36 - Trauer

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Wochenende.

Heute war ein Tag, aber nicht wie jeder andere. Heute war Mama's Geburtstag. Damit meine ich meine verstorbene Mutter.
Ich hatte mich entschlossen dieses Wochenende wieder zu meiner Familie zu fahren und zusammen würden wir für sie beten. Ihr Körper ruhte in Kosovo. Das war immer ihr Wunsch gewesen und den hatten wir ihr erfüllt, auch wenn es für uns schwer war, da wir nur im Sommer zu ihrem Grab konnten.

"Mirserdhe shpirt. (Herzlich Willkomen schatz)",sagte Mama und nahm mich in den Arm.
Man merkte die Trauer in unserer Familie. Jeder wusste was für ein Tag heute war und jeder dachte nur an SIE.
Wir aßen zusammen und dann entschlossen wir zusammen zu beten. Wir gingen ins Bad und erledigten die Gebetswaschung und zogen uns dann lange weite Kleidung an. Wir Frauen banden uns noch ein Kopftuch um und dann holten wir noch unsere Gebetsteppiche und stellten uns im Wohnzimmer hin.
Ich sprach das Gebet laut vor und die anderen summten mir nach. Ich kannte alles in und auswendig, was bei den anderen nicht der Fall war.
Am Ende hatte jeder sein Gebet erledigt und sprach in Gedanken noch etwas an Gott.

Mama hatte einen Kuchen gebacken. Sie wollte, dass Mama sich im Himmel freute, dass wir noch an sie dachten und an ihren Geburtstag. Ich konnte mich an ihren letzten Geburtstag sehr gut erinnern.

FLASHBACK

"Oj Mamiiii. Urime Ditlindja. (Mama. Alles Gute zum Geburtstag.)",sagte ich, die kleine Agnesa.
"Faleminderit zemra e mamit. (Danke Mama's Herz)",antwortete sie glücklich.
Armend betrat den Raum und gab Mama einen großen Strauß und Pralinen.
"Urime Mam. Edhe 100 tjera bashk me neve. (Alles Gute Mama. Und noch 100 weitere mit uns)",sagte er und umarmte sie ganz feste. Mama lächelte. "100 vjet jon shum. Ma pak. (100 Jahre sind zu viel. Bisschen weniger)", sagte sie und gab uns beiden einen Kuss auf die Schläfe.

Hätten wir bloß gewusst, dass es ihr letzter gemeinsamer Geburtstag mit uns war....

FLASHBACK ENDE.

Ich musste mich am gleichen Tag noch von meinen Eltern verabschieden. Die Prüfungen standen bald an und ich musste lernen. Meine Unisachen waren in Essen.
Mit vielen Tränen begleitete mich meine Familie zum Auto. Heute war ein leider schlimmerer Abschied als sonst. Sie hätten mich an dem Tag noch gebraucht, aber ich konnte einfach nicht bleiben. Vielleicht wollte ich auch nicht bleiben. Diese Stimmung machte mich kaputt. Sie riss mich in ein schwarzes tiefes Loch in welches ich nicht fallen wollte.

Zuhause angekommen war ich erstmal kaputt. Ich hatte zwar nichts getan aber mein Körper fühlte sich einfach nicht gut. Ich entschied mich bei der Dunkelheit spazieren zu gehen. Ich brauchte einen klaren Kopf zum lernen. Und allgemein wollte ich einfach nicht in Trauer versinken.
Ich nahm mein Handy, meine Kopfhörer und meine Hausschlüssel und lief raus. Ich kannte mich hier in Essen nicht aus also lief ich einfach planlos durch die Gegend. Die frische Luft tat mir gut. Meine Kopfschmerzen schienen langsam zu verschwinden und mein Körper bekam wieder Sauerstoff. Nur mein Herz schmerzte, aber ich wusste, dass es an Mama lag.

Ich sah von weitem einen Park und begab mich in die Richtung. Es war dunkel und nur einzelne Laternen leuchteten.
Ich hatte irgendwie keine Angst. Das Gefühl, dass Mama auf mich von oben aufpasst war einfach da.
Ich sah eine freie Bank und entschied mich dahin zu setzten. Mein Kopf richtete ich zum Himmel und sprach in Gedanken zu Mama.
Ich erzählte ihr wieder von der Uni, erwähnte die 'Freundschaft' zu Mergim und berichtete vom heutigen Tag bei meiner Familie. Unbewusst kamen mir Tränen. Tränen des Vermissens, denn wie gern hätte ich sie bei mir gehabt und ihr von meinem Leben berichtet und mir ihren Rat eingeholt.
Ich weiss, dass auch meine jetzige Mama sich extrem viel Mühe gab und das weiß ich zu schätzen, aber es ist doch traurig diese ganzen Sachen nicht mal mit meiner leiblichen Mutter erlebt zu haben. Sie hat nicht mitbekommen als ich meine erste Periode bekam, nicht als ich das erste Mal verliebt war oder den ersten Kuss hatte, meinen Abschlussball verpasst und bald auch meinen Studiumabschluss. Es gab so viel was sie hätte sehen können, aber es leider nicht vorgesehen war. Gott hatte ein anderes Schicksal für sie bestimmt und wir mussten damit klar kommen. Die einen verlassen uns früher und die anderen später, aber Schluss endlich werden wir alle diesen Weg gehen. Es ist alles in Gottes Händen.
Ich schaute noch zum Sternenhimmel als ich bemerkte wie jemand sich neben mich setzte. Ich erschrack und rutschte ein bisschen zur Seite. Wie doof war ich denn bitte so spät alleine hier rumzulaufen.
Ich verfluchte mich selbst und überlegte mir wie ich hier schnell abhauen könnte ohne dass mir jemand etwas antun kann.
Die Person neben mir entfernte die Kaputze vom Gesicht und erst dann fiel mir ein Stein vom Herzen.
Es war Mergim. Er sah mich böse an.

"Was machst du hier allein um die Uhrzeit. Spinnst du eigentlich? Weißt du was dir passieren kann?",sagte er böse und schaute sich dabei um ob jemand im Park war.
"Die Frage ist doch, was machst du hier? Stalkst du mich etwa?", ich versuchte die Situation etwas aufzulockern und lachte. Er schaute mir tief in die Augen und schüttelte den Kopf.
"Agnes, das ist nicht zum Lachen. Ich weiß ja nicht, ob du aus Essen bist aber hier solltest du nicht alleine rumlaufen. Und schon garnicht im Park.",seine Stimme war wieder ruhiger. Er versuchte auf mich einzureden. Er hatte ja Recht, aber Mama gab mir irgendwie das Gefühl sicher zu sein. Ich wusste, dass sie nicht immer von oben auf mich aufpassen konnte aber heute war einfach ein Tag, wo ich es insgeheim gehofft hatte.
Ich schaute wieder zum Sternenhimmel. "Mama passt auf mich auf.",sagte ich mit leiser trauriger Stimme. Seine Miene wurde noch weicher. Er sah mich mit großen Augen an und jegliche Farbe wich ihm vom Gesicht. Hätte ich das sagen sollen?
"Es... ich.. Es tut mir Leid.",sagte er nun mit zittriger Stimme. Ich lächelte ihn an und sah wieder zum Himmel. Keiner sagte etwas. Er musste wahrscheinlich erstmal verkraften, was er gehört hatte. Also entschied ich mich die Stille zu unterbrechen.
"Was machst du hier?",fragte ich.
"War Joggen. Ich komm hier immer Abends vorbei. Und dann hab ich von weitem ein Mädchen auf der Bank gesehen. Ich wollte sie eigentlich nur warnen, dass sie hier nichts zu suchen hat, aber als ich dich sah wurde ich sauer. Ich hatte nicht erwartet, dass du lebensmüde bist."
Ich musste lächeln. Er hatte aber einen süßen Beschützerinstinkt.
"Bin ich auch eigentlich nicht. Aber ich brauchte etwas frische Luft."
Er sah mich bemitleidend an. "Wenn du jemanden zum reden brauchst, dann sag Bescheid. Ich höre dir gern zu."
Und schon wieder brachte er mich zum Lächeln. Wir kannten uns viel zu wenig und er war schon so hilfsbereit. "Danke. Aber die Geschichte ist schon ewig her. Da war ich noch klein. Heut ist nur ihr Geburtstag." Er nickte mit dem Kopf und schaute ebenfalls zum Himmel. "Alles Gute Mama von Agnesa." Ich schaute zu ihm. Er entfernte seinen Blick nicht vom Himmel und erst in dem Moment bemerkte ich, dass ich diesem Jungen ebenfalls meine Geschichte anvertraut hatte.
"Danke Mergim. Keine Ahnung warum ich dir das erzählt habe, aber ich will kein Mitleid oder so haben."
"Nene, ich weiß was du meinst. Mein Bruder ruht auch da oben. Und schaut uns bestimmt gerade zu." Jetzt fiel mir aber die Kinnlade runter.
"Dein.. dein Bruder? ",fragte ich vorsichtig.
Er nickte. "Mein jüngerer Bruder. Er hatte einen Tumor und hat es leider nicht geschafft." Mir kamen Tränen. Andere hatten es also noch schlimmer als ich. Klar, die Mutter ist schon schlimm genug. Aber wie muss es denn bitte sein, wenn man seinen jüngeren Bruder so sieht? Er musste täglich kämpfen um diese Krankheit zu besiegen und ist am Ende gescheitert. Als älterer Bruder fragt man sich doch bestimmt 'wieso nicht ich sondern er?'. Ich dachte an Ardiana. Ich hätte mir es nicht verziehen sie so zu sehen. Und nun hatten meine Tränen keinen Halt. Mergim sah mich erschrocken an. Er rutschte zu mir und umarmte mich. "Hey, ich wollte dich nicht zum weinen bringen." Er strich mir behutsam den Rücken und dies beruhigte mich.
"Es tut mir Leid, Mergim",sagte ich mit zittriger Stimme und hebte meinen Kopf. Unsere Augen trafen sich.
"Danke. Wollen wir aufstehen? Du musst nach Hause sonst wirst du krank."
Ich nickte und er entfernte sich von der Umarmung.
Er fragte mich wo ich wohnte und begleitete mich dann dorthin.

"Leg dich jetzt schlafen, Agnes. Morgen ist ein neuer Tag, dann ist die Trauer auch wieder vergessen.
Unsere Liebsten würden sich wünschen uns glücklich zu sehen." Er umarmte mich wieder und diesmal ließ ich ihn nicht los. Seine Worte taten gut, denn er hatte das gleiche erlebt wie ich. Er wusste was es heißt jemanden zu verlieren und ihn dann unendlich zu vermissen. Er verstand einfach meine Trauer.
"Danke für deine Worte.. und für deine Hilfe.", flüsterte ich in sein Ohr und entfernte mich von der Umarmung.
"Kein Ding. Wir sehen uns dann in der Uni." Er winkte mir zu und wartete bis sich die untere Haustür schloss, dann joggte er weiter.

'Danke Mama', flüsterte ich. Ich wusste, dass sie ihn geschickt hatte. Das kann ja kein Zufall sein, dass ausgerechnet er mich dort traf und ausgerechnet er auch jemanden verloren hat.


Wieso Liebe Ich Dich../ Pse Te Dua?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt