Von der Erinnerung eingeholt

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In den letzten Wochen verbrachte ich immer mehr Zeit mit Draco und merkwürdigerweise fing ich an, ihm Sympathien entgegenzubringen.
Sympathien, wie ich nie dachte, sie jemals für ihn zu verspüren. Aber nun saß Draco Malfoy, der Feind meines besten Freundes und der Junge, den ich mein ganzes Leben verachtet hatte, neben mir im Café und schlürfte genüsslich einen Tee und plauderte mit mir, als ob es das selbstverständlichste auf der Welt wäre. Und ich tat es ihm nach, denn es wurde selbstverständlich.
Für andere war es vielleicht nicht nachvollziehbar, aber in den Momenten, wo Draco Malfoy anfing zu reden, fühlte ich jedes Mal den Wandel seines Charakters.

„Und was hat er dann gesagt?", fragte Draco lachend und beugte sich interessiert vor.
„Dann sagte er, Mädel, wenn du dein Studium bestehen willst, fang an zu lernen. Ich meine, kannst du das glauben?" Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, nicht wirklich. Es geht einfach nicht in meinen Kopf rein, dass die fleißige Granger einmal zum Lernen aufgefordert wird." Draco schüttelte sich fast vor Lachen und wischte sich über die Augen.
„Aber das Beste weißt du ja noch gar nicht, dann meinte er noch, ich solle mir ein Beispiel an meiner Kommilitonin Cathrin nehmen. Und eins kannst du mir glauben, dass die Menschheit noch nie so einen faulen Menschen gesehen hat. Jedes Mal stelle ich mir die Frage, wie sie es bis in die Uni geschafft hat."
Draco grinste mich verschmitzt an und erwiderte. „Weißt du Granger, die gleiche Frage stelle ich mir bei dir auch."
„Bitte?" Überrascht richtete ich mich auf und sah ihn verwirrt an. „Wirfst du mir gerade vor faul zu sein?"
„Nicht im geringsten", antwortete Draco seelenruhig. „Ich frage mich nur, wie du es ohne Abschluss an eine Universität geschafft hast."
Unbewusst biss ich auf meiner Lippe herum und versuchte den Satz möglichst präzise zu formulieren. „Du muss wissen", begann ich langsam. „Dass man als Heldin gewisse Kontakte hat. Und das ich auch bereit war, sie einmal für meine Gunsten zu nutzen."
„Du hast dein Abschlusszeugnis gefälscht", folgerte Draco schlicht und sah mich fragend an.
Ich wog meinen Kopf nach links und rechts und fügte hinzu: „Gefälscht ist vielleicht nicht das richtige Wort. McGonagall hat sich dafür eingesetzt, dass ich einen Eignungstest für die Universität durchführen darf und dafür kein Zeugnis vorlegen brauche. Nun ja, diesen Test habe ich mit Bravur bestanden und nun hat McGonagall ihre Kontakte spielen lassen und mir hier einen Studienplatz verschafft."

„Aber in der Presse stand doch, du wärst untergetaucht und keiner wüsste wo du bist ...", verwirrt sah Draco mich an.
„Bis auf wenige ausgewählte Personen weiß auch keiner wo ich bin."
„Und nun zähle ich zu den ausgewählten Personen", antwortete er verschlagen und fügte hinzu. „Und ich könnte jetzt theoretisch zum Tagespropheten gehen und eine Menge Kohle verdienen."
„Theoretisch könntest du das."
„Mache ich aber nicht.
„Genau."
Wir sahen und einen Moment an, schauten aber sofort wieder weg. Draco unterbrach die Stille und sagte: „Darf ich dich etwas fragen?"
„Natürlich", erwiderte ich.
„Alles?"
„Meinetwegen auch das." Ich sah ihn neugierig an. Ich war vollkommen von der Neutralität unseres Gesprächs gefangen, dass mich die nächste Frage überrumpelte.
„Wieso dieses ganze Theater? Warum erschaffst du dir eine neue Identität, mit einem neuen Namen und absoluter Abgrenzung der Zauberwelt? Du hättest doch auch so studieren können. Dafür musstest du nicht komplett von der Bildfläche verschwinden."
„Lass doch endlich dieses leidige Thema", schnauzte ich ihn an.
„Aber, Granger, ..."
„Ich sagte, lass endlich dieses leidige Thema." Ich spürte ein Stechen in meiner Brust und schnappte hektisch nach Luft. Ich versuchte die Erinnerung aus meinen Gedanken zu halten, doch je mehr ich mich darauf konzentrierte, desto lebhafter wurden sie.
„Ich komme gleich wieder", japste ich und rannte in die Damen-Toilette. Hektisch suchte ich ein Fenster und riss es schließlich atemlos auf.

Ich streckte meinen Kopf durch die kleine Öffnung und atmete so tief wie möglich.
Durch die Nase einatmen.
Durch den Mund ausatmen.
Durch die Nase einatmen.
Und durch den Mund ausatmen.

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