Auf dem Pfad der Wahrheit

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Sekunden vergingen und die Welt schien für diese Zeit stehen zu bleiben. Die Stimmen, die durch das dichte Blattwerk zu mir durchdrangen, tönten höhnisch in meinen Ohren nach. Meine Wahrnehmung verzerrte sie zu einem schaurigen Durcheinander und ich hielt mich instinktiv an einem Ast fest, sonst hätte ich vor lauter Schock den Halt unter meinen Füßen verloren.

Ich brauchte keine Sekunde um die restlichen Stimmen Gesichtern in meinem Kopf zuzuordnen.

Daniela Brown und Lavender Brown.

Wie vor den Kopf gestoßen starrte ich fassungslos zu den drei Schatten, die sich von dem Grün der Bäume und Büsche abhoben. Die Gedanken in meinem Gehirn ratterten und ich spürte, wie es irgendwo in meinem Hinterkopf klack machte, als ob zwei passende Weichen einrasteten.
Daniela und Lavender. Beide mit dem Nachnamen Brown. Das konnte alles, aber kein Zufall sein. Doch wie war das möglich? Lavender hatte keine Schwester und von Harry wusste ich, dass sie auch sonst keine weiblichen Familienmitglieder hatte, die den gleichen Namen trugen.
Ich griff unbewusst an meine Stirn, schloss die Augen und ließ verschiedene Bilder der beiden vor meinem Inneren ablaufen, bis Daniela und Lavender plötzlich zu einem Gesicht verschmolzen.

Sie hatten gewiss Ähnlichkeit. Die langen blonden Locken und die großen Augen, aber sie wiesen genauso viele Unterschiede auf. Daniela war ein deutliches Stück größer und hatte ein markanteres Gesicht als ihre Namensvetterin.

Ich schüttelte abrupt den Kopf, schob die Gedanken zur Seite und beugte mich noch weiter zwischen das Geäst, um den leisen Worten lauschen zu können.
Wie paralysiert beobachtete ich sie, hielt den Atem an, aus Angst, auch nur ein einziges Wort verpassen zu können. Ich musste mehr wissen, denn ich spürte, dass ich nur noch wenige Meter vor dem Ziel war. Die sich über Monate hingezogenen Schikanen, die Intrigen, die Lösung zu all dem lag vor mir. Ich musste nur die Hand danach ausstrecken und das Geheimnis wäre gelüftet. Vor lauter Aufregung zitterten meine Beine und ich musste meinen Griff um die Äste intensivieren, um nicht zu fallen.

„Ist alles planmäßig verlaufen?", hörte ich Lavender fragen und Parkinson kurzdarauf bejahen. Mein Herz zog sich bei dem Klang ihrer Stimme zusammen. Das letzte Mal, dass ich sie gehört hatte, war an Harrys Geburtstag vor fast einem halben Jahr. Meine Stirn kräuselte sich und meine Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen.

„Und wie war ihre Reaktion", wollte Daniela höhnisch wissen. Zorn braute sich in meiner Brust zusammen und ich ballte meine Hände zu Fausten. Ich ahnte so langsam, worüber genau sie sich unterhielten.
Parkinson lachte auf und antwortete schadenfroh: „Das arme Ding hat doch einfach ihre Brötchen fallen lassen und ist aus der Wohnung geflohen."

Lavender und Daniela lachten einvernehmlich. Ein Zischen entwich meinem Mund. Meine Finger verkrampften sich und ich fühlte Tränen der Wut in mir aufsteigen. Stumm liefen sie meine Wangen hinunter, während mein Herz schwer in meiner Brust schlug. Ich spürte das unbändige Verlangen, hinter dem Busch hervorzustürmen und die drei zur Rede zu stellen, doch meine Füße wollten mir nicht gehorchen und gleichzeitig wusste ich, dass, wenn ich mich kenntlich zeigen würde, ich mir jede Chance auf Informationen verbaute.
Es tat mir in der Seele weh all diesen Inszenierungen zu lauschen, doch ich war verdammt stillzusitzen.

„Ich wusste doch, dass es ihr das Frühstück versüßen würde", sagte Lavender. „Hoffentlich hat sie eingesehen, dass er eine Nummer zu groß für sie ist und etwas viel besseres verdient hat."
„Wie mich", warf Parkinson fröhlich zwitschernd dazwischen.
„Wie dich", stimmte Daniela ihr zu. Ihr Gesicht tauchte vor mir auf. Knappe zwei Jahre war sie meine Mitbewohnerin. Auf engstem Raum schliefen, aßen und lebten wir gemeinsam, verbrachten Abende und Nächte zusammen und all die Zeit war ich davon überzeugt, dass wir dies in einvernehmlicher Freundschaft taten. Ich schluckte als ich mir wieder bewusst wurde, dass alles eine Lüge war. Das nichts von dem echt sein konnte. Ihre ganze Freundschaft. Ihr Mitleid. Ihr Trost. Ihre Freude für mich. Eine einzige Lüge. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter hinunter.

„Und wie geht es nun weiter?", fragte Pansy und brachte mein Herz damit zu einem kurzen Stillstand.
„Wir sollten abwarten wie sich das mit ihr und deinem Draco entwickelt", sagte Daniela an Parkinson gewandt und brachte mein Herz zum Rasen. „Vielleicht haben wir Glück und sie hat endlich die Entschlossenheit Schluss zu machen, aber ehrlich gesagt, Mädels, wird sie wieder so naiv sein und ihn zurücknehmen. Ich sage euch, die ist blind vor Liebe, aber dass", sie ließ ein kurzes diabolisches Lachen ertönen, „werden wir ihr noch austreiben."
„Bis der letzte Funken Hoffnung erloschen ist", fügte Lavender grimmig hinzu. Ich vernahm das Geräusch leiser Fußschritte, dem ein langes Schweigen folgte.
Ich saß weiter auf dem Boden gekauert und wartete verzweifelt darauf, dass sie ihr Gespräch wieder aufnahmen, doch den Gefallen wollten sie mir nicht tun.

„Ich sollte wieder zurückgehen", gab Parkinson irgendwann zu bedenken und setzte hinterher: „Draco vermisst mich bestimmt schon."
Meine Muskeln spannten sich. Diese Unverfrorenheit sich als das Objekt Dracos Liebe auszugeben, ließ mich für eine Moment rot sehen und ich war schon im Begriff mich zu erheben, als das rationale Denken wieder die Oberhand übernahm und ich ließ mich sinken.

Ich hörte Verabschiedungsfloskeln und schließlich Schritte, die immer leiser wurden. Ich verharrte noch einige Minuten wartend in meiner hockenden Schockstarre, doch als ich mir sicher war, dass die drei verschwunden waren, sprang ich wie von der Tarantel gestochen auf und setzte meine Beine in Bewegung.
Mein Kopf war auf Automodus geschaltet und ich tat jeden Schritt ohne nachzudenken. Wie von selbst führten mich meine Füßen zum Bahnhof von Greenwich.

Da der Mittag gerade erst hereingebrochen war, tummelten sich die Pendler in den kleinen Gassen und stürmten an mir vorbei, aus Angst, ihren Zug zu verpassen.
Ich steuerte einen Fahrkartenautomaten an und druckte mir kurzerhand ein Zugticket aus. Mein Kopf war wie leer gefegt und die Begegnung der drei schien auf einmal so surreal. Als ob sie nur meinem Kopf entsprungen wäre. Doch ich wusste, sie war real.

Ich warf einen Blick auf mein Zugticket. In einer viertel Stunde würde mein Zug fahren.
Schnell kaufte ich mir noch einen Kaffee und ein belegtes Brötchen, denn auch wenn mir das ebengehörte schwer im Magen lag, hatte ich noch nicht gefrühstückt und mein Bauch begann langsam zu grummeln.
Ich verstaute alles in meiner Tasche und machte mich auf den Weg zu meinem Gleis. Glücklicherweise stand der Zug schon wartend auf den Schienen.

Ich öffnete die Tür und trat in den kleinen Gang ein. Der Zug war noch verhältnismäßig leer und ich fand schnell einen Platz. Ich verstaute meine Tasche zu meinen Füßen, sackte zurück und ließ meinen Blick an der trostlosen Backsteinmauer des Bahnhofs entlangwandern.
Irgendwann begannen sich die Ziegel parallel zu meinen Blicken zu bewegen. Endlich fuhren wir.
Ich wusste nicht, wie ich die dreistündige Zugfahrt überstehen sollte, aber ich musste einfach mit Harry reden. Es fiel mir schwer, aber ich spürte, dass nur noch ein Detail, eine Erklärung für alles fehlte und ich hatte die Büchse der Pandora geöffnet.
Eine fiebrige Unruhe überfiel mich bei diesem Gedanken, aber gleichzeitig machte sich eine kalte Angst in meiner Brust breit. Wollte ich wirklich wissen, warum man mir so viel Böses antat? Wollte ich wissen, wieso mich jemand abgrundtief hasste?
Instinktiv schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper und schloss die Augen.

Das Bild von Draco und Parkinson erschien vor meinem Inneren und ein plötzlicher Würgereiz überfiel mich. Ich spürte heiße Tränen in meinen Augen brennen und wandte mein Gesicht von der übrigen Fahrgesellschaft ab.
Meine Schultern begannen zu Zittern und ich schluchzte leise auf. Sollte ich es richtig verstanden haben, war diese intimaussehende Umarmung nur inszeniert, aber ich konnte mir nicht sicher sein.
Draco musste freiwillig zugestimmt und es offensichtlich so sehr genossen haben, dass er dabei sogar einschlief.
Ich wollte nicht glauben, dass Draco sich so breitwillig anderen Frauen hingab, denn ich konnte nicht an seiner Liebe zweifeln, aber ich konnte ebenso wenig an meinen Augen zweifeln.


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