2. Kapitel - Silvester mit Folgen

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„Was wird das?", fragte ich erstaunt, als sich Lucas auf die Rückbank von Becks Wagen fallen ließ. Wollte er tatsächlich mitkommen? Innerlich stöhnte ich auf, schließlich lag mir nichts ferner, als den Abend mit meinem Bruder zu verbringen. Ich wollte ihn nicht einmal zuhause ertragen müssen.

Meine Laune war sowieso schon auf einem Tiefpunkt und konnte nicht einmal durch die Tatsache gehoben werden, dass ich mich erstaunlich schön in meiner Haut fühlte. Ich war unten auf Elias gestoßen, der mit Paps im Wohnzimmer saß und als ich mich von den beiden verabschieden wollte, hatte er so getan, als hätte er mich nicht einmal bemerkt.

Ich wusste, dass ich mit Alec Mist gebaut hatte, mir war Bewusst, dass sich Emma seit dem Vorfall von Elias fern hielt und daher war es nur fair, dass er mir das gleiche antat. Doch es war so verdammt schmerzhaft. Mein kleiner Bruder, der mir früher alles anvertraut hatte, redete nicht mehr mit mir. Er ging extra früh zur Schule, um nicht zu riskieren, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen könnten. Er ging sofort aus dem Raum, sobald ich hinein ging und er sprach nicht mit mir. Es war zum verrückt werden und ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich das wieder in Ordnung bringen sollte. Ich hatte mich in den letzten Monaten tausendmal entschuldigt, doch nie machte er Anstalten mir zu verzeihen. Am schlimmsten war es an Weihnachten, schließlich wurde dieses Fest auch „Fest der Liebe" genannt. Ich hatte es am ersten Weihnachtstag in „Fest der Kälte" umbenannt, denn außer zwischen meinen Vätern und Elias konnte ich keine Liebe erkennen. Alle waren angespannt gewesen und schienen schnell aus dem Zwang des Zusammenseins ausbrechen zu wollen.

„Guten Appetit.", hatte Paps lediglich gesagt, als wir uns zum Jährlichen Festtagsessen an einen Tisch gesetzt hatten. Normalerweise hielt er eine ellenlange Rede, bei der er sich mehr als einmal bei uns allen bedankte, da wir die Personen waren, die er über alles Lieben durfte. Doch in diesem Jahr war sie gänzlich verschwunden und hatte mich daran erinnert, dass ich alles kaputt gemacht hatte. Der Nachtisch war an diesem Tag wesentlich stärker ausgefallen, als die Nächte zuvor.

„Ich komme mit!", antwortete mir mein Zwillingsbruder stolz und machte seine Lage damit nicht besser.

„Ganz sicher nicht. Du kannst dich doch nicht auf einmal so herrisch aufspielen – es ist mein eigenes Leben." Ich sah hilfesuchend zu Becks, doch anstatt für mich Partei zu ergreifen, griff sie zum Autoschlüssel und startete den Motor. Das konnte doch nicht wahr sein!

Ich war wieder einmal kurz davor die Tür auf zu reißen und aus dem fahrenden Auto zu springen – alles war besser, als die Silvesternacht mit Lucas zu verbringen – als mir etwas einfiel: „Wolltest du dich nicht eigentlich mit Marie treffen?", fragte ich und versuchte unschuldig zu klingen. In Wahrheit hatte ich jedoch eine riesige Schadenfreude entwickelt, die sich schon auf den Streit der Beiden freute. Marie ließ sich von Niemandem versetzen – nicht einmal von Lucas. Hoffentlich suchte sie sich heute Abend einen neuen Freund und ließ endlich meinen Bruder in Ruhe.

„Ich habe ihr geschrieben. Sie wird wohl mal einen Abend ohne mich auskommen.", antwortete er ernst und innerlich lachte ich mich halb kaputt. Er wusste selber, dass er ziemlich viel Stress mit ihr bekommen würde und trotzdem fuhr er lieber zu der Party, auf der er unerwünscht war.

„Also ich denke, dass der Abend trotzdem toll wird.", mischte sich nun endlich Becks ein, jedoch ergriff sie immer noch keine Partei für mich. Ich war drauf und dran ihre Hand, mit der sie beschwichtigend meinen Arm tätschelte, weg zu schlagen. Nur mit unheimlich viel Mühe konnte ich mich beherrschen. Der Abend würde sicherlich einer der Schlimmsten meines Lebens werden.

„Hier für euch!", schrie Becks gegen die Musik und drückte mir und meinem Bruder jeweils eine Bierflasche in die Hand. Ich hasste Bier – es schmeckte ekelhaft bitter – doch in diesem Augenblick durstete es mir nach jedem noch so kleinem Tropfen Alkohol, mit dem ich mir die Situation schön trinken konnte. Auch Lucas nahm die Flasche und nippte einmal kurz daran.

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt