Kapitel 7 - Gibst du auf?

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Bereits als ich die Haustür aufschloss, war mir klar, dass es kein ruhiger Abend werden würde. Meine Eltern stritten sich zur Abwechslung mal wieder.

Ich wollte mich unbemerkt in mein Zimmer verdrücken, was aber natürlich nicht funktionierte.

„Noemi Ivana Benkert!", schrie meine Mutter. Ich zuckte zusammen. Mit eingezogenem Kopf betrat ich die Küche. Meine Mutter hatte die Hände in die Seiten gestemmt und schaute mich wütend an. „Wo warst du?", wollte sie mit lauter Stimme von mir wissen.

„Ich hatte Oboenstunde, Mum", antwortete ich leise, bedacht darauf, sie nicht noch wütender zu machen.

„Die war vor dreiviertel Stunden fertig. Wieso kommst du erst jetzt nach Hause?"

„Ich habe eine Freundin getroffen", log ich meine Mutter an. In Wahrheit hatte ich rumgetrödelt, war noch eine Extrarunde gefahren und hatte mein Fahrrad dann den restlichen Weg nach Hause geschoben. Alles Methoden, um später zuhause anzukommen.

„Und wen?", blaffte meine Mutter.

„Muriel", antwortete ich, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Mum verengte die Augen zu kleinen Schlitzen und durchbohrte mich mit ihrem Blick. Ich blieb ruhig. Ich hatte das schon tausend Mal gemacht, meine Mutter angelogen. Ich tat es nicht, weil ich sie anlügen wollte, sondern weil ich es musste, damit ich nicht in ihre Schusslinie geriet.

Natürlich glaube sie mir nicht. Sie griff zum Telefon und rief bei den Lengachers an. Mein Vater stand an der Küchenkombination und sagte gar nichts.

Nach dem dritten Klingeln nahm jemand ab. Mum verlangte nach Müri, die ihr ohne zu zögern bestätigte, dass ich sie getroffen hatte. Daraufhin legte Mum das Telefon wieder weg und sah mich an.

„Geh auf dein Zimmer", befahl sie mir dann. Ohne ein Wort zu sagen, tat ich, was sie verlangte. Ich war gerade bei der Treppe angekommen, als der Streit zwischen meinen Eltern weiterging. Dad hatte anscheinend etwas vergessen zu kaufen und Mum war deswegen ausgerastet. Es waren immer Kleinigkeiten. Ich hörte, wie etwas zu Boden fiel und in tausend Stücke zersprang. Meine Mutter schrie und mein Vater schrie zurück. Ich war froh, als ich die Zimmertür hinter mir schliessen konnte. Ich legte mich aufs Bett, holte meine Kopfhörer aus der Tasche und drückte auf meinem Handy herum, bis ich meine Lieblingsplayliste gefunden hatte. Ich schottete mich von der Aussenwelt ab, zog mich in mein eigenes kleines Universum zurück.

Ich hatte keine drei Minuten Musik gehört, als mein Handy klingelte. Es war Müri. Sie wollte wissen, was passiert war. Ich schilderte es ihr in wenigen Worten. Sie kannte meine Eltern und sie kannte die dauernden Streitereien der beiden. Sie wusste auch, dass ich meine Mutter regelmässig anlog, was meine Verspätungsgründe betraf. Sie wusste eigentlich alles über mich. Sie hatte mir auch schon öfters angeboten, dass ich bei ihr wohnen könnte, aber ich befürchtete, dass meine Mutter mich einsperren würde, wenn sie mich erwischen würde. Trotzdem hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, Müris Angebot einfach anzunehmen, doch dann kamen immer wieder die Schuldgefühle in mir hoch, dass ich das meinen Eltern nicht einfach antun konnte. Sie waren immer noch meine Eltern und ich war immer noch ihre Tochter. Es war nicht so einfach.

Nachdem ich eine geschlagene Stunde mit Müri telefoniert hatte, meldete sich irgendwann mein Magen. Ich hatte Hunger, aber ich traute mich nicht, hoch in die Küche zu gehen und mir etwas zu Essen zu holen.

Nach einer weiteren Stunde musste ich mich schliesslich doch dazu überwinden, weil mir kotzübel wurde vor Hunger. Ich öffnete meine Zimmertür und ging leise die Treppe nach oben. Meine Eltern hatten ihren Streit wohl vorübergehend beendet, denn sie waren nirgends zu sehen oder zu hören. Ich lauschte noch eine Sekunde, dann schlich ich mich in die Küche und zog den Kühlschrank auf. Es waren noch Reste vom Vortag übrig. Ich holte die Plastikschale aus dem Kühlschrank und schob sie in die Mikrowelle. Die zwei Minuten, die das Essen brauchte um warm zu werden, kamen mir unendlich vor. Als endlich das erlösende Piep ertönte, atmete ich erleichtert aus. Ich holte das Essen aus der Mikrowelle, nahm mir eine Gabel und wollte mich wieder in mein Zimmer zurückziehen, als sich hinter mir jemand geräuschvoll räusperte. Ich schluckte schwer und drehte mich um. Mum sah auf mich herunter.

Bis zum letzten AkkordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt