18. Kapitel - Vermutungen

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Da ich wenig Lust hatte, mich, nach meinem Besuch bei Becks, auf den Weg nach Hause zu machen, beschloss ich kurzentschlossen Alec zu Besuchen. Mir war nicht bewusst, ob es eine gute Idee war, ob er mich überhaupt sehen wollte, doch bevor ich mich ein weiteres Mal mit Lucas auseinander setzen musste, ging ich liebend gerne das Risiko ein. Außerdem schien mich alles in meinem Körper zu Alec zu treiben, ich wollte einfach mehr Zeit mit ihm verbringen.

Doch als ich nach einem kurzen Fußmarsch endlich am Spielplatz angekommen war, erkannte ich schnell, dass der breitschultrige Junge mit den eisblauen Augen fehlte. Zwar kamen mir ein paar der anderen Gesichter bekannt vor – und auch diese Lola stand mit einer Zigarette in der Hand bei ihnen – jedoch ging ich nicht auf die Gruppe zu. Es war etwas anderes, wenn Alec in der Nähe war, denn ich wusste ganz genau, dass er mich genug respektierte, um sich keinen Scherz mit mir zu erlauben, doch bei den anderen war ich mir nicht sicher.

Lolas Blick begegnete meinem und bestätigte meine Vermutung nur weiter, denn sie sah mich kurz abschätzig an und wandte sich dann einem Jungen neben ihr zu, um ihm etwas zu sagen, was ich nicht verstehen konnte. Sofort flog sein Blick ebenfalls zu mir und kurz darauf fingen die beiden an zu lachen – mir war klar, dass sie sich gerade über mich lustig machten.

Ohne eine Regung in meinem Gesicht zu zeigen und somit meine Gefühle über diese Aktion preiszugeben, ging ich an ihnen vorbei und wollte gerade hinter einem der Hochhäuser verschwinden, als ich eine weibliche Stimme wahrnahm, die mich scheinbar noch nicht genug gedemütigt hatte: „Vielleicht solltest du ihn endlich mal in Ruhe lassen – Klammern ist wirklich unattraktiv." Jedes ihrer Worte traf mich tief, doch im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, damit umzugehen und solche Spitzen so gut es ging zu ignorieren. Ich war zwar nicht stark oder selbstbewusst genug, um etwas zu erwidern, doch wenigstens konnte ich problemlos meinen Mund halten und keine Regung in meinem Gesicht zulassen. Ich beschleunigte ja nicht einmal meinen Gang, stattdessen ging ich einfach ganz normal weiter und tat so, als hätte ich sie nicht gehört.

Als ich endlich außer Reichweite war, schaffte ich es tief durchzuatmen und somit den Gedanken zu verdrängen, dass Alec mich wirklich unattraktiv finden könnte, bloß weil ich ihn schon wieder Besuchte.

Ich machte mich auf den Weg zu der einzigen Alternative, an der ich Alec vermutete – der Boxhalle. Es dauerte ein bisschen, bis ich mich daran erinnern konnte, wie genau wir beim letzten Mal hingegangen waren, doch als ich endlich durch die Tür trat und von dem Schweißgeruch überrannt wurde, erkannte ich Alec schon von Weitem. Er stand mit dem Rücken zu mir und schlug scheinbar unkontrolliert auf den Boxsack ein. Jeder Schlag wurde von einem erschöpften Stöhnen begleitet, doch der breite Junge machte unbeeindruckt weiter. „Raus hier!", schrie er, ohne sich zu mir umzudrehen und erst jetzt merkte ich, dass die Halle nicht nur ungewöhnlich leer war, sondern dass tatsächlich niemand außer Alec hier trainierte.

Seine dunkle Stimme klang zwar unheimlich einschüchternd, doch anders als mit Lolas Gerede vorhin, wusste ich jetzt ganz genau, wie ich damit umgehen sollte. Ich ließ mich nicht abhalten, näher auf ihn zu zugehen und machte auch dann keinen Halt, als er einen verzweifelten Schrei ausstieß.

„Ich habe doch gesagt...", er brach seine lauten Worte mitten im Satz ab, als er sich umdrehte und erkannte, wer ihn bei seinem Training störte. Als ich sein Gesicht erkannte, dessen Blessuren schon wieder verblassten, doch von einem solch verzweifelten Ausdruck ersetzt wurden, stockte ich kurz. Seine Augen waren vor Wut schon rot unterlaufen und sahen beinahe so aus, als hätte er heute schon ein paar Tränen vergossen, doch ich erkannte den Unterschied zur puren Verzweiflung eindeutig. Er war eindeutig nicht Glücklich, doch ich zweifelte daran, dass er sich von mir helfen lassen würde.

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt