Kapitel 1 - Projekt Arrogant

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(Vier Jahre zuvor)

Der erste Tag nach den Sommerferien und ich hatte schon keine Lust mehr auf Schule. Ich sass im Zug und starrte nach draussen. Wie praktisch jedes Jahr regnete es an diesem Montag. Als wäre der Schulanfang nicht schon schlimm genug gewesen, echt jetzt! Die Tropfen, die gegen die Scheibe klatschten, schläferten mich ein. Ich hatte kaum ein Auge zugetan in der letzten Nacht. Nicht wegen der Schule. Wegen meinen Eltern. Sie waren... sagen wir mal... nicht wirklich Teil meines Lebens. Jedenfalls kein guter Teil meines Lebens. Ich kann mich nicht daran erinnern, was ich an jenem Abend gemacht hatte, dass Mum wieder ausgerastet war und die Salatschüssel durch die Luft geschleudert hatte. Sie hatte mich angeschrien und kurz bevor sie wirklich handgreiflich wurde, habe ich mich in mein Kellerzimmer zurückgezogen. Am Morgen hatte ich mich dann unbemerkt aus dem Staub gemacht.

Nun sass ich also im Zug, hörte Musik und versuchte, die Augen offen zu lassen. Es war gar nicht so einfach.

Ich musste wohl doch ein wenig eingenickt sein, denn als der Zug in Thun anhielt, schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Kurz strich ich mir übers Gesicht, dann nahm ich meine Schultasche und trat aufs Perron. Ich ging zu meinem alten Fahrrad, welches im Fahrradständer angekettet stand, schloss es auf und radelte Richtung Gymnasium. Dabei gähnte ich herzhaft und versuchte mich an meinen Schulweg zu erinnern. Es war immerhin sechs Wochen her, seit ich das letzte Mal dort durchgefahren war.

Als ich in die Einfahrt des Gymnasiums einbog, kam mir auch schon meine beste Freundin entgegen. Sie winkte heftig und war schlicht nicht zu übersehen. Ihre dunkelbraunen Haare flatterten hinter ihr her, während sie auf mich zu rannte und mich beinahe vom Fahrrad riss, weil sie mich so stürmisch umarmte. Ich grinste sie an. Müri war unverbesserlich.

„Ich habe dich sooooo vermisst! ", stiess sie hervor. „Wie war dein Sommer?"

Ich stieg von meinem alten Klappervelo und stellte es zu den anderen. Danach hakte ich mich bei ihr ein.

„Ätzend", gab ich ehrlich zu. „Meine Eltern sind nicht mal in die Ferien gefahren. Ich musste mir die ganzen Ferien über ihre Vorträge anhören, was ich alles besser machen sollte." Ich verdrehte zur Unterstreichung meiner Worte die Augen. Müri sah mich mitleidig an.

„Ja, das hört sich nicht gerade prickelnd an."

Ich stöhnte. „War es auch nicht. Und bei dir?", fragte ich sie dann, um vom Thema Eltern wegzukommen.

„Mallorca war echt der Hammer! Strand, Meer, Palmen, heisse Typen. Was will man mehr?"

Ich lachte: „Ich dachte, Jungs interessieren dich nicht."

„Du darfst nie verallgemeinern! Die Jungs hier interessieren mich nicht. Die Jungs dort waren klasse", erklärt sie mir.

Ich lachte wieder. „Ich würde fast wetten, dass du mit keinem davon auch nur ein einziges Wort gewechselt hast." Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Nicht wirklich", gab sie zu. Ich jubelte. Ich kannte sie einfach zu gut. Bei ihr kam die Ausbildung an erster Stelle. Sie wollte keine Beziehung. Sie konnte keinen nervigen Typen gebrauchen. Der würde nur ihrem Chemiestudium im Wege stehen. Ihre Worte, nicht meine.

„Aber angeschaut habe ich sie mir", fügte sie grinsend an.

„Ich wäre auch echt enttäuscht, wenn du es nicht getan hättest", stellte ich lachend fest und gemeinsam betraten wir die Eingangshalle.

„Na, Mädels, bereit für ein weiteres Schuljahr?"

Ich drehte mich um. Aiden kam auf uns zu, mit seinem üblichen breiten Grinsen auf dem Gesicht.

Bis zum letzten AkkordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt