Prolog- 1 ½ Jahre zuvor

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„Miss Granger, bitte" Eine junge Frau mit einem sympathischen Gesicht öffnete die Tür zu dem kleinen Empfangszimmer und deutete mir mit ihrer Hand den Weg. „Mr. Hardin erwartet Sie in Raum Vier." Dankbar lächelte ich sie an und erhob mich.

Nervös fuhr ich mir durch meine schulterlangen Haare und trat mit wackligen Beinen in das Zimmer.

Große Fensterfronten begrüßten mich. Weiße Wände und Möbel verstärkten den Eindruck der Helle und die liebevoll platzierte Dekoration ließ den sonst etwas sterilen Standesamtraum einladend wirken, doch das Atemraubendste war der Ausblick auf die Londoner Altstadt.

Wie durch eine unsichtbare Kraft angezogen, bewegte ich mich auf die Fenster zu und presste unbedacht meinen Kopf gegen das Glas. Ich wünschte mir augenblicklich die klare Winterluft einatmen zu können, mir die noch schwache Februarsonne ins Gesicht scheinen zu lassen und alles zu vergessen.

Doch das ging nicht.

„Wussten Sie, Miss Granger, dass Greenwich in vergangenen Tagen das Zentrum der britischen Marine war?"

Erschrocken fuhr ich herum. Neben mir stand ein älterer Herr. Sein Haar war fast so weiß, wie der Fensterrahmen vor ihm.

Peinlich berührt wischte ich mit meinem Ärmel über die Abdrücke an der Scheibe und räusperte mich, dann antwortete ich: „Nein, Mr. Hardin, dass wusste ich nicht." Ich lächelte ihn an und setzte mich auf einen der zwei weißen Ledersessel.

„Dann merken Sie es sich und glänzen Sie mit dieser Information", erwiderte er schmunzelnd und schob mir ein Glas Wasser zu.

„Das werde ich bestimmt."

Mr. Hardin musterte mich einen Augenblick, dann breitete er seine Unterlagen aus und ich erkannte einen, von mir ausgefüllten, Zettel. Unsicher rutschte ich auf meinem Sitz hin und her.

„Sie haben angegeben, dass Sie Ihren jetzigen Nachnamen Granger in Linton ändern möchten. Erzählen Sie mir doch bitte warum", kam er ohne Umschweife zu dem eigentlichen Grund meines Termins.

Nervös knetete ich meine Hände, atmete tief durch und antwortete: „ Meine Eltern haben sich, nun ja, sie haben sich getrennt und nun möchte ich gerne den Mädchennamen meiner Mutter annehmen. Wäre das wohl möglich?"

Ich sah an ihm vorbei und war überrascht, dass mir diese Notlüge so leicht über die Lippen ging.

Mr. Hardin schürzte kurz die Lippen und schien einen Moment zu überlegen, dann lächelte er mich wieder freundlich an und sagte: „Es tut mir Leid, dass sich Ihre Eltern scheiden ließen. Es sollte kein Problem darstellen, Ihren Nachnamen zu ändern, Sie wären schließlich nicht die Erste die mit der Trennung ihrer Eltern abschließen möchte, nicht wahr?", ergänzte er und zwinkerte mir vertraulich zu.

Ich nickte. Er hatte Recht, ich wollte abließen, indirekt wollte ich sogar mit der Trennung meiner Eltern abschließen. Der Unterschied bestand bloß darin, dass ich mich von meinen Eltern getrennt hatte und sie sich nicht voneinander. Ich schluckte und fügte hinzu: „Und wenn wir schon einmal dabei sind, würde ich gerne meinen Zweitnamen als Erstnamen eintragen lassen. Wissen Sie, es gibt so viele Probleme bei der Schreibweise meines Namens und oft wird er nicht richtig verstanden. Die letzten Wochen haben aber gezeigt, dass diese Probleme bei meinem Zweitnamen Jean nicht auftraten."

„Sie möchten also nicht mehr Hermine Granger genannt werden, sondern Jean Linton?", hakte Hr. Hardin nach.

„Genau", bestätigte ich und biss mir nervös auf die Lippe. Ich wusste, dass es sich merkwürdig anhörte, den Vor- und Nachnamen auf einen Schlag zu ändern und dieser Ansicht war der Standesbeamte leider auch.

„Entschuldigen Sie, Miss Granger, aber finden Sie es nicht etwas suspekt, dass Sie Ihren kompletten Namen ändern wollen? Ich hoffe doch sehr, dass so eine nette junge Frau wie Sie Nichts vertuschen muss!"

„Natürlich nicht!", empörte ich mich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Ich hätte mir denken können, dass es Komplikationen gab. Doch ich war nicht darauf vorbereiten.

Also tat ich das einzige, was mir jetzt noch blieb. Die Flucht nach vorne.

Ich zog meine Schultern nach hinten und richtete mich auf. „Ich verstehe vollkommen, dass Sie sich absichern müssen, aber ich möchte doch keinen fremden Namen annehmen, sondern lediglich den Mädchennamen meiner Mutter und meinen Zweitnamen, der offiziell in meiner Geburtsurkunde eingetragen ist." Ich griff in meine Tasche und zog eine Klarsichthülle heraus. Ich schob Sie zu ihm rüber und meinte: „Sehen Sie, dort ist meine Geburtsurkunde und die meiner Mutter. Sie können es gerne überprüfen."

Ohne eine Regung zu zeigen griff Mr. Hardin in die Hülle und beförderte die beiden Papiere ans Tageslicht, danach betrachtete er sie eingehend und schob sie schließlich mit einem tiefen Seufzer in die Hülle zurück.

Ich taxierte ihn währenddessen und verfolgte seine Bewegungen. Er griff anschließend unter die hölzerne Schreibtischplatte und zog ein Formular hervor.

„Verzeihen Sie mir, aber ich muss jeden Verdacht des Misstrauens aus der Welt schaffen, aber nun bitte ich Sie, hier alles genauso aufzuschreiben, wie Sie es eben geschildert hatte und dann wird Ihr Auftrag bearbeitet."

Tausend Steine fielen von meinem Herzen und ich atmete erleichtert aus. Ich konnte ein zufriedenes Grinsen nicht zurückhalten, als ich die Lücken ausfüllte.

Die Formalitäten waren schnell erledigt und ich fühlte mich so unbeschwert wie schon lange nicht mehr.

Ich würde die Vergangenheit auf sich beruhen lassen und endlich ein neues Leben anfangen.

Ich war wirklich stolz auf mich, denn seit langem hatte ich mal wieder einen Plan.

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