15. Kapitel - Nächtliche Gespräche

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Als ich mich in dieser Nacht wieder ins Badezimmer schleichen wollte, schaffte ich es gerade mal aus meiner Zimmertür. Der Tag war zwar wirklich erfolgreich gewesen, doch ich konnte einfach nicht einschlafen, ohne an die Klinge auf meiner Haut zu denken, also musste ich es einfach wieder tun. Es klang so einfach mit einer Sucht aufzuhören, schließlich war der Verzicht für andere die nicht abhängig waren, nicht schwer, doch so sehr ich mich auch dagegen sträubte, ich brauchte unbedingt den Schmerz, der mich in eine andere Welt abdriften ließ.

Leider stoppte mich eine dunkle Gestalt, die direkt aus dem Badezimmer kam. Mist, warum schlafen nicht alle schon längst. „Sam?", fragte die Stimme, die mir am Vormittag das Geheimnis meines Bruders offenbart hatte.

„Wieso schläfst du nicht längst?", fragte ich Moritz und bedachte dabei nicht, dass ich ebenfalls im Dunkeln durch den Flur schritt.

„Das gleiche könnte ich dich fragen. Außerdem wollte ich einfach sehen, ob du deine nächtlichen Ausflüge öfters machst." Er flüsterte zwar, doch seine deutlichen Worte hallten trotzdem in meinem Kopf wieder. Er ahnte etwas und das würde meinen Untergang bedeuten.

„Also spionierst du mir nach?" Es war zu abstrakt, dass ausgerechnet der Snob, der Junge der uns nur besuchte, die richtigen Vermutungen aufgestellt haben könnte.

„Mir bleibt ja nichts übrig, du hast mich schließlich angelogen." Wie dreist war er eigentlich? Wusste der Typ nicht, dass man sich nicht in die Angelegenheiten anderer Menschen einmischte? Ich konnte nur hoffen, dass er nicht weiter gehen würde, um seine Ahnung beweisen zu können.

Ich konnte nicht sprechen, sondern starrte ihn nur mit offenem Mund an. Was sollte das? Also redete Moritz weiter: „Beim letzten Mal lag noch Blut auf den Fliesen, Sam, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht aus der Wunde an deiner Hand kam. Du..."

„Sei nicht albern.", unterbrach ich ihn schnell und wollte in mein Zimmer zurück gehen, doch sein Arm griff nach meinem und verhinderte meinen Fluchtversuch. „Was soll das?" Es kostete mich so unheimlich viel Überwindung, diese wenigen Worte auszusprechen, dass ich mich fragte, wie ich heil aus der ganzen Situation entkommen konnte.

„Ich muss deine Arme sehen.", kommandierte Moritz und deutete auf meinen langen Pullover, den ich mir vorhin übergestreift hatte. „Ich weiß ganz genau, warum du dich nachts aus deinem Zimmer schleichst und immer diese langen Pullover trägst, glaube mir, ich verstehe, wie schwer das für dich sein muss, aber das kannst du so nicht für immer machen." Ich fragte mich innerlich, ob Moritz tatsächlich verstand, ob er sich wirklich mit diesem Thema auskannte, oder ob er einfach nur zu viele Filme gesehen hatte. Doch trotzdem war ich unheimlich wütend auf ihn, schließlich hatte er kein Recht so tief in meine Privatsphäre einzudringen.

Also griff ich zu meinem rechten Ärmel und zog ihn bis zu meinem Ellenbogen hoch. „Bist du jetzt zufrieden?!", fragte ich gereizt, als ich ihm meinen vollkommen gesunden Arm präsentierte. Zwar fand sich ein kleiner blauer Fleck darauf, da ich mich gestern an einem Schrank gestoßen hatte, doch es gab keine Spur von den Schnitten, die Moritz zu finden gehofft hatte.

Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen zog ich auch noch meinen anderen Ärmel nach oben und erkannte die Verwirrung auf Moritz Gesicht. „Ich... äh... es tut mir...", stammelte er verwirrt, während ich meine Hände wieder in meinen Ärmeln verschwinden ließ.

„Lass es einfach gut sein.", meinte ich sauer und verschwand wieder in meinem Zimmer. Ich konnte nicht fassen, wie dreist er gewesen war, konnte nicht fassen, wie viel er sich erlaubt hatte.

Doch, als ich mich alleine in meinem Zimmer wiederfand, wurde mir auf einmal bewusst, wie viel Recht der neugierige Junge doch gehabt hatte. Draußen auf dem Flur hatte ich mich im Recht gesehen, hatte meine Lüge selber geglaubt, hatte sie ihm deswegen so gut zeigen können, doch im Grunde lag er mit seiner Vermutung vollkommen richtig. Er hatte Recht damit, dass ich mich an jenem Abend selbst verletzt hatte. Jedoch schien Moritz nicht zu bedenken, dass man sich auch an anderen, unauffälligeren Stellen, schneiden konnte, die anderen Leuten vermutlich nie auffallen würden. Diesem kleinen Denkfehler war es zu verdanken, dass ich mit dem Schreck davon gekommen war.

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt