22 Tage vorher

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Als mich Elijah weckte, war es noch dunkel.

"Komm mit.", lächelte er, ich zog mir hastig eine Jacke von ihm über und folgte ihm.

Er führte mich nach draußen und setzte sich auf die taubenetzte Wiese. Dichte Nebelschwaden verhüllten die Bergspitzen, jedoch löste er sich bald auf und verstreute in der Luft.

"Wann hast du das letzte mal einen Sonnenaufgang gesehen?", fragte er und nahm meine Hand.

"Ich erinnere mich nicht.", antwortete ich.

Wir saßen schweigend da und warteten darauf, dass die Sonne zum Vorschein kam und der Mond verblasste. Sanft strich er mir die Haare über die Schultern und bei seiner Berührung bekam ich eine Gänsehaut und musste an letzte Nacht denken, in der er in mir ein noch unbekanntes Verlangen geweckt hatte.

"Der Sonnenaufgang.", murmelte ich, als er nicht aufhören wollte mich anzuschauen, und zeigte auf die flammende Sonne und den rosafarbenen Wolkenfetzen, die den Himmel säumten.

"Kein Sonnenaufgang wird je deine Schönheit übertreffen und lieber dich für immer ansehen als die  schönsten Auf- und Untergänge zu Gesicht zubekommen.", sagte er leise und wandte lächelnd seinen Blick von mir ab.

Ich errötete, legte meine Hand in seinen Nacken und küsste ihn. Seine Lippen waren weich und vollkommen und ich wünschte die Zeit würde anhalten sodass ich in dem Moment verweilen könnte. Nachdem sich unsere Lippen wiederwilligen trennten, legte er einen Arm um meine Schulter und zog mich näher zu sich. Es vergingen Stunden, Tage, Wochen, ich konnte es nicht sagen.

"Denkst du, früher war das Leben besser?", fragte ich nach einer Weile nachdenklich.

"Früher? Nein. Damals hatten die Menschen kein Antibiotikum oder eine Krankenversicherung. Sie hatten nicht einmal einen Schutz vor sexuell übertragbare Krankheiten."

Ich errötete, was natürlich albern war. Schließlich war ich kein kleines Mädchen mehr und in Elijahs Anwesenheit sollte mir so etwas nicht unangenehm vorkommen.

"Ich meine von der Lebensart her. Damals haben sich die Menschen noch keine Sorgen gemacht, wie man Abgase reduziert, Atomkraftwerke abschafft oder den Regenwald mit seinen vom aussterben bedrohten Tieren rettet. Natürlich sind sie mit dreißig Jahren schon gestorben, wenn nicht sogar früher, aber vielleicht war es gut so, denn möglicherweise sollte ein Mensch nicht zu lange leben. Er könnte mehr Schaden anrichten als den Planeten retten."

"Meinst du? Dafür haben sich die Erwachsenen Sorgen um ihre finanzielle Lage gemacht, wann ihre Kinder bei der Arbeit helfen konnten, ob bald Krieg sein werde. Ich denke in jedem Zeitalter der Menschheit machen sie sich um etwas Gedanken und es wird niemals ein völlig unbeschwertes und sorgenfreies Leben geben."

Ich nickte und pflückte eine Blume aus der Wiese. Sie war blau, wie Elijahs Augen.
Die Sonne stieg höher und langsam verwoben sich die rosa Wolken, mit den weißen, bis später keine einzige mehr am Himmel zu sehen war.
Elijah ging in die Hütte, bereitete ein Frühstück vor, welches wir dann draußen auf der Bank im Schutz der Hütte vor der gleißenden Hitze  aßen.

"Es ist schön hier. Ich wünschte wir müssten nicht mehr zurück."

"Doch leider müssen wir das. Wir können nicht ewig dem Alltag entfliehen."
Er schmunzelte als er meinen wiederwilligen Gesichtsausdruck bemerkte, strich mir meine Haaren hinter das Ohr und hob mein Kinn an.
"Noch müssen wir nicht zurück."

Elijah steckte sich eine Zigarette zwischen den Mundwinkel und bot mir eine an, die ich dankend ablehnte. Verwundert zog er eine Augenbraue nach oben.

"Brav geworden?"

Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte kein Verlangen mehr zu rauchen, es befriedigte mich in keinster Weise.

"Gut. Das ist sehr gut.", lächelt er.

Wir sagten eine Weile nichts und ich bemerkte eine nervöse Anspannung, die uns plötzlich umgab. Besorgt blickte ich ihn an, er starrte in die Ferne und drehte unaufhörlich seinen Ring am Finger  in verschiedene Richtungen.
Endlich unterbrach er das langsam unerträglich werdende Schweigen.

"Es gibt zwei Gründe warum ich dich hierher geführt hab.", begann er langsam und Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit.

Mich überkam plötzlich ein mulmiges Gefühl, so hatte ich ihn selten erlebt, und wenn dann hatte es nichts gutes zu bedeuten.

"Zum einen, weil ich wie schon erwähnt, die Nacht, die wir am besten, falls irgendwie möglich vergessen sollten und die ich immer noch zutiefst bereue, gut zu machen, auch wenn ich mir im Klaren bin, dass ich es mit einem Ausflug in die Berge und einem schönen Ausblick nicht ungeschehen machen kann, so sehr ich es mir auch wünschte. Zum anderen möchte ich dir etwas mitteilen, das unsere gemeinsame Zukunft gefährden könnte und ich bin der Meinung du hast das Recht es als erste zu erfahren."
Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und ließ seinen Blick auf mir ruhen, um jede Reaktion erfassen zu können.

Ich konnte mir nicht ausmalen, was er meinte und wartete unruhig bis er weitersprach. Er zögerte, war sich unsicher ob es nicht doch ein Fehler wäre, es mir zu sagen aber ihm war bewusst das es jetzt kein Zurück mehr gab.

"Lieber würde ich den Tag mit dir noch auskosten, bevor es vielleicht unserer Beziehung schadet.", setzte er an und fuhr sich nervös durch die Haare.

"Sag es, Elijah."

Wehmut überkam sein Gesicht und er verschränkte seine Hand mit der meinen.

"Ich habe mich auf einer Musikhochschule beworben und wurde angenommen."

Mir fehlten die Worte, doch dann begann ich zu lachen.
"Das ist doch super! Ich freue mich für dich, du hast es wirklich verdient."

"Die Schule ist in Kalifornien.", presste er heraus und studierte seine Schuhe.

Mein Lächeln erstarb und mir blieb die Freude im Hals stecken. Schmerz durchfuhr meinen Körper und ich zuckte unkontrolliert zusammen, als hätte er mich geschlagen. In irgendeiner Weise hatten seine Worte das ja auch.

"Wow.", brachte ich hervor, meine Stimme brach und auch ich senkte meinen Kopf. "Das ist ziemlich weit weg."

Er nickte bekümmert.

"Wenn du es möchtest dann werde ich absagen. In Wahrheit würde ich dich auch lieber in meiner Nähe wissen und ich könnte mir einen Studienplatz in der Nähe suchen."

"Wie bitte? Gott, nein Elijah. Ich möchte nicht zwischen dir und deinem Traum stehen, du wurdest geboren um Musik zu machen. Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich ihn jetzt zerplatzen lassen würde."

Sein Gesichtsausdruck wechselte von Kummer, zu Erleichterung und dann schlug er wieder auf Kummer um.

"Du bist das einzige, das ich will, brauche. Ich werde keine Musik machen können, wenn du tausende von Meilen entfernt wärest und ich dich nicht zu Gesicht bekäme."

Ich lächelte matt und strich ihm über die Wange. Am liebsten würde ich ihm sagen, er solle nicht gehen und bei mir bleiben, bis ans Ende unserer Tage, doch das einzige was ich zustande brachte war, das wir einen Weg finden würden, wie wir es immer getan haben. Er sah zu mir auf und nahm mein Gesicht in seine weichen Hände.

"Ich liebe dich, Fay. Und das werde ich immer tun, bis an das bittere Ende meines Seins und ich werde dich nicht vergessen. Ich liebe dich."

Und mit den Worten senkte er seinen Kopf, bis sich unsere Lippen berührten und ich schlang meine Arme um seinen Nacken, als wäre er das einzige das mich noch zusammen hält. Unser Schmerz wurde eins, unser Trauer schien über uns einzubrechenund eine einzelne Träne rollte über meine Wange, tropfte auf seine Hand und vergebens hoffte ich er hätte sie nicht bemerkt.
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PlatinblondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt