Gerade als ich mein Fahrrad in die Einfahrt schob, parkte ein Auto neben mir. Ich hob den Kopf. Ein 50-jähriger Vito lächelte mich an. Ich glaubte zuerst zu träumen, bis mir einfiel, dass es sich um seinen Vater handeln könnte.
Ich lächelte zurück. Der Mann stieg aus dem Wagen und kam zu mir. Er sah Vito wirklich zum Verwechseln ähnlich. Die gleichen dunklen Haare, die gleichen unglaublich blauen Augen. Nicht dasselbe Lächeln. Das Lächeln dieses Mannes war sehr viel herzlicher als das von Vito. Ich fühlte mich sofort wohl in seiner Nähe, obschon ich ihn überhaupt nicht kannte. Es war verrückt.
Er trat vor mich und musterte mich. Als sich unsere Blicke trafen, erstarrte er. Verunsichert sah ich ihn an. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann lächelte er.
„Du musst Noemi sein, habe ich recht?", meinte er. Ich nickte und ergriff seine Hand etwas zögerlich. Er hatte einen warmen Händedruck. In dem Moment fiel mir auf, dass ich Vito noch gar nie die Hand gegeben hatte. Ich musste beinahe ein wenig Lächeln. Sein Vater war so viel besser als er selbst.
„Ich bin Chris, der Vater von Vito", stellte sich der Mann vor.
„Das habe ich mir schon fast gedacht. Sie sehen sich wirklich ähnlich."
Chris lachte. „Ja, ähnlich sehen wir uns schon, aber gleich sind wir ganz sicher nicht." Er ging voraus zum Haus und schloss die Tür auf. „Komm doch rein", forderte er mich auf. Ich betrat hinter ihm das schöne Haus. Es war niemand sonst zuhause. Eigentlich hätte ich Vito endlich sein bescheuertes T-Shirt und die Komposition zurückgeben wollen, aber anscheinend war er nicht da.
„Ich nehme an, du wolltest zu Vito?" Chris sah mich an. Ich nickte.
„Wann kommt er zurück?", wollte ich wissen. Ich stand noch immer im Türrahmen zur Küche. Chris zuckte mit den Schultern. „Wann erzählt er das seinem Vater schon", meinte er und begann sich an der Kaffemaschine zu schaffen zu machen. „Ich war in seinem Alter gleich. Zwischendurch war ich einfach weg." Er lachte.
Ich lächelte und liess meine Tasche neben dem Schuhturm zu Boden gleiten. „Sie scheinen ein sehr verständnisvoller Vater zu sein", stellte ich fest.
„Du brauchst mich nicht zu Siezen. Und nein, ich bin nicht immer so verständnisvoll, ich habe nur langsam aufgegeben, ihm etwas vorschreiben zu wollen", erklärte er mir und drückte ein paar Knöpfe, woraufhin die Kaffeemaschine eine Tasse mit dem schwarzen Getränk füllte. Er sah mich an und deutete auf die Tasse.
„Willst du auch einen Kaffee?"
„Sehr gerne", antwortete ich und schlüpfte aus meinen Schuhen, bevor ich die Küche betrat. Sie war hell und sauber aufgeräumt. Das Mobiliar war weiss und auf der Ablage standen kleine Töpfchen mit Kräutern.
Chris stellte die zwei Tassen auf den Tisch und zog zwei Hocker herbei. Ich setzte mich ihm gegenüber und nahm dankend meinen Kaffee entgegen.
„Du bist doch das Mädchen, das mit Vito ein Stück schreibt, oder?", fragte mich Chris, nachdem wir beide einen Schluck Kaffee genommen hatten.
„Ja, aber es funktioniert nicht wirklich", gab ich ehrlich zu. Ich hatte irgendwie das Gefühl, ihm vertrauen zu können.
„Also, was ich bisher davon gehört habe, ist wirklich gut", sagte er und fuhr mit dem Finger über den Henkel seiner Tasse. „Liege ich richtig in der Annahme, dass der erste Teil von dir stammt?"
Überrascht schaute ich Vitos Vater an. „Ja", antwortete ich leicht verwirrt. Woher wusste er das?
Er schmunzelte leicht, als er meinen verblüfften Gesichtsausdruck bemerkte. „Eine Melodie erzählt viel mehr, als man denkt", meinte er und dabei war ein trauriges Lächeln auf sein Gesicht getreten.
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Bis zum letzten Akkord
Teen FictionFortsetzung zu "Mein Lied für dich". Wenn Welten zerbrechen. Wenn man sich selbst zerstört. Wenn man alleine nicht mehr kann. Wenn man nicht mehr weiter weiss... Dann gibt es nur eins: sich zusammentun. Aber was, wenn die Person, die dir das Schicks...