9. Kapitel - Verfolgungsjagd

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Das Zusammenleben mit Moritz stellte sich als äußerst schwer heraus, denn dieser eingebildete Sack verhielt sich, als gehörte ihm die ganze Welt. „Mach endlich die Tür auf, ich muss mal.", meinte er nachts, als ich mich mal wieder im Badezimmer aufhielt. Bis zum heutigen Tag hatte mich noch nie jemand bei meinem nächtlichen Ritual gestört, doch ausgerechnet Moritz musste die perfekte Quote brechen.

„Bin gleich fertig.", meinte ich und versuchte die Klinge in meiner Hand hektisch wieder in ihr Versteck zu legen. Ein Glück hatte ich noch nicht angefangen, es wäre weitaus schwieriger geworden meine blutenden Beine zu verstecken.

„Beeil dich." Er schien wirklich vergessen zu haben, wer der Gast in diesem Haushalt war. Dank meiner Tollpatschigkeit ließ ich die Klinge fallen und griff so reflexartig danach, dass ich mir in die Handfläche schnitt. „Shit!", stieß ich laut genug aus, damit der Snob vor der Tür es gar nicht überhören konnte.

„Alles okay?"

„Ja... alles bestens!" Als ich endlich die Klinge beseitigt und meine blutende Hand unter meinem Ärmel versteckt hatte, schloss ich die Tür auf. Ein Glück hatte ich vorhin daran gedacht sie zu verschließen, ich wollte mir nicht ausmalen, was alles passiert wäre, wenn er mich auf frischer Tat ertappt hätte.

„Na endlich.", meinte er, doch sein Blick fiel auf meinen Ärmel, an dem das frische Blut aus meiner versteckten Handfläche klebte. „Wirklich alles gut?"

„Ja, ehrlich. Ich habe nur ein Glas zerbrochen und mich dann unglücklich an den Scherben geschnitten." Um meine Worte zu verstärken zeigte ich ihm meine Handfläche – die Wunde war tiefer, als ich gedacht hatte.

„Das sieht schmerzhaft aus, du solltest deine Hand verbinden oder wenigstens was zum desinfizieren drauf sprühen." War er jetzt plötzlich zum Arzt mutiert?! Das letzte Mal, dass ich nach geschaut hatte, war Moritz ein erbärmlicher Schulabbrecher, der jeglichen Realitätsbezug verloren und keine Zukunftsaussichten hatte.

„Nein, es tut kaum weh, das passt schon." Ich machte mich auf den Weg in mein Zimmer, schließlich stand eine nächtliche Unterhaltung mit Moritz zu führen nicht gerade weit oben auf meiner Wunschliste.

„Wo sind denn die Scherben?", fragte der blonde Junge misstrauisch, doch ich schloss im selben Moment meine Tür und tat so, als hätte ich ihn nicht gehört. Scheiße! Was war nur gerade passiert? Hoffentlich vergaß er unsere Unterhaltung schnell wieder und wendete sich wieder sich selbst zu, ehe er ahnte, was ich eigentlich getan hatte. Es wäre eine Katastrophe, wenn jemand bemerkte, wofür ich meine Nächte opferte.

Die restliche Nacht lag ich wach in meinem Himmel und wälzte mich alle fünf auf die andere Seite, doch ich konnte einfach nicht einschlafen. Ständig dachte ich darüber nach, dass ich die Klinge auf meiner Haut spüren wollte, doch jedes Mal wenn ich daran dachte, wie knapp das eben gewesen war, blieb ich standhaft und machte mich kein weiteres Mal auf den Weg ins Badezimmer.

Als meine Gedanken dann auch noch zu meinem sämtlichen Leben abschweiften und mir wieder einmal klar machten, was nur aus mir geworden war, kniff ich sogar in die frische Wunde an meiner Hand, um mich von den Gedanken ab zu lenken, doch das erzielte bei weitem nicht den gewohnten erlösenden Effekt.

„Das ist deine Freundin?!", fragte Moritz erstaunt, als wir uns zu viert auf den Weg in die Schule gemacht hatten. Papa hatte in den letzten Tagen versucht Lucas Freund irgendwo unter zu bringen und wie sich heraus stellte, war unser Direktor ganz wild darauf einen weiteren Schüler aus einem Eliteinternat bei sich auf zu nehmen – vermutlich rechnete er mit dem gleichen Wissensstand wie bei meinem Bruder, jedoch bezweifelte ich, dass der Blonde auch nur eine einzige Funktionierende Gehirnzelle in seinem Kopf hatte.

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt