Kapitel 17 - Blassgrüne Augen

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Es war Freitag, der Tag des Vorspiels für das Weihnachtskonzert. Ich stocherte nervös in meinem Mittagessen herum. Ich ging seit dieser Woche wieder zur Schule und es hatte sich einiges verändert. Als ich am Montag Hand in Hand mit Vito das Schulhaus betreten hatte, hatten uns alle angestarrt, aber es war uns egal gewesen. Am Mittag hatten sich dann meine Clique und seine Bandleute zusammen an einen Tisch gesetzt, was uns auch die Blicke eingebracht hatte, die wir bis zu dem Moment noch nicht auf uns gelenkt hatten. Zum Glück verstanden sich alle ganz prächtig miteinander. Ich kam auch zum ersten Mal richtig mit Vince und Dalia klar. Im Kompositionsunterricht war Herr Widmer dann ganz überrascht gewesen, als Vito und ich zusammen gearbeitet hatten. Er hatte es kaum glauben können. Unser Stück wuchs mit unserer Beziehung und wurde langsam richtig gut. Jeden Abend schrieben wir daran. Es fühlte sich richtig gut an.

Ich merkte kaum etwas davon, dass ich erst vor kurzem beinahe für immer diese Welt verlassen hatte. Es kam mir vor, als wäre das schon Ewigkeiten her. Mit Mum und Dad hatte ich keinen Kontakt mehr gehabt, seit ich mit Chris meine Sachen geholt hatte. Sie hatten mir zwar mehrfach auf mein Handy angerufen, aber ich hatte nie abgenommen.

Ich verbrachte viel Zeit mit Vito und seiner Band und ich hatte sie schon fast soweit, dass sie für mich einen Song schrieben.

Zuhause -ja, ich nannte den Fichtenweg nun mein Zuhause- war auch alle super. Chris war mit Hannah ausgegangen und hatte erzählt, es sei recht gut gelaufen. Sie hätten sich jedenfalls wieder verabredet, was doch ein gutes Zeichen war. Ich redete oft und lange mit ihm. Er war wie ein Vater für mich geworden. Und dann war da noch Vito. Jedes Mal, wenn ich ihn anschaute, machte mein Herz einen kleinen Freudesprung. Ich liebte ihn und mit jedem Tag liebte ich ihn mehr. Ich war kaum mehr in meinem Zimmer und schlief schon gar nicht in meinem Bett. Ich schlief immer bei ihm, jede Nacht. Ich schlief in seinen Armen ein und wachte am nächsten Morgen wieder neben ihm auf. Es war das allerschönste, was ich mir vorstellen konnte. Er tat mir unglaublich gut. Ich blühte auf und fühlte mich endlich frei. Ich konnte mir ein Leben ohne die Da Costas und ohne die Primes einfach nicht mehr vorstellen.

„Süsse?", riss mich da plötzlich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich liess vor Schreck die Gabel fallen, die daraufhin mit einem Spritzer in meinem Kartoffelpüree landete. Ich schaute hoch und sah in seine eisblauen Augen. Mein Herz vollführte einen Salto.

„Du solltest wirklich etwas essen, sonst kippst du mir um in diesem Vorspiel", meinte Vito und streichelte meinen Arm.

„Ich würde ja gerne, aber ich bekomme keinen Bissen hinunter vor Aufregung", erklärte ich ihm. Er lächelte und küsste meine Stirn. „Das kommt sicher gut!", flüsterte er mir zu. Ich zweifelte etwas an seinen Worten, nickte aber trotzdem.

Nach dem Mittag machte ich mich auf den Weg zum Musikraum, wo das Vorspiel in Thun durchgeführt wurde. Ich starb fast vor Nervosität. Meine Hände zitterten, als ich die Tür aufdrückte. Aber sobald ich zu spielen begann, verschwand die Aufregung plötzlich. Eine innere Ruhe füllte mich aus. Ich machte zwar einige Fehler, aber alles in allem war ich zufrieden mit meiner Leistung. Die Jury sah das genauso und überreichte mir lächelnd den Umschlag mit den genaueren Infos zum Winterkonzert. Am liebsten hätte ich geschrien vor Freude. Als ich in der Pause auf meine Leute traf, fiel ich Vito gleich stürmisch um den Hals. Er hob mich hoch und drehte sich einmal im Kreis mit mir, bevor er mich wieder absetzte und mich sanft küsste.

„Willst du eigentlich immer noch an die Hanns Eisler Schule in Berlin?", fragte mich Müri, als wir zu unseren Fahrrädern gingen. Ich schüttelte den Kopf und griff nach Vitos Hand. „Nein, ich werde nicht vorspielen. Ich werde nach Bern gehen und dort studieren, wie Chris es getan hat. Ich will nicht weg von hier."

Bis zum letzten AkkordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt