal musst du allerdings deinen schlimmsten Ängsten gegenüber stehen und sie besiegen. Halte deine Atmung kontrolliert und beruhige deinen Herzschlag. Versuche die Angst wie eine wahre Ferox zu bezwingen." klärt er mich auf, während er eine große Spritze mit einem blauen Serum füllt. Dann war meine Vermutung also richtig. Super. Ich nicke stumm, was soll ich auch sagen? Eric hat die Spritze fertig aufgezogen und streicht nun mein Haar zur Seite. Dabei berührt seine Hand meine Haut und sofort muss ich wieder an gestern Abend denken. Seine Lippen waren so wunderschön rau und seine Hände auf meiner Haut waren einfach...Ein Stich holt mich glücklicherweise in die Realität zurück. In aller Ruhe spritzt Eric mir das Serum und zieht die Spritze anschließend heraus. Sofort überkommt mich eine Schwummrigkeit und ich kralle mich in die Armlehnen. Das letzte was ich sehe ist, wie Erics blaue Augen mich anschauen, irgendwie sehnsüchtig, dann wird alles dunkel um mich herum.

(Simulation)

Stille. Das ist alles was ich wahrnehme. Ich sehe mich um. Nichts. Nur endlose Dunkelheit. Dann bemerke ich, dass ich die Augen geschlossen habe. Ich will sie öffnen, will mich umsehen, aber es funkioniert nicht. Sie fühlen sich wie verklebt an. Stattdessen versuche ich, die Arme zu heben. Geht nicht. Erst jetzt spüre ich die Gurte und Fixierungen auf meinem ganzen Körper. Ich bin gefesselt. Ich winde mich und versuche mich frei zu kämpfen, nichts funkioniert."Sie wacht auf" Eine fremde Stimme dringt an mein Ohr und endlich, endlich schaffe ich es die Augen zu öffnen. Doch was ich sehe, raubt mir den Atem. Zunächst schaue ich in grelles Licht. Nach ein paar Mal blinzeln blicke ich mich um. Ich bin auf eine Liege aus Metall gefesselt und um mich herum stehen drei Personen. Die ersten beiden kenne ich nicht, sie sehen aus wie Professoren. Aber die dritte Anwesende ist niemand anderes als Jeanine. Meine Mutter. Was zur Hölle ist hier los? "Jeanine, Objekt 148 ist aufgewacht. Stabiler Kreislauf. Voll Einsatzbereit." sagt die junge Professorin und der andere Typ geht an einen anderen Tisch und scheint was zu suchen. "Sehr gut, dann können wir direkt anfangen" - "Anfangen womit??" frage ich und eine leichte Panik ist aus meiner Stimme zu hören. Jeanine blickt mich an. Dann sieht sie wieder zu dieser Frau. "Kann sie sich an was erinnern?" "Ihr Gedächtnis wurde komplett gelöscht Miss" Ich hebe so gut ich kann meinen Kopf und blicke verwirrt die Anwesenden an. Was geht hier vor?!? Der Mann kommt nun mit einem Skalpell zurück. Plötzlich kommt mir eine Idee, was diese Menschen vor haben. Ich reiße den Kopf herum und schreie panisch: "Mum!!! Nein!!!" Meine 'Mum' lächelt nur kaltherzig und gibt dem Forscher das Zeichen anzufangen. Eben genannter setzt das Skalpell an der Haut an meinem Arm an. Dann schneidet er zu. Langsam, fast schon diabolisch langsam schneidet er nach unten, von meinem Oberarm bis hin zum Handgelenk. Noch kann ich die Schreie zurück halten. Über mein Gesicht laufen Tränen und ich schaue zu meiner "Mutter". Diese sieht sich das ganze an, die Arme streng verschränkt und die Frau hinter ihr macht ab und zu Notizen. "Mama..." wimmere ich leise und strecke so gut ich kann die Hand aus. Emotionlos sieht meine Mutter mich an. Sie unternimmt nichts. Sie sieht einfach zu. Auf einmal spreizt der Mann den Schnitt. Ich kann nicht mehr. Ich schreie los und schreie mir die Seele aus dem Leib. Ich spüre, wie er an meinem Knochen herum kratzt, wie er Gewebeproben nimmt und noch vieles mehr. Ich schreie ununterbrochen, winde mich unter den Fesseln und ab und zu, wenn ich keine Luft zum Schreien mehr habe, wimmere und schluchze ich laut. Beruhig dich Claire! Das ist nur eine Simulation! Es stimmt, das weiß ich. Aber ich kann nicht aufhören. Immer wieder, wenn ich mich beruhigen will, kommt ein neuer Schmerz, noch unerträglicher als der davor. Irgendwann aber fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das ist nicht real!! Kaum habe ich den Gedanken zu ende gedacht, passiert es. Die Fesseln sind verschwunden. Alle Anwesenden im Raum sind geschockt und stehen erstarrt da. Ich nutze meine Chance und rolle mich von der Liege. Ich schaffe es, auf den Füßen zu landen und mich aufzurichten. Dann geht alles ganz schnell. Blitzschnell packe ich das erst Beste, den Mann, und schlage auf ihn ein. Als er bewusstlos zu Boden geht, stürze ich mich auf die Frau. Auch sie hat keine Chance. Schließlich stehe ich Jeanine gegenüber. Sie funkelt mich an. Gerade will ich mich auf sie stürzen, als meine Beine nachgeben und alles wieder schwarz wird.

(Simulation Ende)

Die Simulation ist zu Ende. Zwar war es nicht echt, aber mein ganzer Körper schmerzt. Mein Atem geht keuchend und meine weißen Knöchel treten hervor, so sehr haben sie sich in die Lehne gekrampft. Ich schließe die Augen um mich zu beruhigen. Mein Herz pocht so stark, dass es fast schon weh tut. Als ich genügend Mut habe, öffne ich meine Augen wieder und lege meinen Kopf zur Seite. Eric starrt verbissen auf den Monitor, seine Finger trommeln auf dem Metall rum. "Deine Angst ist aufgeschlitzt zu werden?" In seiner Stimme hängt ein Hauch von Belustigung, Ungläubigkeit und tatsächlich auch Besorgnis. Irgendwie macht es mich wütend, dass er sich darüber lustig macht. Schließlich kann ich auch nichts für meine Angst. Genervt richte ich mich auf. "Schön, dass du das so witzig findest!" fauche ich und stehe auf. Dabei ignoriere ich, wie der Raum sich um mich dreht und laufe schwankend auf die Tür zu. Bloß keine Schwäche zeigen. Ich bin, glaube ich, zwei Schritte gegangen, als Eric mich am Arm packt und zurück auf den Stuhl zieht. Er baute sich mit verschränkten Armen vor mir auf und sieht abwartend auf mich herunter. "Was?!?" keife ich zickig und fange mir einen warnenden Blick ein. "Was hatte das zu bedeuten?" Er deutet auf den Bildschirm und ich presse stur die Lippen aufeinander. Es ist nicht so, als ob ich nicht wüsste, was diese Simulation darstellen sollte, aber ich werde ganz bestimmt nicht mit IHM darüber reden. Niemals.
Sein Blick durchbohrt mich förmlich und irgendwann halte ich es nicht mehr aus. Frustriert fahre ich mir durch die Haare. "Die Simulation hat meine Angst gezeigt. Die Angst von meiner Mutter als Objekt gesehen zu werden" erkläre ich widerstrebend. Nun sieht Eric vollkommen amüsiert aus. "Du hast Angst, dass deine Mutter dich nicht als ihre Tochter ansieht?" Wütend funkel ich ihn an. "Hast du etwa vor gar nichts Angst??" - "Nein" sagt er mir eiskalt ins Gesicht und ich schnaube auf. "Jeder Mensch hat vor etwas Angst" Er beugt sich dicht zu mir herunter und stützt sich mit den Armen auf die Lehnen des Stuhls. Ich weiche zurück und lehne mich automatisch tief in die Liege. "Deine Simulation hat drei Minuten gedauert Claire" Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken.
"Das ist dreimal schneller als der Durchschnitt" Er fixiert mich mit seinem Blick und ich schlucke. Ob er es weiß? Ob er eine Ahnung hat, was ich wirklich bin? Ich schlucke noch einmal und versuche möglichst unwissend zu wirken. "Wirklich? Nun..dann bin ich wohl ein Naturtalent" Ein künstliches Lachen meinerseits, welches mir jedoch im Hals stecken bleibt. Eric lacht nicht mit. Seine Augen liegen nach wie vor auf mir, alles an ihm wirkt angespannt. Ich kralle mich noch mehr in die Lehne. Sein heißer Atem stößt gegen meine Lippen. Ich erinnere mich an den Kuss gestern Abend und auf einmal ist dort eine Sehnsucht nach seinen Lippen, wie nie zuvor. Uns trennen nur wenige Zentimeter von einander. Ich müsste mich nur vorbeugen und...Eric erhebt sich und lässt mich aufstehen. Meine Beine zittern, aber diesesmal nicht von der Simulation. Er setzt sich wieder vor den Bildschirm. "Geh jetzt" sind seine einzigen Worte und ohne einen einzigen Laut, stürme ich hinaus.

Unique - das erste Buch der »Unique« Reihe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt