Kapitel 17

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"Du sollst WAS?!?" Cia starrt mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, auf der Sonne leben riesige Insekten die sprechen können. Ich zucke die Schultern und meine beiden Freunde sehen mich entgeistert an. "Es ist nur für ein paar Tage..." murmel ich und blicke auf meine Hände. Durch die Simulationen sind die Nägel ganz abgekaut.
In den letzten Tagen habe ich zwei weitere meiner Ängste kennengelernt. Bei der einen lag ich gefesselt am Boden und jemand verpasste mir immer und immer wieder Stromschläge, die so furchtbar weh taten. Bei der zweiten Angst stand ich mitten in der Grube, um mich herum alle Initianten, welche sich über mich lustig gemacht und mich ausgelacht haben. Sogar Cia und Peter waren dabei, was mich am meisten verletzte. Ansonsten stand ich immer wieder vor meinen anderen Ängsten, wie aufgeschlitzt zu werden oder von Spinnen bedeckt zu sein, wobei ich hier sogar noch aufgelöster danach war wie beim letzten Mal.
Peter räuspert sich und sieht mich mit seinen dunklen Augen an. "Aber wieso sollte Jeanine wollen, dass ausgerechnet du dir das Serum ansiehst?" - "Weil ich vielleicht ihre Tochter bin?" Es missfält mir, mich als ihre Tochter zu bezeichnen, aber trotz allem ist es nun mal die unbequeme Wahrheit. Ich schließe die Augen und lehne mich seufzend nach hinten, wobei ich meinen Kopf im Schoß von Peter bette. "Wie dem auch sei, ich werde einfach zu den Ken fahren, dieses Serum anschauen und danach wieder zurückkommen. Alles andere ist uninteressant." Weder Cia noch Peter erwidern darauf etwas, letzterer streicht mir geistesabwesend über mein Haar. Inzwischen ist diese Geste für uns zur Gewohnheit geworden, genau wie alle anderen Berührungen zwischen uns. Es erscheint mir so, als würde ich meine beiden Leidensgefährten schon ewig kennen, so stark ist das Bündnis zwischen uns bereits geworden. Wir helfen uns gegenseitig durch die Simulationen zu kommen, denn jene hinterlassen an uns allen ihre Spuren. Molly schreit Nachts fast nur noch rum, der bullige Edward weint sich nachts manchmal in den Schlaf, Cia ist viel schreckhafter in ihrer Umgebung geworden und Peter - Ja, Peter versucht zwar sich nichts anmerken zu lassen, aber seine dunklen Augenringe und müden Augen kann selbst er nicht verstecken. Aber auch an mir ziehen die Simulationen nicht wortlos vorbei. Ich kann nachts kaum noch schlafen, ständig überkommen mich Albträume und bei jedem Geräusch reagiere ich beinah panisch. Die ganze Sache hat inzwischen soweit Ausmaß genommen, dass ich meine Nächte nur noch bei Peter verbringe. Sein beruhigender Duft nach Lavendel gibt mir das Gefühl von Sicherheit und wenn er seinen Arm um mich legt, kann ich endlich einmal traumlos schlafen. Natürlich bringt uns das in der Gerüchte Küche auf Platz Eins, aber wir beide wissen, dass wir nicht mehr und nicht weniger als enge Freunde sind. Ich kann wirklich froh sein, jemanden wie ihn zu haben. Und Cia selbstverständlich auch.
Während Peters Hand mein Haar zurück streicht, sieht Cia auf die Uhr. "Wir sollten langsam los" sagt sie leise und ich nicke nur stumm. Ich möchte nicht zurück zu Eric, möchte nicht zurück in den Raum, in welchem ich mich meinen schlimmsten Ängsten stellen muss. Ja ich habe Angst. Und zwar sehr große. Peter zieht seine Hand zurück und ich stehe auf. Augenblicklich fühle ich mich wieder angreifbar und verletzlich. Ich unterdrücke das Verlangen, wieder in seine Arme zu krabbeln und dort den Rest des Tages zu verbringen. Aber ich habe keine Wahl und das weiß ich. Seufzend machen wir drei uns also auf zu den Simulationsräumen.
Dort angekommen steht bereits Eric ungeduldig in der Tür und wartet genervt. Er zieht mich wortlos in den Raum und knallt die Tür zu. "Setz dich" blafft er mich an. Na super, der hat ja wieder großartige Laune. Brav gehorche ich und kurz darauf rammt mir jener auch schon die Spritze in den Hals. Mein Aufkeuchen ignoriert er dabei natürlich. Arschloch. Das letzte was ich sehe, sind die grellen Lichter über mir, dann verliere ich mich in der Bewusstlosigkeit.

(Simulation)

Die Hitze schlägt mir wie eine Wand entgegen und zwingt mich fast in die Knie. Der Rauch schlingt sich wie eine Schlange um meine Kehle, drückt mir die Luft ab. Ich greife mir an den Hals, aber natürlich ist dort nichts. Der scharfe Geruch von Verbrannten raubt mir den Atem, ich schnappe hysterisch nach Luft. Zwischen dem Husten und Keuchen sehe ich mich um. Ich befinde mich bei den Amite, jedoch steht alles in Flammen. Das Feuer frisst sich wie ein Monster durch das Dorf, schreie lassen mir das Blut in den Adern gefrieren. "Claire!!" eine verzerrte Stimme ruft meinen Namen und ich drehe mich zu dieser um. Eine Frau, vielleicht 30-35 Jahre, steht zwischen den Flammen, welche ein Haus gefangen halten. Sie hat blonde Haare und blaue Augen, sanfte Gesichtszüge und einen zerbrechlichen Körperbau. Irgendetwas in mir bewegt sich, tief in mir drinnen. Irgendwo kenne ich diese Frau, das weiß ich. Aber woher? Sie kommt mir so bekannt und vertraut vor, als würde ich sie schon lange kennen. "Claire!! Lauf!!" die Stimme der Frau hallt durch das Knistern des Feuers, sie klingt panisch und verängstigt. Ich möchte zu der Frau laufen, sie retten, sie daraus holen, aber meine Beine bewegen sich nicht. Etwas knackt über dem Haus, ein Balken droht herunter zu stürzen. "Claire!! Lauf!! LAUF!!" Der Balken reißt vom Rest des Hauses ab, er fällt hinunter. Dann begräbt er mit einem grässlichen Schrei die Frau unter sich. "NEEEIIIIN!!!" Ich falle auf die Knie, die Tränen brennen heißer als das Feuer auf meinen Wangen. Die Schluchzer schmerzen in meiner wunden Kehle, ich schreie und wimmere, schlinge die Arme um mich und winde mich. Irgendwas in mir ist zerbrochen, als die Frau starb. Irgendwas, tief in mir, was ich nicht zu ordnen kann. Ich kann mich nicht bewegen, bin nicht in der Lage die Simulation zu steuern. Ich will einfach nur hier weg, will hier raus. Aber es geht nicht. Das Feuer frisst sich in meine Haut, verbrennt sie aber der Schmerz ist nichts gegen das Stechen in meinem Herzen. Verdammt, was ist hier los?!? Ich hebe den Blick. Durch einen Tränenschleier sehe ich das Haus, welches nun nur noch Schutt und Asche ist. Auf einmal blitzt etwas vor meinem inneren Auge auf. Das Haus, heile und hell erleuchtet. Die Frau, lachend und ein Kind im Arm haltend. Ein Kind, mit blonden Haaren und eisblauen Augen.
(Simulation Ende)

Unique - das erste Buch der »Unique« Reihe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt