Living

76 8 16
                                    

Ich stand auf, klopfte meine Hose ab, zog meine Jacke schnell über und verbarg so meinen Arm vor neugierigen Blicken. Ich blickte zuversichtlich in die Menge; sah, dass Klaus und Damon zurück waren. Meine Augen schweiften weiter. Als ich Rowan erblickte, erstarrte mein Lächeln. Ich überwand die letzten Meter zwischen uns schnell und packte seinen Kopf, drehte ihn von links nach rechts.
Panisch fragte ich:"Alles in Ordnung bei dir? Geht es dir gut? Hast du dir wehgetan? Tut dir was weh? Bist du verletzt?"
"Nein, nein", wehrte er meine Hände ab,"Alles gut bei mir."
Er drückte nun endgültig meine Hände weg.

Was war bei dir, Luce ?

Später. Ich erkläre es dir später.

Ich marschierte mit entschlossenen Schritten wieder zu den anderen, die schon nervös mit den Füßen scharrten.
"Können wir?"
So wie es klang, war allen klar, dass es keine Frage war. Damon und Klaus gingen schweigend voran und die restlichen Krieger folgten ihnen still und leise. Ich ließ mich etwas zurückfallen und als ich mir sicher war, dass die Gruppe weit genug weg war, holte ich etwas aus meiner Jackentasche.
Das, was sie mir gab.
Ein Pfahl.
Er war wie Glas.
Durchscheinend.
Klar.
Doch hatte er eher das Gewicht von Kristallen.
Der Pfahl war sehr kantig, wie eine lange, hohe, schmale Pyramide.
An seinen Seiten waren Runen eingraviert und obenauf eine Rune, die mir allzu bekannt war.
Ich.
Das Zeichen für Witch.
Mein Gehirnmuster.
Ich ließ diese besondere Waffe durch meine Hände gleiten.
Ohne Zweifel eins der reinsten Dinge, die je existierten.
Ein leises Surren erklang als meine Finger über die Runen glitten.
Ich versank im Anblick dieser Waffe.
So vollkommen.
Rein.
Unschuldig.
Einfach perfekt.
Ich streichele noch immer die Waffe und träumte von einem Leben.
Einem Leben, das ich nie haben würde.
Ein normales.
Nicht magisches.
Nicht tödliches.
Vielleicht würde ich mit Ro zur Highschool gehen, im Cheerleading Team sein.
Jeden Morgen mich fragen, warum es so ungerecht ist, warum es Mathe gibt.
Ro würde Football spielen.
Er würde nicht tödlich sein.
Wir würden den Abschluss machen.
Maddie und ich würden an derselben Uni studieren.
Vielleicht ein Semester wiederholen, einen richtigen Absturz haben, mal unglücklich sein.
Es würde nicht perfekt sein,
aber wir würden ein Leben haben.
Ein normales.
Wir würden.

Ich schreckte auf und ließ die Waffe schnell in meiner Jacke verschwinden, als mich jemand rief. Ich stand wohl schon eine Weile hier und träumte vor mich hin.

Mist! Jetzt beeil dich, Lucy! Du musst das so schnell wie möglich erledigen. Du musst wieder ins Camp.

"Luz???? Luuuu.. Huch! Kannst du dich auch normal fortbewegen? Also im Sinne normal schnell für einen Übernatürlichen??", schrie Damon genervt. Ich stand von einem Moment auf dem anderen neben ihm und jagte ihm wohl einen gehörigen Schrecken ein.
Ich streckte gelassen meine Arme und achtete darauf, dass mein Ärmel nicht hochrutschte.
Locker meinte ich:"Jetzt kommt. Wie ihr alle wisst, bin ich sehr gerne pünktlich zum Essen wieder zurück. Es gab genug Verzögerungen."
Nur langsam folgten sie mir auf die Lichtung, auf welcher man einige Lagerfeuer und mehrere Zelte sah. Sie waren wohl bereits auf dem Sprung.

"Ach. Wir kommen wohl ungelegen. Na dann machen wir es schnell", rief ich mit einem teuflischen Blitzen in meinen Augen. Meine Leute lachten spöttisch mit mir als sie sahen, wie die Gang sich vor uns aufbaute. Es war eine Gruppe von Gestaltwandlern.
Meine Gedanken schweiften zu Maddie. Sie war wie diese Gang eine Gestaltwandlerin.
Ich hatte sie schon so lange nicht mehr gesehen; geschweige denn an sie gedacht.
Oder Stef.
Ich fühlte mich sofort schlecht.
Diese Gedanken bedrückten mich.

Nein. Das bringst du in Ordnung, Lucy. Du kehrst heute ins Camp zurück. Dann wird alles gut. Alles.

Ro spürte wohl, dass ich etwas unruhig wurde, denn er tauchte leise wie ein Schatten neben mir auf und drückte seine Schulter kurz an meine. Er positionierte sich dann schräg hinter mir. Massiv. Unbesiegbar.
Ich atmete wieder ruhig ein und konzentrierte mich auf die Aufgabe, die vor mir lag. Dieser Job würde etwas anders ablaufen als die vorherigen. Genau genommen ganz anders. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Klaus und Damon auf ihre Positionen gingen und sich bereit machten. Ich sog noch mal eine große Menge Luft in meine Lungen.
"Nun, wie gesagt, erledigen wir das zügig."
Schon riss ich meinen Arm in die Höhe.
Mehrere Menschen schrieen qualvoll auf.

Perfect...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt