Kapitel 36

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Einige Tage später hatte sich alles soweit beruhigt. Nellina war der Mittelpunkt von uns allen. Sie wurde von vorn bis hinten verhätschelt und ihr regelrecht alles von den Augen abgelesen. Hin und wieder dachte ich daran, ob das wohl alles so gut war. Immerhin war sie ein Baby. Zwar nicht wie jedes andere, doch trotz dessen ein Lebewesen. Ich wollte später kein Kind, welches ichbezogen und egoistisch wurde. Dennoch zeigte mir das Wesen in ihr wie wunderbar sie war und dass sie unsere Fürsorge keineswegs ausnutzte. Draußen waren wir bis zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht gewesen, wenn man den Garten des Hauses mal wegließ. 

Meine Mutter wollte schon mir ihr und dem Kinderwagen spazieren gehen, der extra besorgt wurde, aber ohne mich war da nichts. Erstens konnte ich sie nicht aus den Augen lassen, nicht mal für eine Stunde und außerdem gab es ja noch immer einen wichtigen Grund dafür eben nicht unser Leben normal wie andere Familien zu bestreiten. Deshalb hütete ich meine Tochter, wie meinen Augapfel und Edan ebenso. Da konnte auch meine Mutter nichts dagegen tun. Bald kam die Zeit, an dem wir Henrys Grundstück verlassen konnten, aber erst dann, wenn wir wussten, was wir mit Daniel taten und dieses Schwein endgültig von der Bildfläche verschwand.

Zunächst stand ich erst einmal an diesem Tage im Flur unserer Wohnung des alten Mannes. Die anderen saßen unten bei ihm in der Küche und unsere Tochter riss mal wieder die ganze komplette Aufmerksamkeit an sich. Unvermittelt musste ich schmunzeln. Wir hatten uns sogar durchgerungen ein Foto von uns dreien zu machen. Edan hielt mich im Arm. Ich das Baby. Wir beide schaute auf Nellina und sie zu uns hinauf. Ihre kleinen Hände streckten sich uns entgegen. Das Bild war perfekt. Wir schienen es zu sein. Eine Bilderbuchfamilie aus einem Werbespot. Fast. Nur, dass wir nicht menschlich waren. Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass wir auch noch in vielen Jahren genauso aussahen. Außer Nellina würde zu einer jungen Frau heranreifen, die wohl alle Blicke der Männer auf sich zog. 

Gerade, als ich eine große Haarspange aus der Kommode holte, fiel mein Blick in der Schublade auf ein kleines Geschenkpäckchen. Es war von Lukas und noch immer hatte ich es nicht geöffnet, da die letzten Wochen zu viel passierte. Hinzukommend war ich noch immer traurig darüber, dass mein einiger menschlicher Freund aus meinem Leben absichtlich verschwand. Dennoch holte ich es zögerlich heraus, wog es hin und her, um es zu betrachten. Wie oft hatte ich das schon getan... Doch dieses Mal zog ich an der Schleife. Ich konnte ihm nicht länger böse sein. Es war verständlich und besser für ihn, wenn er sein eigenes Leben ohne Vampire und Jäger führte. Ein Glückliches. Ich werde ihn wirklich vermissen. Immerhin war er einer der Wenigen, der mich wirklich mochte und ich stand in seiner Schuld, denn ohne seine Hilfe hätten mich die anderen wahrscheinlich nicht aus meiner Entführung befreit, oder es wäre für mich zu spät gewesen. 

Zögerlich hob ich den Deckel nach oben und erblicke zugleich in der hübschen Schachtel ein silbernes Armband. Daran hingen kleine detailgetreue Anhänger. Der Eiffelturm. Der Big Ben aus London. Eine kleine Golden Gate Bridge. Die Freiheitsstatue. Sogar ein Zwiebelturm war mit dabei. Denkmäler und wichtige Gebäude der ganzen Welt und ein Globus. Tränen traten in meine Augen, denn ich wusste ganz genau, warum er so etwas wählte. Es passte zu mir. Zu mir und meinem alten, aber auch neuem Leben. Es war mein sehnlichster Wunsch die Welt zu entdecken; aus diesem Kaff zu verschwinden, aber nun war alles anders. Ich lernte Edan kennen und wir waren Eltern, doch das hinderte mich nicht daran meine Träume irgendwann zu erfüllen. Nellina wird an diesem Ort nicht versauern. Außerdem hatten wir alle Zeit. Viel Zeit.

Mein Atem drang schwer aus meinem Brustkorb. Ich fühlte mich auf der Stelle beklemmt. Das lag daran, dass ich nichts mehr vergaß. Jeder noch so winzige Moment, als würde ich es in diesem Augenblick durchlaufen, bestand noch immer in meinem Kopf und dazu auch die Gefühle, die sich nicht veränderte. Das war wahrscheinlich Fluch und Segen eines Vampirdaseins zugleich. Dennoch wollte ich mir das Kettchen um mein Handgelenk binden, wobei ich prompt hinter mir Edan spürte, der mich binnen eines Wimpernschlages von hinten umarmte. Anbei küsste er meinen Hals und murmelte: »Du wirst davon jeden Ort sehen können. Das verspreche ich dir. Wir zusammen.« Das war süß von ihm und ich wusste, dass Edan es ernst meinte.

Someday III - Lost in youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt