8. Kapitel - Überraschender Freund

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„Du benutzt unfaire Mittel, um mich aus der Reserve zu locken." Lucas musste noch immer über die Erinnerung an unseren Eis-Sommer – wie wir den Vorfall liebevoll genannt hatten – schmunzeln und auch ich konnte mir kein Grinsen verkneifen. Erst ein erneutes Vibrieren von Lucas Smartphone trübte unsere Stimmung und er blieb stehen, um sich die Nachricht genau durch zu lesen.

Ich nutzte die Chance und zog in Ruhe meine Jacke an, sowie richtete meinen Rucksack, sodass er endlich nicht mehr an nur einer Schulter hing. Wenigstens konnte ich so wieder normal laufen und musste nicht mehr bei jedem Schritt befürchten dem Boden einen Kuss geben zu müssen.

„Was ist los?", fragte ich erneut und betrachtete Lucas besorgtes Gesicht, sobald ich wieder gerade auf meinen Beinen stand.

„Nichts. Geh einfach wieder in die Schule." Da war er wieder, der arrogante Junge, den ich nicht in meinem Leben haben wollte, der mich alleine gelassen und das Band zwischen uns zerstört hatte. Warum war ich ihm bloß gefolgt? Doch gleichzeitig konnte ich die Sorgen um meinen Zwillingsbruder nicht ausschalten, sodass ich beschloss nicht locker zu lassen.

„Das kannst du vergessen.", meinte ich entschlossen und war mir schon lange nichts mehr so sicher gewesen. Ich musste bei ihm bleiben, sonst würden mich meine Sorgen noch umbringen – doch das würde ich niemals laut aussprechen, denn so tief war ich noch lange nicht gefallen. Es war schon schlimm genug, wieder etwas für ihn zu empfinden, doch das Ganze auch noch zu zugeben, glich einem Atomkrieg. „Entweder du kommst mit mir und wir gehen gemeinsam wieder in den Unterricht, oder ich komme mit dir und du erklärst mir, was dich so aus der Bahn geworfen hat."

Lucas sah von seinem Handy zu mir und wieder zurück, ehe er leise seufzte und sich weiter auf den Weg zu unserem Haus machte. Das war das Zeichen ihm zu folgen.

„Wo gehen wir denn hin?", fragte ich, nachdem wir uns schon in unserer Straße befanden und Lucas kramte einen Schlüssel aus seiner Tasche.

„Zu meinem Auto.", antwortete er schlicht und sagte damit zwar die Wahrheit, ließ jedoch den wichtigen Teil aus. Trotzdem setzte ich mich schnell auf die Beifahrerseite und hoffte inständig, dass Paps entweder nicht zuhause war, oder wenigstens nicht in diesem Moment aus dem Fenster schauen würde – er würde uns umbringen, wenn er erfuhr, dass wir die Schule schwänzten.

Ich schnallte mich schnell an, doch nach unserer letzten Autofahrt fühlte ich mich tatsächlich etwas sicherer mit meinem Bruder hinter dem Steuer. Er war damals nicht schneller als die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung gefahren und auch jetzt enttäuschte er mich nicht und fuhr weiterhin strikt nach den Regeln des Straßenverkehrsgesetzes.

„Und wo fahren wir hin?", fragte ich vorsichtig und hoffte inständig, dass er mir nicht schon wieder nur wage antworten würde.

Jedoch war seine tatsächlich Antwort, die er mir gereizt entgegen schrie, auch nicht besser: „Du wolltest mitkommen, also sei gefälligst leise und lass mich in Ruhe nachdenken." Worüber musste er denn Nachdenken? Das Ganze war mir mehr als suspekt.

Lucas fuhr seinen Wagen direkt aus der Stadt heraus und als wir uns auf der Autobahn befanden, wurde mir langsam mulmig zumute. Wie weit würde er fahren? Ich hatte nicht damit gerechnet, mich ausgerechnet mit meinem Zwillingsbruder auf einen Tagesausflug zu begeben, doch je länger wir die gerade Strecke fuhren und je mehr Kilometer wir zwischen uns und die Stadt brachten, desto weniger Hoffnung hatte ich, überhaupt irgendwann ein Ziel zu erreichen.

Gerade als ich zu der Frage ansetzen wollte, wie lange er noch gedachte in eine Richtung zu fahren, klingelte sein Handy und Lucas griff danach. „Du willst doch wohl nicht beim Autofahren telefonieren!?", meinte ich leicht panisch – seit wann verstieß er absichtlich gegen Gesetze? Es war verdammt gefährlich hinter dem Steuer zu sitzen und sich auf ein Telefongespräch zu konzentrieren – war ihm das wirklich nicht klar?!

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt