Antonios Geständnis

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Seufzend legte ich meine Tasche zur Seite und öffnete die Tür. Sollte es Draco sein, so schwor ich mir, würde ich kein Wort mit ihm wechseln. Doch überraschenderweise erschien Antonios schwarzer Schopf in der Tür.
„Antonio", rief ich und bat ihn hinein. „Was machst du denn hier?"
Verlegen lächelte er und steuerte auf mein Zimmer zu. „Ich muss mit dir reden."
„Was ist passiert?" Alarmiert blieb ich stehen und sah ihn besorgt an.
„Nichts, mach dir bitte keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung, für dich sogar in bester Ordnung." Sein Gesicht verdunkelte sich, noch während er sprach und mir war klar, dass irgendetwas im Busch war.
„Und für dich nicht?", fragte ich vorsichtig.

Er stöhnte voller Pein auf und schüttelte den Kopf.

Unbeholfen deutete ich auf mein Bett, auf das er sich ohne zu zögern fallen ließ. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn und starrte stumm auf meine Hände. Ich wusste zwar nun, dass nichts Gravierendes passiert war, und trotzdem schlug mir das Herz bis zum Hals, als Antonio mit einer feierlichen Geste meine Hand ergriff und sie in seine legte.
Er wandte mir sein Gesicht zu. In seinen verzweifelten Augen konnte ich sehen, wie er einen inneren Kampf ausfechtete.
Schließlich sah er mich mit großer Eindringlichkeit an und begann zu sprechen: „Bevor ich dir erzähle, weswegen ich gekommen bin, muss ich dich etwas fragen. Habe ich denn gar keine Aussicht auf Erfolg? Besteht der geringste Funken Hoffnung, dass du in mir mehr siehst, als einen einfachen Freund?"
Bestürzt sah ich ihn an, aber ich konnte nicht an seinen Worten zweifeln.
Seine braunen Augen sahen mich verletzlich und voller Demut an und sein Gesicht wurde von einer eisernen Ernsthaftigkeit geprägt.
Ich schluckte und rang nach Worten. Doch Antonio schien von seinem Mut beflügelt und fuhr fort: „Ich erwarte nicht, dass deine Gefühle genauso stark sind wie meine, aber sollte die Chance bestehen, und sei sie noch so klein, dass du ebenfalls Gefühle für mich entwickeln könntest, werde ich nicht aufhören zu hoffen."
„Antonio ... ich ...", ich brach ab und konnte nur ungläubig meinen Kopf schütteln.
Meine Hand entglitt seiner und ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen, da ich dort auf all die Hoffnung treffen würde, die Antonio zum Kommen und Sprechen veranlasste.
Ich sammelte mich kurz und kam zu dem Entschluss, dass, wenn ich um den heißen Brei redete, der arme Antonio möglicherweise Zuversicht schöpfte.

Entschieden schlug ich meine Beine übereinander und straffte meine Schultern.
„Antonio, ich habe in dir nie mehr, als einen engen Freund gesehen und so Leid es mir auch tut, aber das wird sich nicht ändern." Ich hoffte, dass ihn diese Worte nicht zu sehr verletzten. Ich wagte einen vorsichtigen Seitenblick zu Antonio und sah, wie er sein Gesicht abwandte und tief durchatmete.
Mit einem niedergeschlagenen Lächeln drehte er sich mir wieder zu.
„Es war töricht von mir zu fragen, denn eigentlich wusste ich die Antwort schon." Die traurige Gewissheit, die sich nun in seinem Blick wiederspiegelte, brach mir das Herz und ich war fast geneigt, meine Aussage zurückzunehmen, doch glücklicherweise konnte ich mich beherrschen.
Ich vermied es, Antonio tröstend eine Hand auf das Knie zu legen oder ihn zu umarmen. Stattdessen stand ich auf und ging ans Fenster.
„Es ist nicht so, dass ich dich nicht attraktiv finde, aber ich ... du warst all die Jahre mein Vertrauter, mein großer Bruder und ich schätze dich zu sehr, um dich nun anzulügen."
„Bitte Jean, verlier kein Wort mehr über diese Sache, sondern sag mir nur, ob ich auch weiterhin dein großer Bruder sein darf?"
Seine Worte rührten mich und ich blinzelte schnell die aufkommenden Tränen weg.
„Natürlich darfst du das!", stammelte ich mit belegter Stimme und ehe ich mich versah, warf ich alle meine Vorsätze über Board und schlang meine Hände um seinen Hals.
„Du bist so ein wundervoller Mensch, Jean", murmelte er gegen meinen Hals. „so wundervoll."

„Jean, wer war denn eben an der Tür? Oh, Antonio, du bist es." Überrascht stützte Anna sich gegen den Türrahmen und beobachtete die groteske Szenerie. Ich hatte sie nicht kommen hören und erhielt einen ordentlichen Schrecken.
Ich räusperte mich und löste reserviert meine Hände von seinem Hals und kletterte von seinem Schoß.
Der arme Antonio war puterrot angelaufen, während mir das Blut aus dem Gesicht wich.

„Störe ich?" Belustigt sah Anna uns an. „Nein", antwortete ich. „Doch", sagte Antonio. Entgeistert blickte ich ihn an und hörte Anna kichern.
„Ich bin gekommen, weil ich Jean etwas erzählen muss", er stoppte kurz und streifte Anna mit einem entschuldigenden Blick. „Alleine."
„Ich verstehe, ich verstehe", rief sie und trat den Rückzug an, jedoch nicht, ohne mir ihre ausgestreckten Daumen zu präsentieren.
Ich ignorierte sie und sah Antonio irritiert an.
Ohne ein weiteres Wort über sein eben gemachtes Liebesgeständnis zu verlieren, begann er zu sprechen: „Es geht um deinen blonden Freund und heute möchte, nein, heute muss mein Herz wissen, was du wirklich für ihn empfindest."

Mein Mund öffnete sich, doch kein Laut kam heraus. Ich schloss ihn wieder und dachte, halb belustigt und halb verärgert, dass ich selten so häufig sprachlos war, wie in den letzten Tagen.
„Was für eine Antwort willst du hören?", fragte ich schließlich, ungehaltener als beabsichtigt.
Antonio verzog jedoch keine Miene und wiederholte seine Aussage. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und antwortete instinktiv: „Nichts."
„Nichts?", echote er und sah mich ungläubig an.
„Ja", erwiderte ich kühl.
Antonio schüttelte den Kopf und schlug laut mit seiner Faust auf sein Bein. „Schön", rief er schneidend. „Dann werde ich dir sagen, was ich denke, dass du empfindest." Er machte eine kleine Pause, die so kurz war, dass ich keine Chance hatte, einzuhaken. „Die Gefühle, die dir mir gegenüber fehlen, hegst du für deinen Freund. Besonders klar ist mir das vor wenigen Tagen geworden, als du ... als du zu mir ins Restaurant kamst. Und Gewissheit hatte ich, als auch er kam." Er sah mich bedeutungsvoll an und lächelte grimmig. Ich konnte nur meinen Kopf schütteln und seinen weiteren Ausführungen lauschen. „Es fiel mir schwer mir einzugestehen, dass du Gefühle für einen anderen Mann hast, Jean, aber nun lüg mich bitte nicht an, war die Beweislast so erdrückend, dass selbst ich es glauben musste."

Langsam gewann ich meine Fassung wieder und war in der Lage zu widersprechen: „In aller Freundschaft, Antonio, das geht zu weit. Wer bin ich denn, dass ich mir erklären lassen muss, für wen ich welche Gefühle hege!"
„Glaubst du, es geht mir darum, dir Gefühle für einen anderen Mann einzureden?", brauste Antonio auf. „Jean, ich bitte dich, aber überleg doch, wie die Lage ist. Du triffst einen alten Bekannten, vielleicht hattest du schon früher Gefühle für ihn ..."
„Halt", rief ich mit erhobener Stimme und spürte, wie mein Herz in meiner Brust laut schlug. „Falls deine Theorie auf dem Fakt beruht, dass ich schon immer in Draco verliebt war, dann muss ich dich enttäuschen, denn sei gewiss, das war ich nicht. Auf keinen Fall!"
„Schön, jedenfalls kennt ihr euch von früher und egal, unter welchen Umständen ihr euch getrennt habt, zwischen euch hat sich einiges verändert. Du hast mir selbst gesagt, dass du ihm vertraust. Und nun kommt deine Freundin Dany, der du ebenfalls vertraut hast, und sie sagt dir, sie würde nichts für deinen Freund empfinden. Falls du dich daran erinnerst, war ich auch da anwesend und kann dir bestätigen, wie sehr dich diese Nachricht aufmunterte und jetzt sag mir nicht, dass es deswegen war, weil du Daniela schon immer misstrauisch gegenüber standst und deinen Freund davor bewahren wolltest, eine schlechte Partie zu machen und – ah, halt Jean, lass mich ausreden und außerdem, hat mir dein letzter Besuch gezeigt, dass er dir schon so wichtig geworden ist, dass du weinend in meinen Armen zusammenbrichst, weil er dich hinterging und mit Daniela die Art Beziehung zu führen schien, die du gerne mit ihm hättest. Du hattest Liebeskummer, meine liebste Jean, und warst außerdem eine eifersüchtige Furie. Du hast keinen Versuch unprobiert gelassen, ihn ebenfalls eifersüchtig zu machen." Er beendete seinen Bericht, ging zum Fenster und gab mir Zeit, mich zu sammelnd. Doch alle Zeit der Welt hätte in diesem Moment nicht gereicht.
Seine Auslegung war so beweiskräftig, das selbst ich, die doch die Wahrheit kannte, nicht in der Lage war, alles abzustreiten.

Antonio wartete jedoch nicht auf eine Rechtfertigung und fuhr fort: „Das alles wäre natürlich nicht relevant, wäre da nicht etwas, wo du in deiner Lage das Recht darauf hast, es zu erfahren. Gib mir noch eine Minute, Jean, und ich bin weg. Die Situation, die du vor einigen Tagen in meinem Restaurant gesehen hast, war anscheinend eine eingefädelte Situation deiner Freundin Dany, denn kurz nachdem sie Anna und dich sah, küsste sie Draco. Du ranntest weg, Anna folgte und ihr konntet nicht sehen, wie dein blonder Freund sich von ihr losgerissen hat und ebenfalls wütend das Lokal verließ."

Entweder Antonio wusste nicht, was seine Worte bei mir auslösten, oder er wollte mich quälen.
„Antonio", sagte ich mit rauer Stimme. „Wieso erzählst du mir das?"
Er atmete tief durch. „Weil ich möchte, dass du glücklich wirst."

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