45 Tage vorher

8K 380 79
                                    

Er sah mir tief in die Augen.

"Vertrau mir."

Dann nahm er meine Hand und drückte sie. Ich atmete tief durch und sah auf die sinkende Sonne. Der Wind wehte mir eine Haaresträhne ins Gesicht. Er strich sie mir hinter mein Ohr.

"Wenn du springst, springe ich auch, weißt du noch?", fragte er.

Ich nickte. Dann drückte er seine Lippen auf meine. Wir sprangen, doch er ließ meine Hand los.

Ich schreckte hoch. Mein Körper war schweißgebadet, meine Atmung beschleunigt. Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht und sah auf die Uhr. 04:25. Stöhnend ließ ich mich zurück ins Bett fallen.
Die Alpträumen begannen als ich ihn zum ersten Mal sah. Und er mir wichtiger wurde als beabsichtig. Meine beste Freundin sagte, es hätte etwas mit unterbewussten Ängsten zu tun. Keine Ahnung. Aber ist mir auch egal.

Ich konnte zu meinem Bedauern nicht mehr einschlafen also stand ich auf und schlurfte ins Bad. Dort blieb ich vor dem mit blauen Steinen verzierten Spiegel stehen und betrachtete mich. Ich war nicht schön. Meine fahlen blauen Augen starrten in die Leere, meine Nase war krumm und aus meinen schwarzen Haaren wuchs der Ansatz raus.
Ich senkte meinen Blick und wusch unter der Dusche den Schweiß von mir. Das kalte Wasser, welches auf meinen Körper prasselte, beruhigte.

"Schon wieder Alpträume?", fragte mein Bruder Luke, als ich die Küche betrat.

Er hatte einen ziemlich langen Arbeitsweg, weshalb er so früh aufstehen musste.
Ich nickte.

"Fay, du solltest wahrscheinlich mal einen Therapeuten aufsuchen.", lachte er.

Ich verdrehte die Augen, setzte mich an den marmorierten Küchentresen und aß mein Müsli.
Ja, ich bin Fay. Fay McCain.
Unscheinbar.
Schmächtig.
Und nicht gerade ein Männerschwarm.
Ich wohne in Virginia, Nevada. Amerika. Das Land der Träume. Das ich nicht lache.

Ich packte meine Tasche, zog meine Doc Martens Stiefel an, rief ein 'tschau Luke' und zog die Haustür hinter mir zu. Dann stöpselte ich meine Kopfhörer in die Ohren und konzentrierte mich auf Kurt Cobains Texte. Ich war wie so oft in letzter Zeit viel zu früh an der Bushaltestelle, also angelte ich eine Zigarettenschachtel aus der Tasche und zündete mir eine an. Ich nahm einen tiefen Zug. Zigaretten wirkten auch sehr beruhigend auf mich.

Es war frisch, ich schlang meine Jacke enger um mich und sank in dem Sitz zusammen. Ich nahm meinen letzten Zug, als der Bus kam, drückte sie aus und stieg ein. Dann setzte ich mich in die hinterste Reihe und sah zu, wie die mickrigen Bäumchen an mir vorbeizogen.
An der Schule angekommen, wartete meine beste Freundin, Alaska, auf mich. Sie war das komplette Gegenteil von mir. Sie sah aus wie ein sonnenverwöhntes Beachgirl mit blonden Haaren, langen Beinen und braunen Augen. Als sie mich sah hüpfte sie auf mich zu und drückte mir mit ihren vollen, rot geschminkten Lippen einen Kuss auf die Wange. Dann klemmte sie sich ihre Zigarette zwischen die Lippen und kramte ihr Handy aus der Tasche.

"Mein Gott, ich muss dir so viel erzählen! Du kennst sicher noch James aus der Bar in der wir letztens waren oder?"

Sie wartete meine Antwort gar nicht ab sondern redete einfach weiter und fuchtelte mit ihrer Zigarette vor meiner Nase rum. Sie nennt sowas gestikulieren.

"Er hat mich angeschrieben! Und er ist perfekt für mich! Er hat alle Bücher von Sean Paul Satre gelesen und sein Lieblingskünstler ist van Gogh! Besser kann es gar nicht sein oder?"

Alaska strahlte mich mit riesengroßen Augen an.

"Schnapp ihn dir.", grinste ich kopfschüttelnd.

"Ach Fay, würdest du die Jungs an dich ranlassen, hättest du auch einen."

"Wie kommst du denn jetzt darauf?", fragte ich.

"Du hast mich mit diesem traurigen ich-sterbe-als-Jungfrau-Blick angeschaut."

"Hab ich gar nicht!"

"Oh, glaub mir."

Ich versetzte ihr lachend ein Stoß. Als ob ich sowas nötig hätte. Ich komme auch gut alleine zurecht.
Also nicht in diesem Sinn. Ach egal.

"Lass uns reingehen.", sagte ich und zupfte sie am Ärmel.

Sie nickte und schmiss ihre Zigarette auf den Boden.
Ich holte die Schulbücher aus meinem Spind während Alaska ohne Punkt und Komma redete, als er an mir vorbei lief.
Elijah Cassidy.
Der Schulschwarm.
Ich weiß, klischeehaft, wie in den Teeniefilmen, in denen jedes Mädchen auf den Quarterback der Footballmanschaft steht. Aber hier spielen wir kein Football, nicht mal Basketball oder Baseball.
Er spielt Gitarre und ist der Sänger einer Rockband. Zugegeben, einer nicht sehr bekannte, aber trotzdem ist das schon ziemlich anziehend. Mir sollte das eigentlich egal sein, er beachtet mich nicht. Sowie fast kein Mädchen hier. Anscheinend sind wir ihm nicht gut genug. Beinahe wie in Twilight, außer das er kein Vampir ist und sich nicht in unscheinbare Mädchen verliebt.

"Fay!", sagte Alaska und wedelte mir mit der Hand vor dem Gesicht rum. "Träumst du mal wieder von Elijah?"

"Natürlich nicht.", erwiderte ich augenverdrehend. "Was genau hat dir James eigentlich geschrieben?"

Und schon redete sie los, was sie und mich auf andere Gedanken brachte.
Als sie zu Ende erzählt hatte, kam der Lehrer ins Klassenzimmer. Alaska hüpfte von meinem Tisch und ging zu ihrem. Wir saßen nicht zusammen, auf meiner Schule durfte man sowas nicht aussuchen. Mein Sitznachbar war William Wright, kurz Will. Er wurde schnell zu meinem besten Freund aber das war auch kein Wunder, ich denke niemand kann ihn nicht mögen. Er war einfach viel zu nett.

"Hat sie schon wieder einen Neuen?", lachte er.

Ich nickte. "So viel ich weiß, sind ihr Surferboys nicht intellektuell genug und, so wie ich das verstanden habe, verzehrt sie sich jetzt nach Bücherwürmer die was von Kunst verstehen."

Will nickte anerkennend.

"Ich denke, wir können behaupten, sie macht Fortschritte."

Er lachte.

Mr. Dumper warf uns einen strengen Blick zu und wir schlugen unsere Bücher auf. Er war mit Abstand der strengste Lehrer auf der Schule, jedoch der beste. Er erzählt die ganze Stunde und wir hören einfach nur zu. So verstehe ich das Thema besser, als wenn man Gruppenarbeit macht oder  sinnlose Arbeitsblätter ausfüllt.
Nach 4 Stunden hatten wir Pause, Will, Alaska und ich gingen in die Mensa und holten unser Essen, das sich aus undefinierbaren Matsch zusammensetzten und den ich einfach runterwürgte.

Liam, aus meiner Parallelklasse begrüßte und setzte sich zu uns.

Ich nickte ihm zu.

"Ich habe gehört das The Wanted am Freitag im Irish spielt."

The Wanted ist die Band von Elijah und das Irish unsere Stammbar.

"Dann wisst ihr, wer am Freitag nicht dort ist.", sagte ich.

"Du wirst die erste sein die dort ist, gibs zu, du freust dich innerlich.", lachte Alaska.

Ich schaute sie genervt an. "Sicher nicht."

Alaska warf lachend ihr Haar hinter die Schulter und sah mich wissend an.

Ich warf grinsend eine Tomate nach ihr. Doch ich traf nicht sie, sondern Elijah, der gerade hinter ihr vorbei gelaufen war. Er drehte sich um und fixierte mich.

"Sorry?", sagte ich.

Ich versank in seinen Augen und wunderte mich, überhaupt ein Wort rausgebracht zu haben. Ein Grinsen umspielte seine Lippen, er kniff leicht seinen Augen zusammen.

"Ich hoffe, ich sehe dich am Freitag, hab gehört das ist deine Stammbar."

Er warf mir die Tomate zu, die er anscheinend aufgefangen hatte und die ich wiederum perplex auffing. Anscheinend war ich ihm doch aufgefallen, ohne das ich es bemerkt hatte.
______________________

PlatinblondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt